Landkreis – „Das Bundesverwaltungsgericht hat ein unglaubliches Joch vom Bergwild in Bayern genommen“, freut sich Dr. Christine Miller, die Vorsitzende des Vereins Wildes Bayern. Dieser klagt seit Jahren gegen die Regierung von Oberbayern. Die Behörde hatte mit einer Verordnung die Schonzeiten aufgehoben und es damit ermöglicht, Reh-, Rot- und Gamswild auch außerhalb der regulären Jagdzeiten zu schießen. Nach Informationen der Deutschen Wildtier-Stiftung führte das dazu, dass es in Oberbayern auf über 25000 Hektar keine Schonzeit mehr gab.
Auch in der Region Rosenheim waren zahlreiche Flächen betroffen. So galt die Schonzeit-Aufhebung unter anderem für die Bereiche Gießenbach, Innerwald, Klausgraben und Wildbarren (Landkreis Rosenheim). Im Landkreis Traunstein waren insgesamt 29 Gebiete ausgewiesen, darunter Hochfelln und Kampenwand.
Verordnung als
unwirksam eingestuft
„Seit über 20 Jahren wird auf großen Flächen in den oberbayerischen Gebirgswäldern dem Wild keine Ruhe mehr gelassen“, kritisiert Miller. „Mit dem Argument, dass sich der schützende Bergwald in Auflösung befinde und bei Anwesenheit von Wildtieren nicht mehr verjüngen könne, hebt die Regierung von Oberbayern alle fünf Jahre per Verordnung großräumig die Schonzeit für Rehe, Gämsen und Hirsche auf.“ Dadurch würden die Tiere in den überlebenswichtigen Winterlebensräumen „in ihrer dringend benötigten Ruhephase im Winter und im Frühjahr von Schützen verfolgt“.
Jetzt lag die Klage des Vereins vor dem Bundesverwaltungsgericht. Mit dem Ergebnis, „dass die Verordnung über die Änderung der Jagdzeiten für Schalenwild in Sanierungsgebieten im Regierungsbezirk Oberbayern vom 22. Februar 2019 als unwirksam eingestuft wurde“, informiert eine Sprecherin auf OVB-Anfrage.
„Die Regierung von Oberbayern hat mit der Verordnung auf Antrag der Bayerischen Staatsforsten in bestimmten Schutzwaldgebieten Oberbayerns die Schonzeiten für Rot-, Gams- und Rehwild in unterschiedlichem Umfang verkürzt“, bestätigt ein Sprecher der Regierung von Oberbayern. „Ziel der Verordnung war es, die betreffenden Schutzwälder, die mit erheblichem Aufwand saniert wurden und fortlaufend saniert werden, in ihrem Bestand und ihrer Verjüngung vor übermäßigem Verbiss zu schützen.“
Für den Schutz von Siedlungen, Infrastrukturen und Landschaft seien intakte Schutzwälder von zentraler Bedeutung. „Sie stabilisieren Hänge und schützen damit auch die Tallagen vor Bodenerosion, Muren- und Lawinenabgängen. Sie binden außerdem Niederschlagswasser und leisten damit auch einen erheblichen Beitrag zum Schutz vor Hochwasser.“
Gefahren und
Schäden durch Verbiss
Die Gefahren und Schäden durch Verbiss seien auch wesentliches Kriterium für die Landratsämter beim Erlass ihrer Abschusspläne, erläutert die Regierung von Oberbayern. „Allein diese legen verbindlich und abschließend die Abschusszahlen fest. Die Verordnung der Regierung von Oberbayern hatte daher auch keine Auswirkung auf die festgelegten Abschusszahlen, sondern verlängerte lediglich in Bezug auf bestimmte Tierarten und Flächen den Zeitraum, der zur Erfüllung der geltenden Abschusspläne zur Verfügung stand.“
Dennoch: Der Verein Wildes Bayern hielt die gelebte Praxis „nicht für rechtskonform“ und klagte. Im September 2022 noch erfolglos, denn der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bestätigte die Verordnung der Regierung von Oberbayern in der Vorinstanz.
„Dabei teilte der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung der Regierung, dass es sich bei der Verordnung um eine Maßnahme handelt, die gerade dem Erhalt der betreffenden Schutzwald- und Fauna-Flora-Habitat-Gebiete (FFH) in ihrem Bestand dient“, erläutert der Regierungssprecher auf OVB-Anfrage. Zudem sei für sogenannte Gebietserhaltungsmaßnahmen keine Verträglichkeitsprüfung im Sinne der FFH-Richtlinie erforderlich.
Doch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sah es anders und hob das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. September 2022 auf.
„Nach einem Marathon durch die Gerichtsinstanzen kam das Wild der bayerischen Berge am 7. November nun endlich zu seinem Recht“, betont Vereinsvorsitzende Miller. Die Klage wurde von den Umwelt-Juristen Leopold M. Thum und Peter Fischer-Hüftle vertreten. „Das Bundesverwaltungsgericht ist ihrer Argumentation gefolgt und erklärte die Verordnung zur Änderung der Jagd- und Schonzeiten für Schalenwild in Sanierungsgebieten für nicht rechtskonform“, informiert Miller. Entscheidend sei nach ihren Informationen das Argument gewesen, dass die „Auswirkungen der Schonzeitaufhebungen auf geschützte Wildarten, auf Gamswild und auf geschützte Lebensräume niemals fachlich von den zuständigen Stellen geprüft worden“ seien.
Verein feiert
„Sensationserfolg“
Die vollständigen Urteile, Beschlüsse und Begründungen des Bundesverwaltungsgerichts wurden noch nicht veröffentlicht. „Deshalb können wir die Konsequenzen dieser Entscheidung auch noch nicht einschätzen“, sagt der Regierungssprecher. Doch unabhängig davon sei die Verordnung vom Februar 2019 planmäßig bereits am 31. Juli außer Kraft getreten, da sie von vornherein entsprechend befristet war.
Wie es nun weitergeht? Für den Verein Wildes Bayern ist klar: „Die Entscheidung ist ein absoluter Sensationserfolg für unsere heimischen Wildtiere“, so Dr. Christine Miller. „Wildtiere einfach für vogelfrei zu erklären, ohne ihre Rolle als Bestandteile der Natur zu berücksichtigen, ist überkommen und unserer heutigen Sicht auf die Natur absolut nicht mehr gemäß.“ Nun müsse sich erweisen, ob und wie sich diese Entscheidung auf das Schutzwaldmanagement auswirke.
Dazu gibt es aus der Regierung von Oberbayern bereits ein klares Signal. „Auch nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist klar, dass für den Erhalt des Schutzwalds und seiner Funktionen eine Nachfolgeregelung unerlässlich ist.“ Daran arbeite die Regierung von Oberbayern bereits. Den Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts soll Rechnung getragen werden. Ziel sei es, dass am 15. Dezember eine Nachfolgeregelung in Kraft tritt. Geht der Rechtsstreit nun in die nächste Runde?