Traunstein/Ampfing/Wien – 14 Jahre Gefängnis für den Fahrer (23) des Scoutfahrzeugs, auch Organisator der Schleusertour, dazu fünf Jahre Freiheitsstrafe beziehungsweise fünf Jahre Jugendstrafe für zwei 24 und 18 Jahre alte Mitfahrer in dem Begleitwagen – damit endete der Prozess gegen drei Scouts am Mittwoch vor der Jugendkammer am Landgericht Traunstein. Vorsitzende Richterin Heike Will begründete ausführlich, warum die Angeklagten mitverantwortlich waren für den Horrorunfall eines 25-jährigen Schleusers mit einem völlig überladenen Kleinbus an der Autobahn A94, bei dem am 13. Oktober 2023 sieben Flüchtlinge starben und 15 teils schwerst verletzt wurden.
Der Schuldspruch bei allen Angeklagten lautete: Schleusung von Illegalen mit Todesfolge in sechs Fällen und gefährliche Schleusung in 13 Fällen. Das getötete Kind und zwei weitere Minderjährige unter den Verletzten wurden dabei ausgeklammert. Der Grund: Laut Rechtsprechung können Kinder keine Schleusungen begehen.
Die Scouts, wie der Unfallfahrer syrische Staatsangehörige aus dem Raum Wien und in Deutschland nicht vorbestraft, waren dem Kleinbus Mercedes Vito mit dem 25-Jährigen am Steuer durch Österreich mit einem BMW 520d vorausgefahren. In jener Nacht lotsten sie den Kleinbus beim Anblick von Polizei am Grenzübergang Simbach zum Grenzübergang Burghausen um. Der 25-Jährige setzte danach seine nächtliche Fahrt über die Bundesstraße B20 auf die Autobahn A94 in Richtung München fort. Angesichts einer drohenden Polizeikontrolle versuchte er, zu flüchten. Bei bis zu Tempo 180 Stundenkilometer kam es zu hochgefährlichen Situationen. In der Ausfahrt Waldkraiburg/Ampfing ereignete sich gegen 3.15 Uhr der schlimme Unfall – wegen der zu hohen Fahrgeschwindigkeit, eines Fahrfehlers durch starkes Bremsen in der Kurve und der Überladung des Schleuserwagens. „Die Schilderung der Unfallfolgen will ich Ihnen ersparen“, meinte Frau Will.
Lediglich der 23-jährige Fahrer des Spähwagens hatte in dem Prozess ein Geständnis abgelegt. Die anderen wollten mehr oder weniger zufällig dabei gewesen sein. Die Beweisaufnahme widerlegte diese Einlassungen. Die Vorsitzende Richterin betonte, das Schwurgericht Traunstein habe dem 25-jährigen Schleuserfahrer kürzlich 15 Jahre Freiheitsstrafe verhängt (wir berichteten). Im jetzigen Verfahren habe er als Zeuge umfangreiche Angaben geleistet und die Angeklagten belastet.
Die „zentralen Fragen“ waren nach Frau Will: „Wie weit waren die Scouts an dem Tatgeschehen beteiligt? Wie weit sind sie für die Folgen mitverantwortlich?“ Aufgabe der Scouts sei es gewesen, die Strecke abzusichern, vor Polizeikontrollen zu warnen und Alternativrouten anzubieten. Der 23-Jährige habe seine Aufgaben wahrgenommen, die ganze Tour organisiert, den Kleinbus angemietet und den 25-Jährigen als Fahrer angeworben. Damit sei der 23-Jährige „nicht nur Scoutfahrer, sondern verantwortlich für die gesamte Fahrt.“
Der 24-Jährige habe sich zunächst in Wien mit in dem Kleinbus befunden und dann Platz gemacht für weitere, unterwegs aufgenommene Flüchtlinge. Der damals 17-jährige Angeklagte habe von der Ausstattung des Kleinbusses gewusst und kurz vor dem Unfall noch Handy-Kontakt zu dem Unfallfahrer gehabt. Auch er hätte einen Schleuserlohn erhalten sollen. Die Todesfolgen seien somit allen Scouts zuzurechnen. Jeder sei informiert gewesen über die Sitzzahl im Fahrzeug und die Überladung. Die Vorsitzende Richterin unterstrich: „Der 25-jährige Vito-Fahrer hat sich sogar beschwert, dass er so viele Personen transportieren sollte. Der 23-Jährige hat ihn angewiesen, weiterzufahren.“ Die Kammervorsitzende hob heraus, die Polizeiflucht des 25-Jährigen sei „ein Kausalverlauf“ gewesen: „Allen Beteiligten war klar, dass nur Flucht die Konsequenz bei einer Polizeikontrolle war und dass ein Unfall geschehen könnte. Niemand hat versucht, den 25-Jährigen anzuhalten, um die Schleusung zu beenden. Man hat vielmehr den Hals aus der Schlinge gezogen und sich entfernt. Damit sind die Todesfolgen zurechenbar.“
Bei den Strafen nannte Frau Will eine Maximalstrafe von 15 Jahren. Die Jugendkammer sei bei dem 23-Jährigen nahe an das obere Ende des Strafrahmens gegangen. Es gebe vielleicht noch schlimmere Fälle als den vorliegenden mit „sieben Toten, 15 Schwerverletzten, zerstörten Familien.“ Jedoch habe der Angeklagte in Kenntnis aller Umstände nichts unternommen, die Fluchtfahrt zu stoppen, sondern sich selbst in Sicherheit gebracht – wissend von der Gefahr für die Flüchtlinge: „Er hat sie einfach im Stich gelassen.“ In einem Telefonat habe er später nur geklagt, „einen Wagen verloren zu haben.“ Das zeige seine „absolut menschenverachtende Haltung.“
Der Tatbeitrag des 24-Jährigen sei deutlich geringer. Bei dem inzwischen 18-Jährigen lägen die „Schwere der Schuld“ und „schädliche Neigungen“ vor, setzte Frau Will fort. Er sei in die Vorplanungen eingebunden gewesen. „Er hat versucht, alle Schuld auf die anderen abzuwälzen“, schloss die Vorsitzende Richterin.
Die Angeklagten ließen bei der Urteilsverkündung sichtlich die Köpfe hängen. Die Strafen und Argumente orientierten sich stark an dem Plädoyer von Oberstaatsanwalt Dr. Martin Freudling. Er hatte für den 23-Jährigen 14 Jahre beantragt, für den 24-Jährigen elf Jahre und für den 18-Jährigen eine Jugendstrafe von acht Jahren. Die Verteidiger wollten wesentlich niedrigere oder gar keine Strafe. kd