Traunstein/Rosenheim – Infolge eines Schockanrufs wegen eines „von der Enkelin verschuldeten Verkehrsunfalls“ war eine 80-Jährige aus einem Dorf im nördlichen Landkreis Rosenheim bereit, all ihr Geld herzugeben – um die junge Frau vor der Inhaftierung durch die Polizei zu bewahren. Die Übergabe von 26600 Euro vor dem Kindergarten der Gemeinde verhinderte am 7. Mai im letzten Moment eine aufmerksame Polizistin (wir berichteten).
Den gescheiterten Abholer (34) verurteilte die Sechste Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Jacqueline Aßbichler gestern wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren drei Monaten. Einen weiteren Vorwurf, eine „Verabredung zum Verbrechen“ mit Mittätern, hatte das Gericht auf Antrag von Staatsanwalt Dr. Simon Fink mit Blick auf die verbleibende Tat eingestellt. Dabei ging es um eine Flut von Schockanrufen am gleichen Tag – in den Landkreisen Traunstein, Rosenheim, Mühldorf, Miesbach und Weilheim.
Der Angeklagte wurde verdächtigt, in Traunstein auf Aufträge zum Abholen von Vermögenswerten bei hereingelegten Opfern gewartet zu haben. Dieser Punkt spielte im Urteil aber keine Rolle mehr. Obwohl der 34-Jährige aus Tschechien alles leugnete und Verteidiger Marc Duchon aus München folglich Freispruch beantragte, sah die Kammer die Tat als nachgewiesen an. Der Angeklagte hatte behauptet, er sei, wovon seine Handydaten zeugten, in Deutschland in verschiedene Orte gereist, um „Dokumente“ bei Angehörigen seines Chefs, zuletzt bei der Schwiegermutter im Landkreis Rosenheim, abzuholen. Von Schockanrufen und einer Bande wisse er nichts, lautete die Einlassung. Das tatsächliche Handeln des Angeklagten sei nicht glaubwürdig, sei lebensfremd und nicht plausibel, stellte Frau Aßbichler in der Urteilsbegründung fest. Schockanrufe funktionierten nur mit extrem gut geplantem Ablauf – „wie Zahnräder, die ineinandergreifen.“ Bis zuletzt müsse ein Opfer von staatlichen Maßnahmen überzeugt sein. Ob die 80-Jährige die „Schwiegermutter des Chefs“ gewesen sei, danach habe der Angeklagte in der konkreten Situation vor dem Kindergarten gar nicht gefragt.
Er sei vielmehr um die dort im Auto wartende alte Dame „herumgeschlichen“. Er hätte zum Beispiel auch seinen Telefonpartner nach dem Aussehen der „Schwiegermutter“ fragen können. Das Fazit der Vorsitzenden Richterin: „Alles passt nicht zum Abholen von Dokumenten.“ Außerdem habe der 34-Jährige die Zeugin in Person der Polizeibeamtin offensichtlich beobachtet. Die Zeugin hätte ihm im Fall von Dokumentenabholung „egal sein können“. Typisch sei zudem das ganz abseits geparkte Auto des Tschechen: „Man sollte den Wagen nicht sehen.“
Zur bandenmäßigen Vorgehensweise verdeutlichte Frau Aßbichler: „Betrug mit Schockanrufen ist nur mit anderen zusammen erfolgreich.“ Die Tat sei ein „Versuch“ geblieben – dank der sehr aufmerksamen Passantin, der Polizistin, die nicht im Dienst war und die Geschädigte kannte. Die Zeugin habe gesehen, wie die 80-Jährige „ängstlich mit dem Geld in der Hand im Auto sitzt“ und habe einen Enkeltrick erkannt. Die Beamtin hatte den 34-Jährigen verfolgt und Kollegen übergeben.
Unter den strafmildernden Aspekten erwähnte Frau Aßbichler, in Deutschland sei der Angeklagte nicht vorbestraft. Es sei kein materieller Schaden entstanden. Der 34-Jährige sitze seit Mai 2024 in Untersuchungshaft und sei gesundheitlich beeinträchtigt. Andererseits habe er in Tschechien bereits Kontakt mit der Justiz gehabt. Negativ wirke der psychische Druck auf und die psychischen Folgen für die Geschädigte.
Dazu die Vorsitzende Richterin: „Die 80-Jährige schämt sich sehr, schläft schlecht und zuckt beim Klingeln des Telefons zusammen.“ Die Bande habe 50000 Euro verlangt. Das Opfer habe lediglich 26600 Euro „zusammenkratzen können“. Strafschärfend sei darüber hinaus die hohe kriminelle Energie bei der Tat zu werten. Ähnliche Aspekte hatte Staatsanwalt Dr. Simon Fink in seinem Plädoyer auf sechs Jahre Freiheitsstrafe vorgetragen.