Chiemgau – Am 15. Dezember beginnt die Schonzeit für Gamswild. Doch auch in diesem Winter bleibt es offenbar nicht verschont. Erst im November hatte das Bundesverwaltungsgericht die Verordnung zur „Schonzeit-Aufhebung“ für Bergwild in Sanierungsgebieten der bayerischen Bergwälder für rechtswidrig erklärt. Der Verein Wildes Bayern hatte dagegen geklagt, dass Reh-, Rot- und Gamswild auch außerhalb der regulären Jagdzeiten geschossen werden darf. Und Recht bekommen. Jetzt aber gibt es schon wieder eine neue Verordnung zur Schonzeit-Aufhebung, die ab 16. Dezember gelten soll. Die Jäger selbst fordern eine Jagdzeitverkürzung. Welche Gründe es dafür gibt, erklärt Ernst Weidenbusch, der Präsident des Bayerischen Jagdverbandes, im OVB-Interview.
Der Verein Wildes Bayern beklagt, dass Wild in Schutzwald-Sanierungsgebieten als „vogelfrei“ behandelt und selbst in seiner „dringend benötigten Ruhephase im Winter und Frühjahr von Schützen verfolgt“ wird. Warum sind Jäger so schießwütig?
Die Staatsjagdreviere im Hochgebirge mit Schutzwaldanteilen werden von Förstern und von Berufsjägern der Bayerischen Staatsforsten bejagt. Oft hat man das Gefühl, dass ihnen der Schutzwald wichtiger als jedes Wild ist. Unser Bayerischer Jagdverband ist ein anerkannter Naturschutzverband und vertritt die Interessen von 50000 Mitgliedern in 157 Kreisgruppen und Jägervereinen. Wir sprechen uns klar gegen die unregulierte Schonzeit-Aufhebung aus und fordern generell eine Verkürzung der Jagdzeiten für alles wiederkäuende Schalenwild, zu dem Gams-, Rot-, Reh-, Stein- und Schwarzwild gehören.
Bergwälder sind dann sanierungsbedürftig, wenn ihre Schutzfunktion gestört ist. Birgt es keine Gefahr für die Menschen im Tal, wenn weniger gejagt wird und der Verbiss steigt?
Wissenschaftliche Erkenntnisse und auch das jüngste forstliche Gutachten vom November belegen, dass dort, wo öfter und länger Jagdruhe herrscht, der gemessene Verbiss zurückgeht. Beispielhaft dafür sind Regionen, in denen aufgrund von Klagen des BJV Jagdzeitverlängerungen durch Gerichtsbeschlüsse zurückgenommen wurden. Gleichzeitig zeigt die Verbissbilanz der Bergwälder aber, dass dort, wo aufgrund der Schonzeitaufhebungsverordnung der Regierung von Oberbayern in den vergangenen fünf Jahren Gams, Rotwild und Rehe ganzjährig gejagt werden durften, der Verbiss deutlich zugenommen hat.
Wie kann also der Waldumbau in den Bergwäldern gelingen?
Damit der Umbau zu klimastabilen Wäldern gelingen kann, fordern wir daher generelle Schonzeiten für alles wiederkäuende Schalenwild vom 1. Januar bis 30. April und zusätzlich von Juni bis Mitte Juli. So kann der fatale Jagddruck reduziert werden, so finden wildökologische Belange wieder Berücksichtigung. Und dort, aber eben auch nur dort, wo Gefahren für Menschen und wichtige Infrastruktureinrichtungen dies rechtfertigen, sind Maßnahmen auch in der gesetzlichen Schonzeit geboten.
Die Regierung von Oberbayern bereitet gerade eine neue Verordnung zur Schonzeit-Aufhebung vor. Auch der Bayerische Jagdverband hat dafür zugearbeitet. Widerspricht sich das nicht?
Ganz im Gegenteil. Wir bemühen uns darum, die geltenden oder auch geplante Verordnungen und Gesetze im Sinne des Naturschutzes zu verbessern. Um beispielsweise die Jagdzeiten auf wiederkäuendes Schalenwild so zu verkürzen, dass der Jagddruck abnimmt, müsste das Bayerische Jagdgesetz geändert werden. Und auch wenn wir als Bayerischer Jagdverband schon lange eine deutlich dezidiertere Formulierung der Verordnung zur Schonzeitverkürzung für Gams-, Rot- und Rehwild fordern, bedeutet das nicht, dass die Regierung von Oberbayern dieser Forderung nachkommt. Die bisherige Verordnung ist am 31. Juli ausgelaufen, eine neue ist bereits in Arbeit. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtshofes macht aber klar, dass der Erlass einer neuen Verordnung ohne genaue Prüfung der tatsächlichen und möglichen Konsequenzen für geschützte Lebensräume und geschützte Wildarten durch qualifizierte Fachleute und die zuständigen Behörden nicht mehr möglich sein wird. Im Rahmen der Verbände-Anhörung wurde uns eine solche Prüfung nicht vorgelegt.
