Umweltskandal – seit 21 Jahren

von Redaktion

„Das gehört da nicht hin, das muss da raus“, fordern Grundeigentümer Ortholf von Crailsheim und 28 Mitstreiter. Es geht um die bunten Plastikgranulat-Kügelchen, die immer wieder im Freimoos und in den Ameranger Seen auftauchen. Über einen Umweltskandal, der seit 21 Jahren auf eine Lösung wartet.

Amerang/Halfing – 1000 Seiten Dokumentation, 21 Jahre unermüdlicher Kampf um Schadensbegrenzung, Behörden, die sich nach Ansicht des Vereins „Initiative Freimoos“ gegenseitig die Verantwortung zuschieben – und kein Ende in Sicht. So lässt sich ein Umweltskandal zusammenfassen, der scheinbar unlösbar ist. Aber präsent, sogar optisch: Erst vor wenigen Tagen entdeckten Vereinsmitglieder am Ufer des Zillhamer Sees wieder zahlreiche Plastikfetzen und -kugeln. Richtig schlimm war es laut des Vorsitzenden der „Initiative Freimoos“, Michael Peters, im Sommer, als das Gelände aufgrund der starken Regenfälle weitläufig überschwemmt war. Das Wasser trug große Mengen Granulat an die Oberfläche, das sich am Boden und im Schilf absetzte. Das Entsetzen war groß. Handlungsansätze? Fehlanzeige.

„Das Zeug gehört
da nicht hin“

Grundeigentümer Ortholf von Crailsheim (Schloss Amerang) wiederholt deshalb mantramäßig einen Satz, den er seit 21 Jahren wohl schon hunderte Male gesagt hat: „Das Zeug gehört da nicht hin, das muss da raus – denn ich habe das da nicht hineingetan.“ Dabei: Es wäre schon geholfen, wenn es wenigstens nicht zu weiteren Verschmutzungen komme. So sieht es auch Aki Becker, Pächter des Ameranger Sees, der 2003 zum ersten Mal auf die Verunreinigung des Gewässers mit Granulat-Kügelchen und -Futzeln aufmerksam geworden war. Damals hatte der Landkreis gerade große Teile des Moores als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Das Ameranger Freimoos gilt als kleines Paradies für Tiere und Pflanzen, auch für Arten, die vom Aussterben bedroht sind. Wanderer werden hier auf Naturlehrpfaden und Wegen hindurchgeführt und darauf hingewiesen, ihren Müll nicht wegzuwerfen. Daran halten sie sich auch in der Regel, stellt von Crailsheim fest. Er empfindet es ebenso wie Peters und Becker als Hohn, dass Verschmutzungen durch das Plastikgranulat anscheinend hingenommen werden sollen. So empfinden es die drei Männer, die unermüdlich auf die Problematik hinweisen, angesichts nach wie vor vorkommender Plastik-Einträge und nicht vorhandener Lösungsschritte. Während in Spanien wegen solcher Granulate an einem Strand der Umweltnotstand ausgerufen werde, geschehe in Amerang so gut wie nichts.

Es gibt zwar 1000 Seiten Schriftverkehr mit Ämtern und Behörden, Fachleuten und Experten. Derzeit laufen drei Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht München und dem Landgericht Traunstein. Doch auch hier geht es laut von Crailsheim nur schleppend voran. Dabei drängt die Zeit: Die Kügelchen sind nicht weg, im Gegenteil: Sie tauchen immer wieder auf, wie der Verein nach eigenen Angaben nachweist. Die zentrale Frage: Sind es Altstoffe, die immer wieder hochgeschwemmt werden oder sogar Neueinträge? Das könnten nur Proben vom Seegrund beantworten. Die große Lösung, ein Ausbaggern der Seen, gilt als unbezahlbar, eine Utopie quasi. Doch der Verein kann nicht verstehen, warum der Schaden nicht wenigstens begrenzt werde: etwa durch drei Absetzbecken mit Feinsieben, die täglich gereinigt werden müssten. Sie sollten an der Zillhamer Achen vor dem Einlauf zum Zillhamer See, vor dem Zulauf zum Ameranger See und nach dem Auslauf der Zillhamer Achen aus dem Ameranger See aufgestellt werden, schlägt Peters vor.

