Geheimnisverrat und Volksverhetzung

von Redaktion

40-jährige Polizistin muss sich vor Amtsgericht in Mühldorf verantworten

Mühldorf/Traunstein – Der Prozess gegen die 40-jährige Polizistin Andrea L. (Name von der Redaktion geändert) war in mehrfacher Hinsicht ein ungewöhnlicher Prozess. Unter Vorsitz von Richter Florian Greifenstein musste sich die 40-Jährige, die in Waldkraiburg lebt und in Mühldorf gearbeitet hat, am Amtsgericht Mühldorf vor dem Schöffengericht verantworten. Dabei ging es unter anderem um Geheimnisverrat, Bestechlichkeit und Volksverhetzung in „über 100 Fällen“, so Staatsanwältin Stephanie Windhorst. 

Außergewöhnlicher
Prozess

Dass es ein außergewöhnlicher Prozess werden würde, zeigte sich schon vor Sitzungsbeginn. Gut ein Dutzend Zuschauer fand sich ein; darunter auch zwei Beobachter aus dem Polizeipräsidium. Auch ein Blick auf den Richtertisch zeigte, dass es ein umfangreiches Verfahren werden könnte. Fünf dicke Leitz-Ordner lagen bereit. Hier waren die Vergehen von Andrea L. fein säuberlich, schwarz auf weiß nachzulesen, als Chat-Protokolle ihres Handys. 

Staatsanwältin Windhorst brauchte über eine halbe Stunde, um die zehn eng bedruckten Seiten der Anklage zu verlesen. Dabei hatte sie wohl längst nicht alle Fälle zur Sprache gebracht.

„In über 100 Fällen“, so Windhorst, soll Andrea L. seit 2019 über fünf Jahre hinweg ihrem Freundes- und Bekanntenkreis „polizeiliche Geheimnisse“ weitergeleitet haben – gefragt und ungefragt. 

Wollte jemand einen Autohalter erfahren: Andrea L. gab Auskunft. Wollte jemand etwas über mögliche Vorstrafen wissen oder warum die Polizei vor Ort war: Andrea L. gab Auskunft. Sie verschickte auch Fotos, zum Beispiel von einer Baby-Leiche, einer Leiche in der Badewanne. Ein Leichenfoto kommentierte sie laut Anklage mit „Ein Asyli weniger“.

Staatsanwältin Windhorst warf Andrea L. auch Volksverhetzung vor. Während eines Einsatzes bei einem Asylantenheim soll sie privat gechattet haben. Ein Teilnehmer schwadronierte von 100 Patronen für die Asylanten. Die Antworten der Polizistin, so Windhorst: „Ich hob nur 32“ und „I derf ned“. Kopfschütteln bei Andrea L. 

Andrea L. habe, so Windhorst, „bewusst ihre Stellung als Polizeibeamtin und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität und Redlichkeit der Polizei“ ausgenutzt, sie „stand als Auskunftsquelle für eine Vielzahl von Personen aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zur Verfügung“. Sie habe gewusst, dass sie dazu „nicht berechtigt“ war. Aufgekommen ist das durch „Kommissar Zufall“, wie der interne Ermittler der Polizei im Zeugenstand freimütig einräumte. „Aber das ist eigentlich immer so.“ 

Ausgangspunkt sei eine Trunkenheitsfahrt in einer anderen Dienststelle gewesen. Dabei hatte der Fahrer den Verdacht, dass er „verpfiffen“ wurde, dass ein Beamter verwickelt sein müsse. Die Ermittlungen führten dann zu Andrea L.

