„Unvorstellbare Mondlandschaft“

von Redaktion

So lief der „Faktencheck“ zum Brenner-Nordzulauf in Lauterbach

Rohrdorf – Rohrdorfs Bürgermeister Simon Hausstetter eröffnete den Abend – und machte beim Blick in die Runde große Augen. So viele Leut‘ habe man noch nie dagehabt, staunte er, „höchstens beim Starkbierfest.“ In der Tat: Viele Besucher mussten am Montag stehen, manche verfolgten die Veranstaltung vom Vorraum aus, so voll war es im Dorfhaus zu Lauterbach. Und nicht nur aus dem Gemeindebereich Rohrdorf waren die Besucher gekommen.

Gesucht: Harte Fakten zum Nordzulauf

Ging ja schließlich auch viele Menschen etwas an, das Thema des Abends: Zum „Faktencheck“ zum Thema Brenner-Zulauf hatten die Bürgerinitiativen gegen eine Neubautrasse im Landkreis Rosenheim geladen.

Ausgangspunkt des Ganzen: der Umstand, dass es zwei gegensätzliche Reiseberichte über ein Ziel gibt: Sepp Lausch, Abgeordneter der Freien Wähler im Landtag, und Daniela Ludwig, CSU-Abgeordnete im Bundestag, hatten beide die Baustellen am Brenner-Südzulauf besucht. Sepp Lauschs Eindrücke: eher negativ. Daniela Ludwigs Fazit: eher positiv.

Die beiden, so hatten es sich die Bürgerinitiativen vorgestellt, sollten gegenübergestellt werden und ihre Behauptungen abgleichen. Daniela Ludwig sagte ab, wegen der Aufstellungsversammlung zur Bundestagswahl. Es sei aber auch niemand aus ihrer Partei eingesprungen, hieß es vonseiten der Initiativen. So hatte Sepp Lausch die Bühne für sich: „Schade, dass ich Monopolist bin.“

Sepp Lausch berichtete also. Von seinem Besuch der Baustelle nahe Franzensfeste, schon auf der italienischen Seite. Sein Ansprechpartner dort: Martin Ausserdorfer, Bürgermeister und Direktor der Beobachtungsstelle zum Bau des Brennerbasistunnels (BBT) samt Südzulauf. Charmant sei der, sagte Lausch, wisse sich auch gut zu verkaufen.

Was darauf schließen lässt, dass die begutachtete Ware weit unter den Anpreisungen des Verkäufers blieb. Lausch missfiel vieles. Beispielsweise das abgekürzte italienische Verfahren, das letztlich von einem letzten Entscheidungsträger durchgedrückt werden könne. Oder die Schuttmassen, die beim Tunnel-Vortrieb anfielen: „Eine Mondlandschaft, unvorstellbar.“ Die oft zu hörende Behauptung, dass es keinen Widerstand gegen das Megaprojekt, aber auch keine Enteignungen gebe, reizte Lausch zum Widerspruch: „Eine Falschmeldung!“ Allein in Südtirol seien schon 25 Hektar enteignet worden.

Dass es Widerstand gibt, davon konnten eindrucksvoll zwei Südtiroler Gäste erzählen: Marlene Roner vom Heimatpflegeverband Südtiroler Unterland und der Umweltaktivist Claudio Campedelli. Sie berichteten davon, wie schwierig es sei, an Informationen zu gelangen, wie hoch der Druck sei, der von Bahn und Staat aufgebaut werde.

Südzulauf: Auch bei den Italienern hakt es

Daniela Ludwigs Feststellung, die Italiener seien vorangeschritten – „weite Teile des Südzulaufs werden bei Inbetriebnahme des Brennerbasistunnels fertig sein“ – widersprach Sepp Lausch vehement. In der Tat haben die Italiener zwar schon mit den Bauarbeiten von Waidbruck zur BBT-Pforte bei Franzensfeste begonnen; für andere Bauabschnitte aber gibt es nicht einmal Vorplanungen. Allerdings hatte auch der besagte Martin Ausserdorfer immer wieder darauf hingewiesen, dass die Italiener abschnittsweise vorgingen. Dennoch: Womöglich werden die Italiener einiges fertiggestellt haben, wenn die Deutschen noch immer nicht zu bauen begonnen haben. Auch an diesem Punkt fehlte die Gegenstimme. Wer sich entfernt auf Diskussionen eingestellt hatte, musste die Einmütigkeit im Saal als Manko empfinden.

Es sei keine wirkliche Diskussionsveranstaltung zu erwarten, hatte der BI-Vorsitzende Lothar Thaler nach Ludwigs Absage bedauert, eher eine Info-Veranstaltung. Es reihte sich denn auch ein bekanntes Argument an das andere.

Etwa, dass irgendwann, lange nach Inbetriebnahme des Brennerbasistunnels, bis zu 400 Züge den Brenner passieren sollten, dass diese Zahl aber auch ohne Weiteres von der Bestandsstrecke bewältigt werden könne. Das sagte der profilierte Nordzulauf-Gegner Roland Feindor. Er erklärte allerdings nicht, ob das auch für 400 Züge mit stark unterschiedlichen Geschwindigkeiten gilt. Lausch wiederum bezweifelte die Notwendigkeit von vier Gleisen, wo doch auch der Brenner-basistunnel nur zwei Gleise habe. Schließlich werde die alte Brenner-Strecke mit dem BBT doch obsolet.

Kosten: Sepp Lausch nennt Horrorzahlen

Ein neues Argument brachte der Landtagsabgeordnete bei den Kosten für den Brenner-Nordzulauf. Dass er viel zu teuer ist, bekritteln die Skeptiker seit vielen Jahren. Doch vor Kosten in Lauschschen Dimensionen würde auch der Bundestag als letzter Entscheider zurückschrecken. Denn Lausch sprach von „30 Milliarden, grob geschätzt“. Da schossen auch die Augenbrauen von Moderator Florian Schrei fragend nach oben. Seine Zahl leite er von den Kosten der zweiten Stammstrecke in München ab, sagte Lausch, also von 14 Milliarden für zehn Kilometer Gleis und sieben Kilometer Tunnel.

Ob diese Hochrechnung, abgeleitet von einer Extrem-Schätzung, tragfähig ist? Hängt wahrscheinlich vom Standpunkt des Betrachters ab. Wie so vieles in der Diskussion über ein Projekt, dessen Bedarf so weit in der Zukunft liegt und dessen Auswirkung über nationale Grenzen hinausreicht. Fakt ist: Der Bundestag wird 2025 über den Brenner-Nordzulauf abstimmen. Wohl unbeeindruckt davon, was in Lauterbach besprochen wurde.

Artikel 6 von 11