2022 gab es außerdem einen runden Tisch mit Vertretern von Ämtern und Fachbehörden. Dieses Treffen aller Beteiligten müsse dringend erneut angesetzt werden, fordern die Mitglieder. Sie haben sich fachliche Unterstützung geholt: Mit im Boot sitzt Max Finster von der Ortsgruppe Wasserburg des Bund Naturschutz. Involviert seien außerdem Vertreter des Landesbunds für Vogelschutz und des Landesfischereiverbands. Denn die Initiative Freimoos kann nicht glauben, dass das Granulat, wenn es von Vögeln und Fischen aufgenommen werde, für diese ungefährlich sei. Der Verein fordert deshalb immer wieder die Entnahme von Proben und deren Analyse. Das geschehe auch, doch die Ergebnisse würden nicht bekannt gegeben. Peters, Becker und von Crailsheim kritisieren den Umgang der Behörden mit der Thematik. Gleich mehrere seien involviert: Abfall-, Wasserwirtschafts-, Naturschutz- und Landratsamt sowie die Gemeinden Amerang und Halfing. „Der eine schiebt die Verantwortung dem anderen zu“, so der Eindruck von von Crailsheim. Dabei gehe es auch um eine ganz große Frage: „Wer haftet?“ Die Einträge kommen nach Überzeugung der Initiative über die Kanalisation in die Seen und ihre Zuläufe. Frühere und noch immer im Raum Halfing ansässige Unternehmen standen im Verdacht, doch für die Oberflächenentwässerung seien die Kommunen zuständig, meinen von Crailsheim, Becker und Peters. Mit Halfing liegt die Initiative deshalb seit Jahren im Clinch. Auch hier füllt die Angelegenheit mehrere Aktenordner. Der Verein fühlt sich außerdem von Amerang nicht ausreichend unterstützt.

Grundeigentümer von Crailsheim will nicht glauben, „dass man wirklich nichts machen kann, wie immer wieder zu hören ist“. Es fehle der erklärte Wille, den Umweltskandal aus der Welt zu schaffen. „Es gibt keine Zusammenarbeit, das ist einfach kein Gebaren“, sagt er. „Wir erwarten, dass alle Beteiligten versuchen, gemeinsam das Problem zu lösen.“

Die Politik interessiert sich zwar immer wieder mal für die Thematik: Aktuell bemühe sich die Kreistagsabgeordnete Martina Visser (Grüne) um eine Fortsetzung des runden Tisches von 2022, berichtet Peters. Auch der Bundestagsabgeordnete Karl Bär (Grüne) habe sich vor Ort im Freimoos ein Bild der Lage gemacht. Grundsätzlich gehe es darum, die Einträge zu stoppen, also den Schaden zu begrenzen, und die Verunreinigung zu beseitigen. All dies könne nur dann vollzogen werden, wenn der Verursacher feststehe, habe der Landrat in einer Antwort auf ein Schreiben von Becker ausgeführt. Die zentrale Frage: Wer ist der Gewässerunterhaltspflichtige?

Verantwortung liegt
bei den Ämtern

„Das zu klären, ist nicht unser Job“, betont von Crailsheim. Die Antwort müssten die Fachbehörden liefern, „da sitzen die Experten“. Stattdessen würden die beteiligten Ämter die Verantwortung von A nach B schieben, immer wieder auch mit dem Verweis auf die laufenden Gerichtsverfahren. Seit 21 Jahren sei das die gängige Praxis. „Das ist der eigentliche Skandal“, findet von Crailsheim. Plastikgranulat im Landschaftsschutzgebiet, in Seen, an Ufern, auf Streuwiesen: „Es kann doch nicht sein, dass diese Stoffe mit toxischem Charakter kein Problem für die Umwelt darstellen.“

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