Rosenheim/Mühldorf – Wer ist der beste Koch weit und breit? Für den kleinen Jonas (2) ein klarer Fall: „Das ist mein Papa!“ Theresa (6) gibt ihm recht: „Ja, das ist dein Papa!“ Umso besser, dass der Papa in einem einzigen Schwung täglich bis zu 300 Kinder satt machen kann – und manchmal auch Leute, denen das Wasser buchstäblich bis zum Hals steht.
Der Lieblingskoch von Jonas, Theresa und vielen weiteren Kindern im Landkreis Rosenheim – das ist Markus Schuler (35) aus Stephanskirchen. Aber kocht nicht auch er nur mit Wasser? Sicher, nur halt mit sehr viel mehr Wasser als andere. Und viel öfter als andere. Und schneller als andere. Wenn es brennt und es sein muss, auch mitten in der Nacht, irgendwo auf der grünen Wiese.
Schuler ist ein kochender Dauerbrenner in gleich drei Lebenswelten – daheim, im Beruf und als ehrenamtlicher BRK-Retter. Von Montag bis Freitag sorgt er dafür, dass rund 300 Kindergarten- und Hortkinder ein warmes Essen auf den Teller bekommen. Das ist die Routine. Dafür wird er bezahlt.
Nicht auf Sparflamme, sondern im ganz großen Stil kocht Schuler aber vor allem dann, wenn die Keller voll sind und die Mägen leer – und das für alle: verzweifelte Betroffene, bangende Angehörige, ausgepumpte Helfer, entkräftete Retter. Der zweifache Vater gehört dem SEG-Team „Verpflegung“ der BRK-Bereitschaft Raubling an. Dafür wird er nicht bezahlt. Das macht er ehrenamtlich.
Wenn das Gulasch
im XXL-Kessel dampft
SEG – das steht für „Schnelle Einsatzgruppe“, und der Name ist Programm: Im Notfall muss es schnell gehen. Dann verlieren die SEG-Kräfte keine Sekunde. Sie retten, versorgen, kümmern sich, behandeln, betreuen, trösten, verpflegen, kochen, sichern und schützen.
„Schnelle Einsatzgruppen“, so bringt es in Bayern das Innenministerium auf den Punkt, sind „taktische Einheiten, die aus mehreren Personen bestehen“ und bei einer freiwilligen Hilfsorganisation „zur Bewältigung besonderer Einsatzsituationen bei Unglücksfällen, öffentlichen Notständen oder Katastrophen mit einer gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Vielzahl von Verletzten oder Erkrankten aufgestellt werden.“
Zugunglücke, wie das bei Bad Aibling 2016, Bombenfunde, Großbrände oder Hochwasser – das sind solche Extremlagen. Schuler hat alles schon mitgemacht. Bestenfalls vergehen nur drei Stunden, bis eine mobile Feldküche aufgebaut ist und 350 Portionen Gulasch im XXL-Kessel dampfen. Zur Gulaschsuppe gibt es ein paar warme Worte – wie gut das tut, wenn man eiskalt erwischt worden oder einfach nur fix und fertig ist!
Schulers bestes Gewürz dabei: Nächstenliebe. „Anderen Menschen zu helfen oder in glücklich-satte Kinderaugen zu schauen – das treibt mich an, das ist meine Motivation“, sagt der Dauerbrenner unter den Köchen, den Einsätze wie bei die Zugtragödie von Bad Aibling oder der Jahrhundertflut von 2013 geprägt haben. „In Bad Aibling konnte man förmlich in der Luft greifen, dass etwas Schreckliches passiert ist. Ein beklemmendes Gefühl“, erinnert er sich.
10000 Essen – weil
alle zusammenhelfen
Bei der Flut von 2013 hätte es ihn und andere BRK-Einsatzkräfte fast selbst erwischt. Viel hätte nicht gefehlt und sie wären mit ihrer Feldküche, die sie in Windeseile auf dem Gelände des Rosenheimer BRK-Zentrums aufgebaut hatten, selbst vom Hochwasser weggespült worden. „Das war beängstigend, das Wasser schwappte schon aus den Gullydeckeln herauf. Aber zum Glück hat der Damm dann doch gehalten.“ An die 10000 Essen – Kraftmacher wie Eintöpfe, Gulasch oder Nudeln und Tomatensoße – dürfte Schuler 2013 für Flutopfer und Helfer gekocht haben, so seine Schätzung.
Dabei betont der 35-Jährige, dass er als Koch der SEG-Einheit „Verpflegung“ nur ein Rad von vielen ist, die im Notfall ineinander greifen. Ob es seine 15 Kolleginnen und Kollegen von der BRK-Bereitschaft Raubling sind oder hunderte weitere Helfer – sie alle werden auch bei der nächsten Flut zur Stelle sein. Dafür üben sie. Dafür bilden sie sich fort, wollen noch besser und schneller werden.
Diesbezüglich könnten die beiden Katastrophenmobile, die mit Hilfe der Weihnachtsaktion „OVB-Leser zeigen Herz“ finanziert werden sollen, ein Meilenstein sein. „Die Einsatzwagen werden uns einen großen Zeitvorteil und Synergie-Effekte verschaffen“, ist Schuler überzeugt. Ein Zeitvorteil, von dem im Ernstfall alle Betroffenen und Einsatzkräfte in den Landkreisen Rosenheim und Mühldorf profitieren.
Zum Glück ist an Schulers Arbeitsplatz in der Großküche im Kindergarten Thansau nicht so viel Druck auf dem Kessel. Heute darf Theresa aus der Regenbogengruppe ihrem Lieblingskoch über die Schulter schauen und mit dem großen Schneebesen im Erbsen-Linsen-Eintopf im meterhohen 100-Liter-Kessel rühren.
Spaghetti wären
ihr lieber gewesen
Spaghetti Bolognese wären ihr zwar lieber gewesen, aber Schuler und seine Kollegin Cornelia Huber – seit zehn Jahren ein eingespieltes Großküchenteam – achten auf ausgewogene Kost.
Diesmal sorgen zehn Kilo Kartoffeln, acht Kilo Erbsen und fünf Kilo Linsen dafür, dass rund 300 Buben und Mädchen auf gesunde Art satt werden – nicht nur in Thansau, sondern auch in Oberaudorf, Neubeuern sowie Söllhuben und Moosen in der Gemeinde Riedering.
Und schmeckt’s? Mit einem „Mmmmhhmhh“ und einem glücklichen Grinsen lässt sich Theresa die Kostprobe auf der Zunge zergehen. Manchmal ist eben doch nicht der Hunger der beste Koch – sondern der Wille, anderen Menschen etwas Gutes zu tun.