Traunstein – Die Rehkitzzwillinge starben wohl sofort bei Mäharbeiten am Traunsteiner Stadtrand. Das dritte Tier fand ein Jäger elf Stunden später mit zwei abgemähten Läufen und erlöste es von seinen Leiden. Nun musste das Amtsgericht Traunstein mit Richterin Veronika Ritz klären, ob sich ein 43-jähriger Nebenerwerbslandwirt der Tiertötung in drei Fällen und der quälerischen Tiermisshandlung schuldig gemacht hat. Letztlich wurde das Verfahren straflos gegen Zahlung einer Geldauflage von 1000 Euro an die Kinderkrebshilfe Traunstein-Berchtesgaden eingestellt.
Einspruch
eingelegt
Der Angeklagte hatte gegen einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 80 Euro, somit von 7200 Euro, Einspruch eingelegt. In dem gestrigen Prozess warf Staatsanwalt Thomas Putschbach dem Biobauern vor, am 16. Juni abends ein Feld gemäht zu haben – obwohl er wusste, dass sich dort regelmäßig Rehkitze aufhalten. Zusammen mit seiner Ehefrau habe er das 40000 Quadratmeter große Areal etwa eine Stunde zu Fuß „jedenfalls nur äußerst oberflächlich“ abgesucht. Weder der Jagdpächter noch der Kitzrettungsverein seien verständigt worden. In der Anklage hieß es wörtlich: „Nach unzureichender Absuche und in dem Wissen, dass im Feld Rehkitze zurückgeblieben sein konnten, begann der Angeklagte den Mähvorgang.“ Hierbei hat der 43-Jährige drei Rehkitze übermäht. Zwei seien sofort tot gewesen. Das dritte Kitz sei am nächsten Morgen, gegen 7.15 Uhr, schwerstverletzt vom Jagdpächter entdeckt worden. Der Biobauer erklärte, an jenem Sonntag seien nachmittags die Wolken aufgerissen. Angesichts des Wetterberichts mit ab Mittwoch erneut unbeständigem Wetter habe er gegen 16 Uhr entschieden, noch zu mähen. Mit seiner Ehefrau sei er das Areal zu Fuß abgegangen. Das habe etwa eine Stunde gedauert. Sie hätten keine Rehgeiß gesehen, auch keine aufschrecken können. Ein Drohneneinsatz mit Wärmebildkamera hätte nichts gebracht: „Die Drohne funktioniert nur in den frühen Morgenstunden. Außerdem liegt ein Großteil der Fläche in der Flugverbotszone von 1500 Meter rund um den Hubschrauberlandeplatz am Klinikum Traunstein.“ Eine Anfrage bei der Flugsicherung habe er erbracht: „Es gibt keine Ausnahme von dem Flugverbot. Wegen einer Drohne bleibt kein Rettungshubschrauber am Boden.“ Der Landwirt hob heraus, er habe seit der Betriebsübernahme vor zehn Jahren keinen einzigen Wildschaden gehabt.
Nach Worten des 43-Jährigen dauerten die Mäharbeiten in langsamem Fahrtempo von 19 bis 21.45 Uhr. Er habe die Fläche in Parzellen eingeteilt und dann von einer Richtung gemäht. Damit könne man Wild heraustreiben. Außerdem habe er auf dem Mähwerk einen akkubetriebenen Kitzretter mit schrillem Ton installiert. Beim Mähen habe er kein Wild bemerkt: „Sonst hätte ich den Jagdpächter verständigt.“ Leichenteile im Heu müssten entfernt werden: „Sie vergären und führen bei Rindern zu Botulismus. Die Krankheit kann tödlich verlaufen.“ Normalerweise mähe er vor oder nach der „Setzzeit“, also der Zeit der Kitzgeburten. Das sei bei der regenreichen Witterung heuer jedoch nicht möglich gewesen.
Dass Jungtiere getötet oder verletzt werden, komme immer wieder vor, meinte der Jagdpächter im Zeugenstand. „Aber das Ausmaß hat sich geändert. Früher gab es nur kleine Traktoren. Gemäht wurde spät. Heute laufen riesige Mähpanzer über die Wiesen, dazu noch deutlich früher im Jahr.“ Vor einigen Jahren sei die Idee mit den Drohnen entstanden. Man könne Kitze aber nur frühmorgens liegen sehen. Die Tiere blieben einfach liegen – „sogar, wenn man fast auf sie drauftritt.“ Freiwillig verlasse kein Kitz ein Feld. In der Vergangenheit habe man erst die Muttertiere abgeschreckt, dann mit Hunden gearbeitet. Das funktioniere aber nur auf kleinen Flächen. Ein Kitzretter am Mähwerk bringe meist auch nicht viel. Der Rat des Jägers: „Auf großen Flächen mit hohem Bewuchs ist die Drohne die einzige Chance. Man sollte zwei Tage vorher eine Vormahd machen und dann den Jäger anrufen.“
Sein Kitzrettungsverein verfüge – wie andere Vereine – über mehrere Drohnenpiloten mit eigenem Drohnenführerschein. Viele Landwirte nähmen das kostenlose Angebot an. Werde ein Kitz aus der Luft entdeckt, holten es zwei Fänger mit Kescher und Korb an dem Wiesenrand. Habe der Bauer gemäht, würden die Kitze wieder abgelegt. Sie folgten sofort ihren in der Nähe wartenden Müttern. „Auf diese Weise haben wir im Jahr 2024 über 30 Kitze in Sicherheit gebracht“, hob der Jagdpächter, selbst Drohnenpilot, heraus.
Die Methode werde auch vom Bauernverband propagiert. Das Nachbarfeld habe man tags zuvor abgeflogen und vier Tiere herausgeholt, am Tag nach dem angeklagten Vorfall ein anderes Feld in der Nähe erfolgreich abgeflogen.
Ein Anblick
zum Weinen
Der Zeuge schilderte weiter, er habe am nächsten Tag zwei Geißen gesehen, die offensichtlich ihre Jungen suchten. Zuerst habe er das Kitz mit den abgemähten Läufen gefunden, in größerer Entfernung dann die „dermatschten Zwillinge“. Es sei ein Anblick zum Weinen gewesen, so der Jagdpächter. Zu der Flugverbotszone wegen des Rettungshubschraubers meinte er, man könne dort ebenfalls die Drohne verwenden – „wenn man tief fliegt, etwa zehn bis 15 Meter“. Staatsanwalt Thomas Putschbach regte an, das Verfahren gegen eine Geldauflage einzustellen. Der „Mähknigge“ sehe immer eine vorherige Absuche vor, allerdings mit Hilfsmitteln wie einem Hund oder einer Drohne. Eine Absuche zu Fuß reiche nicht. Dem Antrag entsprach Richterin Veronika Ritz. An den Angeklagten appellierte sie: „Bitte rufen Sie an wegen der Drohne. Kommt so etwas wieder vor, droht eine Strafe.“ Die etwa 40 Zuhörer, fast alles Landwirte, diskutierten nach dem Prozess noch intensiv.