Radfahrer (15) schwer verletzt liegengelassen

von Redaktion

36-Jähriger vor dem Landgericht Traunstein – In Berufungsverhandlung jetzt doch keine Bewährung

Traunstein – Ein Verkehrsunfall, bei dem ein Autofahrer am 21. Februar 2022 abends einen schwer verletzten Radfahrer (damals 15) bei Einham einfach auf der Straße zurückgelassen hatte, beschäftigte zum zweiten Mal ein Traunsteiner Gericht. Staatsanwaltschaft und Nebenklage hatten Berufung eingelegt gegen das Ersturteil des Amtsgerichts Traunstein mit einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 15 Monaten. Die Neunte Strafkammer mit Vorsitzender Richterin Barbara Miller hob das Amtsgerichtsurteil auf und schickte den 36-Jährigen für zwei Jahre hinter Gitter.

Das Erstgericht hatte den Mann unter anderem der fahrlässigen Körperverletzung, Gefährdung des Straßenverkehrs, Unfallflucht, Trunkenheit im Verkehr und Fahren ohne Fahrerlaubnis schuldig gesprochen. Gegen Auflagen wie ein Schmerzensgeld von 4000 Euro, ein Alkohol- und Drogenkonsumverbot sowie eine Alkoholtherapie wurde die Strafe auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

Der 36-Jährige aus Traunstein hatte den Radfahrer, der ohne Licht gegen 18.15 Uhr in Richtung Einham unterwegs war, von hinten mit der rechten Front seines Audi erwischt. Der damals 15-Jährige wurde über die Motorhaube gegen die Frontscheibe geschleudert und kam am Straßenrand zu liegen. Der Autofahrer, der unter Einfluss von Alkohol und Cannabis stand, kümmerte sich nicht um das Opfer, sondern fuhr einfach weiter. Zeuginnen fanden den Jugendlichen glücklicherweise bald. Ein Rettungsdienst brachte ihn ins Klinikum Traunstein. Der Autofahrer konnte schnell ermittelt und zu Hause angetroffen werden. Seine Alkoholisierung zur Tatzeit betrug über 1,4 Promille. Außerdem wurde Cannabis nachgewiesen. Im August 2022 fiel der Angeklagte durch eine Fahrt mit 1,8 Promille Alkohol im Blut in Einham auf.

Ärzte stellten bei dem 15-Jährigen damals lebensgefährliche Verletzungen fest wie ein Schädel-Hirn-Trauma, Gehirnblutungen, eine Schädelfraktur, Wirbel- und Beckenbrüche sowie weitere Frakturen, Blutungen der Niere, Lungenquetschungen und mehr.

Eine Woche lag der Patient auf der Intensivstation, zeitweise im Koma, danach bis 8. März auf einer Normalstation. Über 100 Stunden Physiotherapie brachten keine wesentliche Besserung. Bis dato leidet der heute 18-Jährige unter erheblichen Störungen bei Wortfindung und Konzentration, ist körperlich stark eingeschränkt.

Der Angeklagte beteuerte gestern, er habe die Tat nicht absichtlich begangen. Er habe an jenem Tag nur ein bisschen herumfahren wollen. Den Aufprall auf der Windschutzscheibe habe er bemerkt, aber nicht an einen Menschen, sondern an eine Schneestange gedacht. Seine Entschuldigung nahm der Geschädigte nicht an.

Gefunden wurde das Unfallopfer von einer Zeugin, die auf dem Rückweg vom Urlaub war. Sie sah im Kegel ihrer Autoscheinwerfer irgendwelche Teile auf der Fahrbahn liegen. Weiter oben am Einhamer Berg entdeckte sie einen Menschen am Boden neben der Straße. Der Junge war nicht ansprechbar. Die Ersthelferin holte eine Rettungsdecke aus ihrem Auto, war es doch ziemlich windig und kalt an dem Abend. Währenddessen stoppte eine zweite Autofahrerin. Sie holt via Handy Hilfe. Schnell trafen Polizei und Rettungsdienst ein. Ein Polizist erinnerte sich: „Der Jugendliche hat sich vor Schmerzen gekrümmt.“

Über ein multiples Polytrauma berichtete die Sachverständige Dr. Bettina Zinka vom Rechtsmedizinischen Institut an der Universität München in allen Einzelheiten. Von körperlichen Beeinträchtigungen zeitlebens sei auszugehen. Unter dem Strich attestierte die Gutachterin ein schwerstes Verletzungsbild, das einen tödlichen Verlauf hätte nehmen können. Insbesondere die Blutungen im Gehirn seien „sehr gefährlich“ gewesen. Bei der Temperatur von nur drei Grad hätte der Mann in seinem bewusstseinsgestörten Zustand auch auskühlen und sterben können. Weiter ging die Rechtsmedizinerin auf Alkohol und Drogen ein. Der Alkoholwert spreche für Alkoholgewöhnung. Die verschiedenen Werte im Blut zu THC und seinen Abbauprodukten seien ungewöhnlich hoch gewesen und Zeichen für intensiven Konsum von Cannabis kurz vor dem Unfall.

Der Biomechaniker Dr. Alexander Sporrer aus München bezog Stellung zur Sichtbarkeit des Radfahrers für den 36-Jährigen. Sein Fazit: Der Radler wäre rechtzeitig erkennbar, der Unfall vermeidbar gewesen. Der Autolenker habe genügend Zeit gehabt, den Wagen leicht nach links zu ziehen. Durch den Unfall, ein „heftiges Ereignis“, sei der Wagen zudem spürbar beschädigt worden. Auch glaube er nicht recht an eine Schneestange, so der Sachverständige. Staatsanwältin Melanie Bartschat forderte, das Ersturteil aufzuheben, eine Freiheitsstrafe von 22 Monaten ohne Bewährung und eine Führerscheinsperre von drei Jahren auszusprechen. Bei einer derartigen Tat sei an Bewährung nicht zu denken. Nebenklagevertreter Stefan Neudecker aus Traunstein kritisierte: „Er fährt meinen Mandanten über den Haufen und lässt ihn liegen. Dass er sterben könnte, war ihm egal.“ Der Anwalt forderte sogar zweieineinhalb Jahre Haft.

Verteidiger Bernhard von Ellerts argumentierte, der Unfall sei verheerend, die Verletzungen schrecklich. Doch sei der 36-Jährige ein Ersttäter. Das Amtsgerichtsurteil sei zutreffend. Angemessen sei als weitere Bewährungsauflage ein zusätzliches Schmerzensgeld.

Im Urteil stellte Vorsitzende Richterin Barbara Miller fest, der Angeklagte habe die Unfallfolgen billigend in Kauf genommen. In der Gesamtschau gebe es keine Aspekte für eine Strafaussetzung zur Bewährung. Und: Die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete, dass die Strafe vollstreckt wird.

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