Im Oktober 2023 wurde ihr Handy beschlagnahmt. Das Ergebnis der Auswertung: die fünf Leitz-Ordner vor Richter Greifenstein. Fünf Ordner mit Anfragen, den Antworten, den verschickten Bildern und den Kommentaren. „Die waren teilweise flapsig, teilweise geschmacklos“, fasste Richter Greifenstein den Inhalt zusammen. Am 9. Januar dieses Jahres gab es bei Andrea L. eine zweite Durchsuchung – und ihr Geständnis. „Da hat sie alles eingeräumt“, so der interne Ermittler. Dabei blieb sie auch im Gerichtssaal 116. „Der Sachverhalt wird objektiv und subjektiv eingeräumt“, erklärte Anwalt Jörg Zürner für seine Mandantin. Diese folgte dem Verfahren aufmerksam und konzentriert, schüttelte zwar manchmal den Kopf, äußerte sich aber nicht weiter zur Sache, wurde auch nicht zu ihren Motiven und ihrer Haltung befragt.

Beweisaufnahme nach
einer Stunde vorbei

Mit dem erneuten, vollumfänglichen Geständnis vor Gericht und der Aussage des Ermittlers war die Beweisaufnahme nach gut einer Stunde bereits beendet und Staatsanwältin Windhorst konnte mit ihrem Plädoyer beginnen.

„So einen Fall habe ich noch nicht erlebt“, sagte Windhorst, die seit vier Jahren Delikte im Beamtenrecht bearbeitet. „Die Allgemeinheit darf auf die Integrität der Polizei vertrauen.“ Das umso mehr, da die Polizei sensibelste persönliche Daten habe. „An diesen Kodex hat sie sich in keinster Weise gehalten.“ Ihre Kommentare seien zum Teil „geschmacklos“ und „makaber“ gewesen. Angesichts der Vielzahl an Vergehen müsse es „natürlich“ eine Freiheitsstrafe geben, so Windhorst. Sie forderte ein Jahr und sechs Monate, die drei Jahre zur Bewährung auszusetzen seien. Zusätzlich solle Andrea L. eine Geldauflage von 5000 Euro für eine soziale Einrichtung erhalten.

„Rechtlich sind wir uns einig“, begann Anwalt Zürner sein Plädoyer, der eine Freiheitsstrafe von mehr als zwölf Monaten nicht in Abrede stellte. Allerdings sei die Geldauflage aus seiner Sicht nicht angemessen.

Der Schaden für Andrea L. sei bereits „dramatisch“, so Anwalt Zürner. „Sie verliert kraft Gesetz ihren Arbeitsplatz. Sie steht wieder auf null.“ Die Pension sei weg, die Krankenversicherung sei weg, sie müsse mit 40 vollkommen neu anfangen. Trotzdem „stehe sie dazu“, habe schon bei der Polizei alles eingeräumt und jetzt auch vor Gericht, habe damit ein langes Beweisverfahren überflüssig gemacht. 

Zürner plädierte für eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat auf Bewährung – ohne Geldauflage. „Die Erinnerung an ihre Taten hat sie jetzt schon jeden Tag.“ Nach gut 20 Minuten verkündete Richter Greifenstein das Urteil des Schöffengerichts: ein Jahr und sechs Monate, die drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden, plus eine Geldauflage von 5000 Euro für die Stiftung Ecksberg. 

„Das ist schon
gravierend“

Das Gericht sei von der Einsicht der Angeklagten ausgegangen, so Greifenstein. „Aber die Masse macht’s.“ Die Vielzahl der Fälle und der lange Zeitraum, „das ist schon gravierend.“ Andrea L. habe eine „sehr eigenartige Dienstauffassung“ gehabt und es sei in diesem Fall auch um die Integrität der gesamten Polizei und das Vertrauen der Öffentlichkeit gegangen. Das habe sie verletzt: „Warum auch immer.“ Damit war nach nicht einmal drei Stunden eine in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Verhandlung vorbei – zumindest vor dem Amtsgericht. Denn Rechtsanwalt Zürner hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. „Vorrangiges Ziel ist es, die Bewährungsauflage von 5000 Euro wegzubringen oder zumindest deutlich zu reduzieren“, erklärt er gegenüber den OVB-Heimatzeitungen.

Damit wird über diesen Fall noch einmal verhandelt; diesmal am Landgericht in Traunstein.

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