Welche Vorschläge hat der Bayerische Jagdverband gemacht?
Bis Juli 2024 waren 85 Sanierungsgebiete im Bergwald ausgewiesen, in denen auch innerhalb der Schonzeiten Gams, Reh und Hirsch bejagt werden durften. Das waren einfach zu viele, auch in den Landkreisen Rosenheim und Traunstein. Verglichen mit der Verordnung, die von 2019 bis 2024 in Kraft war, ist die Fläche für den Entwurf der neuen Verordnung um mehr als 17 Prozent reduziert worden. Von bisher knapp 26000 Hektar waren aktuell noch etwas mehr als 21000 Hektar entsprechend ausgewiesen. Beispielsweise sind am Staufen und Hochfelln Flächen weggefallen.
Nach welchen Kriterien wurden die Flächen ausgewählt, die keinen Schutz durch ganzjährige Jagd mehr brauchen?
Die Sanierungsgebiete wurden unserer Meinung nach bisher zu großzügig ausgelegt. Im Sinne des Naturschutzes haben wir deshalb gemeinsam mit unseren Kreisgruppen und den Bayerischen Staatsforsten (BaySF) vor Ort begutachtet, wo eine ganzjährige Jagd wirklich notwendig und wo sie kontraproduktiv ist, sowie einen entsprechenden Vorschlag erarbeitet. Dort, wo der Bergwald Menschen, Ortschaften, Straßen und andere Infrastruktur vor Lawinen, Muren und Sturzfluten schützt, ist die Ausweisung der Sanierungsgebiete selbstverständlich unverändert geblieben. Wir haben einen Zehn-Punkte-Plan für die tatsächliche Jagdausübung vorgeschlagen. Unter anderem fordern wir, dass als Voraussetzung für die Jagd innerhalb der Schonzeit für jedes Ausnahmegebiet eine jährliche Inspektion durch BaySF und BJV erfolgen muss. Für 24 Schonzeitaufhebungsgebiete haben wir im Februar und März ein Jagdverbot vorgeschlagen. Damit wollen wir sicherstellen, dass bei einer neuen Verordnung insbesondere den Bedürfnissen des Gamswildes besser Rechnung getragen wird. Wir müssen dafür sorgen, dass das Zusammenleben von Wild und Wald funktioniert und wollen mit unseren Forderungen den Aufwuchs des Schutzwaldes sichern, ohne die Gamswildbestände zu gefährden.
Wie steht es denn um das Symboltier der bayerischen Alpen?
Die Gamsbestände haben in Bayern vielerorts abgenommen, eben auch durch die gebietsweise Aufhebung der Schonzeiten und stärkere Bejagung aufgrund waldbaulicher Ziele. Die Gams steht seit 2020 auf der Vorwarnliste der Roten Liste. Das heißt, dass sie zwar noch nicht vom Aussterben bedroht, aber ihr Bestand besorgniserregend gering ist.
Der BJV fordert in seinem Zehn-Punkte-Plan auch, dass die jagdliche Verantwortung in den Sanierungsgebieten ausschließlich bei den Berufsjägern der Bayerischen Staatsforsten liegen solle. Warum?
Die Jagd auf die Gams darf nicht zu einer Touristenattraktion werden, sondern sollte in der Verantwortung von geeigneten Persönlichkeiten für eine qualifizierte und sichere Jagdausübung bleiben. Am 26. Januar 2024 ist ein Jagdgast aus Hessen bei der Gamsjagd im Staatsforst im Berchtesgadener Land tödlich verunglückt. Bereits im April 2022 war es zu einem ähnlichen Vorfall gekommen. Diese Schicksale wären vermeidbar gewesen, wenn es nicht die behördliche Aufhebung der gesetzlichen Schonzeit gegeben hätte, die bei Gamswild vom 15. Dezember bis zum 1. August gilt, und wenn sich die örtliche Forstbetriebsleitung an die Zusagen gegenüber dem Verwaltungsgericht gehalten hätte. Dann wäre im Januar, einer im Hochgebirge wetterbedingten Unzeit, kein auswärtiger Jäger auf Gamsjagd im gefährlichen Gelände gewesen. Deshalb sagen wir als Jagdverband: Wenn es überhaupt eine neue Verordnung zur Schonzeit-Aufhebung geben sollte, muss darin die Erlaubnis zur Jagd auf ortskundige, forstliche Mitarbeiter der Bayerischen Staatsforsten und einheimische Jäger mit ganzjährigen Begehungsscheinen beschränkt werden.
Interview: Kathrin Gerlach