Einst Millionärin, jetzt bitterarm

von Redaktion

„Nein“ sagen war für Martina Loher schon immer schwer. Falsche Beziehungen und dramatische Fehler haben aus einer erfolgreichen Frau eine Seniorin in Armut gemacht. Nachdem sie ihre unglaubliche Geschichte im Frühjahr erzählt hatte, stellt sich jetzt die Frage, wie es ihr heute geht.

Rosenheim/Landkreis – „In Deutschland rentiert es sich nicht, Kinder großzuziehen oder ältere Menschen zu pflegen.“ Dieses bittere Fazit zieht Martina Loher (Name von der Redaktion geändert), als sie mit dem OVB über ihr Leben und über die Jahre der Entbehrung, des Streits und des Kampfes spricht, die sie letztlich in die Armut getrieben hätten. Die 66-Jährige aus dem Landkreis Rosenheim war einst eine erfolgreiche Frau, Geld spielte keine Rolle, alles lief in geordneten Bahnen.

Komplexe
Umstände

Betrachtet man ihren damaligen Besitz, zu dem vor allem Grund und Immobilien zählten, würde ein Millionenbetrag unterm Strich stehen, erklärt Loher. „Ich hätte heute eigentlich drei Häuser und Geld ohne Ende haben können.“ Doch von alldem ist nichts mehr übrig. Sie lebt alleine, zurückgezogen in einer kleinen Wohnung, schläft seit Jahren auf einem dünnen Schaumstoff, Küchengeräte geben langsam, aber sicher den Geist auf. Und all das hat sich nicht verändert, seitdem sie bereits im Frühjahr mit dem OVB über ihre Erfahrungen gesprochen hatte. Rechnungen und Miete zahlen zu können, gleicht jedes Mal einem Kraftakt. Die Umstände, die die Familienmutter in diese Situation gebracht haben, sind komplex. Klar ist für sie jedoch: „Mit einem Großteil der Menschheit habe ich leider Gottes abgeschlossen.“

Die bittere Geschichte der 66-Jährigen war anfangs nicht absehbar. Wie sie in diese Situation gekommen ist, kann sich Loher selbst kaum erklären. „Vermutlich war‘s meine Blödheit, ich war oftmals blauäugig und habe auf andere Menschen vertraut“, erzählt sie. Als Kauffrau verdiente Loher gutes Geld, errichtete sich zusammen mit den Eltern ein hochwertiges Eigenheim. „Ich war mal eine sehr vermögende Frau, hatte viel Geld, ein Haus, ein Auto“, erinnert sie sich. Ihr „Problem“, wie sie es im Rückblick bezeichnet: „Ich wollte nicht alleine sein, wollte eine Familie haben.“

Nach einer gescheiterten Ehe lernte sie Ende der 80er einen zweiten Mann kennen. „Damit begann das Riesenunglück“, sagt Loher. Das Geschäft, das er mit in die Ehe brachte, leitete ihren „Abstieg“ ein, sagt die Frau. Was in kleinen Summen begann, entwickelte sich in beachtliche Investitionen, Loher beglich Schulden, fing die finanzielle Schieflage des Geschäftes immer wieder auf. Irgendwann, erzählt Loher, war nichts mehr da. Was die Kinder mitansehen mussten, war letztlich nicht mehr aufzuhalten. Das Haus musste zwangsversteigert werden.

Warum sie nie „Stopp“ gesagt hat, ihren verschuldeten Mann nie verlassen hat? „Ich hatte es bei der Hochzeit doch versprochen und ich habe alles eingehalten“, erklärt sich Loher. Als sich die finanzielle Situation um die 2000er-Wende zuspitzte, sei Loher von Familie und Freunden „wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen“ worden. Plötzlich waren alle weg, plötzlich sei man nichts mehr wert gewesen.

