„Es könnte morgen wieder losgehen”

von Redaktion

Interview Professor Dr. Maas über weitere Pandemien und wie man sich vorbereitet

Neubeuern – Lange wird es nicht mehr dauern, bis wieder eine Pandemie auf die Menschen zukommt. Das machte Medizinforscher Professor Dr. Jochen Maas beim Wirtschaftsforum auf Schloss Neubeuern deutlich. Doch was passiert, wenn ein neues gefährliches Virus auf die Gesellschaft trifft? Ist man besser vorbereitet oder fordert es wieder Millionen Opfer wie bei der Corona-Pandemie? Im exklusiven Interview mit den OVB-Heimatzeitungen wirft der Experte einen kritischen Blick in die Zukunft. 

Aus Ihren Vorträgen lässt sich heraushören, dass die nächste Pandemie bald auf uns zukommen wird, stimmt das?

Mit Sicherheit. Und zwar aus mehreren Gründen. Grund Nummer eins ist, dass wir als Menschen immer mehr in unberührte Gebiete vortreten. Amazonas, Kongo und so weiter. Das heißt, wir kommen in Kontakt mit Viren und so trivial es klingen mag, es sind sehr häufig Fledermausviren, die gefährlich werden, weil das Virenpotenzial bei Fledermäusen exorbitant groß ist. Zweitens reicht auch der Blick vor die eigene Haustür.

Inwiefern?

Beispiel Massentierhaltung, nur mal so ein Gedankenexperiment. Stellen Sie sich vor, Sie haben in einem Schweinestall Schweinegrippe, jetzt fliegt eine Schwalbe durch, die hat Vogelgrippe, und dann kommt der Landwirt rein, der hat eine „normale“ Grippe. Dann haben Sie drei Grippeviren, die rekombinieren können und ein völlig neues Virus erschaffen, das wir bis heute noch gar nicht kennen. Und der dritte Grund, es gibt interessante Studien, die vorhersagen, dass eine globale Temperaturerhöhung um zwei Grad die Wahrscheinlichkeit, dass Viren Artengrenzen überspringen, um den Faktor zehn bis 20 erhöht. Das heißt, in der Wissenschaft sind wir uns völlig einig: Es wird wieder eine Pandemie kommen. Wir hoffen nur, es ist erst 2028, 2029 oder später und nicht 2025. 

Das klingt, als reden wir nicht von einer langen Zeitspanne…

Meine ganz subjektive, persönliche Einschätzung? Sicher in den nächsten zehn Jahren. Und man muss natürlich auch dazu sagen, dass es eine „harmlose Pandemie“ sein kann, die nicht diese Todesraten wie Corona hat. Die lagen am Anfang bei 3,5 bis vier Prozent. Aber auf der anderen Seite kann natürlich auch eine Pandemie kommen, wie die Spanische Grippe 1918, damals waren es 40 Millionen Tote. Also die Variationsbreite ist relativ groß, aber eine Pandemie wird auf alle Fälle kommen. 

Wie gut sind wir darauf vorbereitet?

Der Mensch vergisst recht schnell. Definitiv. Aber wir sind schon etwas besser gewappnet. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele. Man hat angefangen schon jetzt Fledermaus-Genome zu kartieren, um schon die Informationen, die ein Virus mitbringt, parat zu haben, um einen Impfstoff so schnell wie möglich produzieren zu können. Außerdem haben wir jetzt eine völlig neue Impfstoffklasse, die RNA-Impfstoffe. Die gab es vorher nicht. Diese RNA-Impfstoffe sind innerhalb von sechs Wochen adaptierbar auf neue Varianten eines Virus. Die klassischen Impfstoffe, die Protein-Impfstoffe, brauchen dazu acht bis neun Monate. Hinzu kommt: Wir haben in der Zwischenzeit tatsächlich auch Behörden, die sich damit beschäftigen, wie die neu gegründete HERA in Europa oder das sehr gut arbeitende Robert-Koch-Institut in Deutschland.

Der Umgang mit einer Pandemie ist demnach in gewisser Weise in der Gesellschaft verankert?

Zumindest zu einem gewissen Teil. Wir sollten im Hinterkopf haben, dass wir auch einiges gelernt haben, wie das tägliche Leben in Pandemiebedingungen funktioniert. Also müssen wir tatsächlich die Schulen schließen, oder kann man es von Fall zu Fall auch lassen? Oder muss man tatsächlich einen absoluten Lockdown verhängen oder kann man das ein bisschen lockerer handhaben? Wir haben ja jetzt auch die Ergebnisse aus den Ländern, die das unterschiedlich gemacht haben. Schweden hat es anders gemacht als Dänemark, die wiederum anders als wir in Deutschland und alle genannten ganz anders als Bolsonaro, der ehemalige Präsident in Brasilien. Der hatte übrigens eine hohe Todesrate mit seinem Laissez-faire-Ansatz. Also da hat man schon einiges gelernt. 

Was wurde bereits wieder vergessen?

Wir haben damals die Situation gehabt, dass alle Fünf, die an so einer Impfstoffentwicklung beteiligt sind, namentlich die akademische Forschung, die industrielle Forschung, die Politik, die Behörden und die Produktionsstätten, extrem intensiv miteinander zusammengearbeitet haben. Da hat kein Blatt dazwischen gepasst, man wollte so schnell wie möglich einen Impfstoff haben. Deswegen haben wir einen in elf Monaten auf den Markt gebracht. Die normale Impfstoffentwicklung dauert sieben bis neun Jahre, das muss man sich mal überlegen. Ich stelle mir die Frage: Warum brauchen wir eigentlich eine Krise dazu? Warum kriegt man das auch in Nicht-Krisensituationen hin? Und warum transferieren wir es nicht auch auf die normale Arzneimittelentwicklung? 

Was ist Ihr wichtigstes Anliegen ?

Sich immer vor Augen halten: Es könnte morgen wieder losgehen. Und nicht verdrängen. Der Mensch ist ein „Kopf-in-den-Sand-Stecker“, wenn es darauf ankommt. Und man sollte sich einfach der Tatsache bewusst sein, dass es wieder passieren kann. Im nächsten Schritt kann man dann sagen, wir müssen uns in bestimmten Dingen tatsächlich ein bisschen fokussieren und einschränken. Aber dafür muss es uns erstmal bewusst sein, damit wir kurzfristig darauf reagieren können.

Wie muss diese kurzfristige Reaktion aussehen?

Dafür komme ich auf mein vorheriges Beispiel zurück. Wir haben einen großen Unterschied zwischen der Spanischen Grippe und Corona. Die Spanische Grippe ist damals auch „von allein“ ausgelaufen, aber mit 40 Millionen Toten. Der große Vorteil, wir hatten gegen Corona den Impfstoff, den es damals nicht gab. Das bedeutet, wir müssen die Impfstoffforschung vorantreiben. Wenn Sie jetzt die deutschen Gesundheitsausgaben anschauen: Nur 0,6 Prozent davon sind für Impfungen. Das dürfte gerne auch höher sein. Zudem brauchen wir Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Ich habe mich immer geärgert über manche Argumente von Impfgegnern. Die Impfung ist nach wie vor die preiswerteste und beste Prävention, die es überhaupt gibt für ganz, ganz viele Erkrankungen. Interview: Korbinian Sautter

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