Rosenheim/Mühldorf – Liegt Hilfsbereitschaft in den Genen? Ist selbstloser Dienst am Nächsten vererbbar? In Wasserburg zeigt eine BRK-Retterfamilie wie aus dem Bilderbuch, dass das Sportlermotto „Mia san mia“ zwar für den Fußballplatz taugen mag, im richtigen Leben jedoch zu kurz greift.
Mia san eben ned nur mia. Keiner weiß das besser als Norbert Pache (60) von der Wasserburger BRK-Bereitschaft. Seine lange Einsatzbilanz liest sich wie eine Chronik epochaler Dramen in Europa. Ende der 80er, als die ersten DDR-Flüchtlinge über den löchrigen Eisernen Vorhang in Ungarn fliehen; Mitte der 90er, als der Balkankrieg tobt; Anfang der 2000er, als das Wasser meterhoch in der Semperoper steht; oder Mitte 2020, als die ersten Ukraine-Flüchtlinge kommen: Pache ist überall dabei.
Ob Grenze, Kriegs- oder Hochwassergebiet – überall hat es der Wasserburger mit verzweifelten Menschen zu tun, die alles verloren haben: ihre Heimat, ihre Bleibe, ihre Familien. Pache tröstet sie, kocht für sie, reicht ihnen einen Teller mit Eintopf oder schafft, im Balkan sogar unter Lebensgefahr, im Konvoi warme Decken herbei.
Oder er ist einfach nur da. Die Botschaft: Ihr seid nicht allein! Wir helfen euch! Mia san ned nur mia, mia san für eich do!
Allein ist auch Pache daheim in Wasserburg nicht, und das gilt fürs Retter- wie auch fürs Familienleben: Zusammen mit Ehefrau Waltraud (56), Sohn Dominik (30) und Tochter Magdalena (27) bildet er beim Wasserburger Roten Kreuz ein starkes und eingespieltes BRK-Quartett. Und das freiwillig: „Wir haben unsere Kinder nicht dazu gezwungen“, lachen die Eltern.
Schmetterlinge im
Bauch beim Sani-Kurs
Erstmals begegnet sind sie sich in den 80ern – natürlich beim BRK: Im Sanitätskurs durften sie die schöne Erfahrung machen, dass ein erhöhter Puls nicht zwangsläufig auf eine kritische Einsatzlage zurückzuführen ist. Manchmal sind es nur die Schmetterlinge im Bauch. Helfen verbindet – und bindet manchmal fürs Leben.
Beruflich sind die Paches vielseitig aufgestellt: Der Vater ist OP-Pfleger, der Sohn Elektroniker, die Frauen arbeiten in einer Behörde und im Büro. Doch in der BRK-Bereitschaft haben sie in der Schnellen Einsatzgruppe (SEG) „Verpflegung“ eine gemeinsame Mission: bei größeren Katastrophen dafür sorgen, dass Hunderte verzweifelte Betroffene und ausgepumpte Helfer etwas Warmes in den Magen bekommen, wieder Mut fassen und Kraft tanken können.
Dafür müssen sie verdammt schnell sein und mit hoher Kompetenz unter enormem Zeitdruck eine Feldküche aufbauen, die so viel Energie herbringt, dass das Nudelwasser im 100-Liter-Kessel in wenigen Minuten kocht. „Wir brauchen dafür so viel Energie, dass 95 Prozent aller Heizungen in den Häusern das nicht verkraften würden“, sagt Norbert Pache.
Eineinhalb Tonnen
Spätzle im Kessel
Auch die Lebensmittelbeschaffung muss durchdacht sein. Wo bekommt man spät am Abend auf die Schnelle 100 Pfund Nudeln her? Welchen Metzger kann man mitten in der Nacht aus dem Bett klingeln? Fragen über Fragen.
Eine Katastrophe kommt in Sekunden, einsatztaktisches Geschick nicht: Tage, Wochen, Monate und Jahre opfern ehrenamtliche BRK-Kräfte wie die Familie Pache für Vorplanung, Training, Wartung und Fortbildung. „Wir lernen bei jedem Einsatz dazu“, sagt Magdalena.
Für Katastrophen biblischen Ausmaßes gilt das besonders, wie etwa die Flut im Ahrtal 2021. Rund 10000 Essen dürften Vater und Sohn Pache dort gekocht haben: Geschnetzeltes mit Spätzle, Eintöpfe oder Spaghetti Bolognese. Eineinhalb Tonnen Spätzle landeten dabei im Kessel.
Der größte humanitäre Einsatz des Deutschen Roten Kreuzes seit dem Zweiten Weltkrieg war zugleich Dominiks erste größere Katastrophenmission. Er erinnert sich noch gut an einen Sterne-Koch, selbst ein freiwilliger Helfer, der schier fassungslos vor Bewunderung war: „Sagenhaft, was ihr hier mit euren Großküchen leistet. Chapeau!“
Ein solches Kompliment nimmt man gerne mit nach Hause – aber auch ein mulmiges Gefühl, eine bange Frage: So etwas wie im Ahrtal, ist das auch hier in der Region möglich, direkt vor der Haustür?
Norbert Pache ist weder Schwarzmaler noch Wetter-Prophet, sondern ein Mann mit Erfahrung. Im Ahrtal sah er das Wasser zwei Meter hoch in Häusern stehen, die 500 Meter vom Fluss entfernt lagen – ein Fluss, der sonst einen Normalwasserstand von nur einem halben Meter hat. „Dass es nicht Inn und Mangfall waren, die über die Ufer traten, sondern eher kleinere Flüsse und Bäche – diesen Trend haben auch in der Region die jüngsten Hochwasser bestätigt“, sieht der 60-Jährige eine Parallele.
Wenn also mehrere Faktoren wie tagelanger Starkregen und gesättigte Böden zusammenkommen, dann sei so etwas überall denkbar – „auch bei uns“. Ein beunruhigendes Wenn-Dann-Szenario, auch wenn es nicht zwangsläufig eintritt.
Zahlscheine liegen
dieser Ausgabe bei
Nur gut, dass es auch beruhigende Wenn-Dann-Sätze gibt, die ganz sicher zutreffen. Zum Beispiel dieser: Wenn die nächste Katastrophe kommt, dann werden die Paches wieder zur Stelle sein. Weil ihnen Helfen im Blut liegt. Oder in den Genen. Und weil im Retterleben das „Wir alle zusammen“ zählt – nicht nur das „Mia san mia“.
Überweisungsträger (Zahlscheine) für die Weihnachtsaktion „OVB-Leser zeigen Herz“ liegen dieser Ausgabe bei.
Die Namen der
Spender, Seite 35