Lange Haft für filmreifen Raub

von Redaktion

Geldtransporterüberfall in Großkaro – Vater und Sohn verurteilt

Traunstein/Rosenheim – Im Prozess um den filmreifen Überfall auf einen Geldtransporter in Großkarolinenfeld, bei dem zwei vermummte Unbekannte am 5. Januar 2024 475000 Euro Bargeld erbeuteten, verhängte die Neunte Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Barbara Miller gestern acht Jahre und fünf Monate Haft für einen 29-jährigen Kolbermoorer und acht Jahre gegen dessen 49 Jahre alten Vater aus Rosenheim. Den Wertersatz fixierte die Kammer mit 475000 Euro. Oberstaatsanwalt Dirk Dombrowski hatte jeweils zehn Jahre Haft beantragt. Die Verteidiger hatten auf Freispruch plädiert.

Zwei Räuber bleiben
bis heute unbekannt

Der Firmendienstplan für den 5. Januar 2024 sah vor, an die VR-Bank in Großkarolinenfeld um 14 Uhr zwei Behälter mit insgesamt 600000 Euro auszuliefern. Der 29-Jährige, angestellt bei der Geldtransportfirma, saß an jenem Morgen am Steuer, obwohl er gemäß Plan der Geldbote hätte sein sollen, und parkte den Transporter vor der Bank. Zwei bis heute Unbekannte warteten in einem weißen Kastenwagen auf der anderen Straßenseite, stürmten über die Fahrbahn, riefen „Überfall“, entrissen dem 62-Jährigen, der gerade aussteigen wollte, eine der Geldbomben und schubsten ihn zurück in den Wagen. Einer zog ihm eine Gaspistole über den Kopf. Der Geschädigte wurde dabei erheblich verletzt. Der 62-Jährige schoss den in Richtung weißen Kastenwagen laufenden Männern mit seiner Dienstwaffe hinterher, traf aber glücklicherweise niemand. Vom Großteil der Beute wie von den Räubern fehlt seither jede Spur.

Koordinierung der Tat
läuft über Whatsapp

Der 49-Jährige sollte laut Oberstaatsanwalt Dombrowski den weißen Kastenwagen, die Schreckschusswaffe und die Sturmhauben besorgt und die Tat via Whats- app koordiniert haben. Der Vorwurf gegen beide Männer lautete auf gemeinschaftlichen schweren Raub und gefährliche Körperverletzung. Der 49-Jährige soll 41400 Euro in 50- und 100-Euro-Scheinen erhalten und von diesem Anteil eine Woche später ein Darlehen von 33000 Euro zurückgezahlt haben. Deshalb lag dem Vater auch „Geldwäsche“ zur Last. Hiervon sprach ihn das Gericht frei.

Der Oberstaatsanwalt sprach gestern von einem „besonderen Prozess“. Die Männer, die den Geldtransporter tatsächlich überfallen hätten, säßen nicht vor Gericht. Eine Beteiligung der Angeklagten an der Tat sei dennoch nachgewiesen. Dombrowski führte eine Reihe von Fakten und Indizien auf. Außergewöhnlich sei, dass der 29-Jährige und der 62-Jährige ihre Plätze getauscht hatten. Der Tourenplan sei eigenmächtig geändert worden. Statt um 14 Uhr sei der Geldtransporter schon um 9.26 Uhr an der Bank eingetroffen.

„Es gab einen
internen Mittäter“

Der Ankläger fragte: „Woher wussten die Täter, wann der Geldtransporter kommt?“ Die VR-Bank werde zu unterschiedlichen Zeiten beliefert. Dreieinhalb Minuten vor der Ankunft des Transporters sei der Kastenwagen an Ort und Stelle gewesen. Der Oberstaatsanwalt dazu: „Die Information konnte von keinem Externen stammen.“ In der Firma habe niemand etwas von dem geänderten Dienstplan gewusst. Somit scheide auch ein interner Hinweisgeber aus. Niemand habe über eine Verfolgung des Geldtransporters durch Dritte berichtet. Die logische Schlussfolgerung sei: „Es gab einen internen Mittäter.“ Der Oberstaatsanwalt betonte, der 62-jährige Zeuge scheide als Mittäter aus. Er gehöre dem Transportunternehmen seit vielen Jahren an und lebe in geordneten Verhältnissen. Jedoch müsse ein Besatzungsmitglied des Geldtransporters an dem Raub beteiligt gewesen sein. Der 29-Jährige habe damals Geldprobleme gehabt. Unmittelbar vor dem Überfall habe der Sohn Chatkontakt mit dem Vater gehabt, aber den Verlauf gelöscht. Auf der Gaspistole, mit der der 62-Jährige niedergeschlagen worden sei, habe man eine Genspur des 49-Jährigen gefunden. Nach der Tat habe der 29-Jährige Schulden zurückgezahlt. Die Angeklagten hätten den Besitz von Geld mit dem Verkauf einer Immobilie in der Türkei begründet. Der Oberstaatsanwalt fragte: „Warum nimmt man den Verkaufserlös in Euro, dazu noch in 50-Euro-Scheinen, und nicht in türkischer Lira entgegen?“ Außerdem sei in der Vergangenheit immer nur Geld von Deutschland in die Türkei, nie umgekehrt geflossen. Für den Sohn wie den Vater forderte Oberstaatsanwalt Dirk Dombrowski jeweils eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren.

„Nur Vermutungen
und Auffälligkeiten“

Rechtsanwalt Benedikt Stehle aus München unterstrich, nach der Beweisaufnahme könne man nicht zu einer Verurteilung des 29-Jährigen gelangen. Es gebe keine DNA-Spuren von ihm, keine Zeugen, keine Hinweise aus der Auswertung von Funkzellen und Telefonüberwachungen – „nur Vermutungen und Auffälligkeiten“. Der Verteidiger fuhr fort: „Sämtliche Auffälligkeiten haben sich in der Hauptverhandlung in Luft aufgelöst.

Die Ermittlungen der Polizei waren von Anfang an einseitig. Es gab über 4000 Seiten Ermittlungsakten – aber immer nur in einer Richtung.“ Der 62-jährige Zeuge habe „gelogen“, behauptete Stehle und nannte hierzu zahlreiche Details. Alle „Auffälligkeiten“ hätten widerlegt werden können. Der 29-Jährige sei zulasten der Staatskasse freizusprechen, der Haftbefehl aufzuheben. Co-Verteidiger Andreas Müller schloss sich an – unter Bezug auf den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Verteidiger André Miegel aus München meinte namens des 49-Jährigen, Indizienprozesse seien immer schwierig. Hier jedoch seien alle belastenden Indizien klar widerlegt. Der Anwalt bat die Kammer, „sämtliche Zweifel zu prüfen“: „Mit kritischen Zweifeln kommt man zum richtigen Ergebnis.“

Urteil aufgrund
„nackter Fakten“

Im Urteil unterstrich die Vorsitzende Richterin, das Gericht habe sich nicht auf Spekulationen, sondern auf „nackte Fakten“ gestützt. Für manches Indiz könnten andere Erklärungen in Betracht kommen. Alle zusammen jedoch wären in der Gesamtschau „zu viel des Zufalls“.

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