Loher weiß, dass sie selbst Fehler gemacht hat. Dennoch fühlt sie sich auch von Banken, Behörden und Steuerberatern im Stich gelassen. „Sie haben mir alles genommen, niemand hat mich gewarnt.“ Ihre Gutmütigkeit habe ihr diese Misere letztlich verschafft. Denn neben Arbeit und Kindererziehung pflegte sie mehrere Familienangehörige, nicht zuletzt ihren Ehemann, der vor einigen Jahren verstarb. Jetzt höre sie immer wieder den Satz: „Die hätten in ein Heim gemusst, du hättest für deine Rente sorgen müssen.“

Und genau deshalb fühlt sich Loher auch vom Rentensystem in Deutschland im Stich gelassen. Hatte sie im Frühjahr noch hoffnungsvoll auf den September 2024 hingearbeitet – auf den Moment, ab dem sie endlich abschlagsfrei ihre Rente erhält und dann womöglich nicht mehr auf kräftezehrende Aushilfsjobs angewiesen ist, teilt sie nun mit dem OVB ihre bittere Erkenntnis: „Es hat sich dadurch finanziell überhaupt nichts verbessert.“ Gesundheitliche Probleme, sowohl körperlich als auch seelisch, verschärften ihre Krise zudem, betont die Seniorin, die auf ihr Äußeres achtet, der man die Armut nicht ansieht. Nach außen wolle sie sich nichts anmerken lassen. Alles andere wäre zu „peinlich“, zu „erniedrigend“.

„Bei mir geht es um jeden Euro“, sagt Loher, weshalb sie an den Einkauf von Weihnachtsgeschenken gar nicht erst denken könne. „Das Finanzielle ist wie ein Stachel im Fleisch, das frisst einen auf“, schildert die 66-Jährige ihre alltäglichen Sorgen mit bebender Stimme. Hätte sie nicht diese permanenten Geldsorgen, es würde ihr viel besser gehen, ist sich Loher ganz sicher. Und dabei kommt ihr der harte wie einleuchtende Gedanke: „Ich wünschte, ich hätte nie etwas besessen, dann wäre das alles gar nicht passiert.“

Doch in ihrer Verzweiflung ist Loher vor ein paar Jahren auf den gemeinnützigen Verein „LichtBlick Seniorenhilfe“ gestoßen, der sich ausschließlich durch Spenden finanziert. Alleine im Landkreis Rosenheim unterstützt er rund 1200 bedürftige Rentner, etwa durch Lebensmittelgutscheine, finanzielle Soforthilfen für dringend benötigte Dinge wie eine neue Brille, Medikamente oder für die Nebenkostenabrechnung, mit monatlichen Patenschaften von 35 Euro oder auch mit sozialen Veranstaltungen gegen Einsamkeit. Über den Verein sagte Loher zuletzt: „Das sind einfach Engel, so glücklich war ich fast noch nie.“

Und auch heute seien die Ehrenamtlichen des Vereins ihr einziger Lichtblick. Kleine Hilfen, kleine Aktionen würden den Alltag immens erleichtern und die Sorgen für einen kleinen Augenblick in den Hintergrund rücken lassen. Loher erinnert sich etwa an vergangenes Jahr, als sie von „LichtBlick Seniorenhilfe“ ein kleines Weihnachtspaket bekommen hat. „Das hat mich zu Tränen gerührt, das sind so liebe Menschen.“

Laut Monika Wendrich, die sich für „LichtBlick“ um Betroffene aus dem Landkreis Rosenheim kümmert und auch einen Fokus auf das Mangfalltal legt, ist Lohers Werdegang kein Einzelfall. Menschen, die auf die falschen Leute stoßen, die nicht gelernt haben, nein zu sagen, gebe es immer wieder. „Einige lassen sich nun mal auch über den Tisch ziehen“, sagte Wendrich zuletzt gegenüber dem OVB. Jedoch will sie nicht verschweigen, dass eine gewisse „Eigenverantwortung“ immer zur Situation dazugehöre. „Da muss man schon auch sich selbst hinterfragen.“

Kindererziehung
ein Faktor

Teilzeitjobs, weil man die Kinder großgezogen hat, Jobs im Niedriglohnsektor – alles Faktoren, durch die Menschen in die Altersarmut rutschen können. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes sind in Deutschland über 20 Prozent der Frauen über 65 Jahren und rund 16 Prozent der Männer in der gleichen Altersgruppe von Armut bedroht. Oftmals reicht die Rente, trotz eines arbeitsintensiven Lebens, hinten und vorne nicht aus. Die Rentner, die vom Verein „LichtBlick“ unterstützt werden, müssen über 60 Jahre alt sein, eine deutsche Rente beziehen und Wohngeld oder Grundsicherung im Alter bekommen oder mit ihrer kleinen Rente knapp über der Bemessungsgrenze für Sozialleistungen liegen. Infos unter https://seniorenhilfe-lichtblick.de/

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