Wasserburg – Die Pflege in der Psychiatrie ist ein wichtiger Bestandteil der Versorgung, aber sie ist oft von Vorurteilen und Missverständnissen geprägt: gefährliche und unberechenbare Patienten, die fixiert und mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt werden, zu wenig Pflegepersonal, das hoffnungslos überfordert und deprimiert ist und sich damit abfinden muss, dass den Kranken nicht mehr geholfen werden kann. Dass diese Vorstellung nicht der Wahrheit entspricht, wissen Sabine Riemer und Barbara Hölzl. Beide arbeiten in der Psychiatrie im kbo-Inn-Salzach-Klinikum (ISK) Wasserburg.
Umschulung nach
Arbeitsförderung
Während Riemer schon über langjährige Pflegeerfahrung verfügt, ist Hölzl als Quereinsteigerin dazugekommen. Sie ist eine von zwei Azubis, die im ISK eine Umschulung nach einer neuen Verordnung macht, der AZAV (Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung). Durch diese Regelung soll es Interessierten ermöglicht werden, eine Ausbildung in Berufen zu absolvieren, in denen Fachkräftemangel herrscht.
Hölzl ist zurzeit im ersten Lehrjahr zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. „Ursprünglich habe ich Zahnarzthelferin gelernt“, erzählt die 32-Jährige. Seit 2015 habe sie als Medizinische Fachangestellte im Zentrum für Altersmedizin im ISK gearbeitet und sei deswegen „schon lange auf der Station“. Nun hat sich die Reitmehringerin dazu entschieden, noch mal die Schulbank zu drücken.
„Es ist schon ein bisschen komisch“, gibt Hölzl zu. „Ich musste auch das Lernen erst mal wieder lernen.“ Aber durch die neue Förderung ist die zusätzliche Ausbildung für sie „ohne Nachteile“, denn sie bekommt den gleichen Lohn wie vorher. Ein dickes Plus, wie die Quereinsteigerin findet. „Ich stehe mitten im Leben und habe mein Auskommen. Mit einem Lehrlingsgehalt würde ich nicht zurechtkommen. Doch die neue Finanzierung macht es mir möglich, doch noch die Ausbildung zu absolvieren.“
Wolfgang Janeczka, kommissarischer Schulleiter der kbo-Berufsfachschule für Pflegeberufe, zeigt sich ebenfalls begeistert, dass das Klinikum nun zertifiziert sei, obwohl es „ein bürokratischer Hammer war“, wie er betont. Der Antrag habe die am Inn-Salzach-Klinikum Verantwortlichen, den Personalleiter, die Leiter der Finanzabteilung und die Schulleitung „an ihre Kapazitätsgrenzen“ gebracht, die seit Februar 2024 damit beschäftigt gewesen sei. Im Oktober habe das ISK endlich die Genehmigung dafür erhalten – also rund neun Monate danach. „Es ist ein Zusammenspiel aus zahlreichen Abteilungen, die bis nach Berlin reichen“, erklärt Janeczka das langwierige Verfahren. Doch es habe sich gelohnt. Die Umschulungen könnten in den verschiedensten Branchen stattfinden, wie IT, Handel, Handwerk, Logistik oder, wie in Hölzls Fall, der Pflege.
Rund 1900 Mitarbeitende sind beim ISK angestellt, davon 150 Auszubildende, „doch wir haben Kapazitäten für 176“, so der kommissarische Schulleiter, „und 25 Plätze für die dreijährige Ausbildung im Pflegefachberuf sind ab jetzt förderfähig“. Über zu wenige Bewerbungen könne sich das ISK nicht beschweren, aber die „Qualität der Kandidaten“ habe abgenommen. „Das Image der Pflegeberufe ist während der Corona-Pandemie schwer beschädigt worden“, erklärt Janeczka. Zu dieser Zeit sei suggeriert worden, dass die Mitarbeiter aufgrund des Infektionsrisikos „ständig in Lebensgefahr“ seien „und das Ganze für ein Butterbrot“, kritisiert er. Der Ruf habe sich seitdem zwar wieder gebessert, „die Talsohle ist durchschritten“, aber es dauere eben. Und das ISK habe den Anspruch, nur Bewerbern einen Platz anzubieten, zu denen der Pflegeberuf auch passe. „Wenn jemand nicht mit Menschen kann, dann wird das nichts“, weiß Janeczka, der seit über 34 Jahren an den beiden Pflegeschulen in Gabersee tätig ist.
„Mit Menschen können“: Das ist essenziell, wie Sabine Riemer, langjährige Mitarbeiterin in der Psychiatrie, weiß. Sie kennt die Vorurteile, die rund um die Thematik vorherrschen, obwohl sie der festen Überzeugung ist, dass sich in den vergangenen Jahren „viel getan“ hat. „Seien wir doch mal ehrlich: Jeder kennt jemanden, der sich schon einmal in einer psychischen Krise befand und Hilfe in Anspruch genommen hat. Das ist heutzutage kein Tabu-Thema mehr“, betont die 57-Jährige.
Wie Hölzl hat Riemer vor vielen Jahren eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin absolviert und anschließend im Labor gearbeitet. „Das hat mir nicht so gut gefallen, ich wollte lieber mit Menschen zu tun haben“, weiß sie rückblickend noch gut. So habe sie erst eine Lehre zur Krankenpflegehelferin gemacht, später dann die Ausbildung zur Krankenschwester.
„Mit der Psychiatrie hatte ich nie Berührungsängste“, sagt sie. „Als Wasserburgerin wächst man mit dem Begriff ‚Gabersee‘ ja auf“, erklärt Riemer. Viele Jahre war sie in der Suchtmedizin tätig, ebenso in der Geronto-Psychiatrie. „Der Umgang mit den Patienten ist eine große Verantwortung“, betont sie. Wichtig sei, ihnen „auf Augenhöhe“ zu begegnen.
„Die meisten brauchen Zuspruch, wir helfen im Alltag, auch bei der Körperpflege, die manche alleine nicht mehr schaffen“, erklärt Riemer. „Wir unterstützen die Erkrankten, damit sie aus ihrer Krise herauskommen können. Darum geht es eigentlich in unserem Beruf.“ Auch die „geschlossene Station“ werde nach wie vor stigmatisiert. Die Patienten würden es oftmals anders sehen, für sie sei es „ein geschützter Bereich“, weiß die Wasserburgerin.
Um sogenannte „Aggressions-Zwischenfälle“ zu vermeiden, werde das Pflegepersonal „recht früh in der Ausbildung“ speziell geschult. Es gebe Deeskalationsübungen und „Safewords“, ergänzt Janeczka. Aber: „Es sind ja die wenigsten, die ausflippen und um sich schlagen. Das kommt mal vor, aber wirklich selten“, verdeutlicht Riemer. Für sie ist es wichtig, dass sie einen sinnstiftenden Beruf hat, der ihr nach all den Jahren immer noch Freude bereitet. Auch der Schichtdienst mache ihr „eigentlich nichts aus“. „Man hat ja wieder mehrere Tage hintereinander frei, das genieße ich sehr.“
„Wir unterstützen
uns gegenseitig“
Dennoch gebe es auch Tage, an denen es zu „unschönen Erlebnissen“ komme. Gleich am zweiten Tag ihrer Ausbildung sei damals ein Patient gestorben, erinnert sie sich. „Ich muss aber sagen, dass wir das im Team sehr gut aufgearbeitet haben. Ein Kollege hat mit mir alles durchgesprochen, wie mit dem Verstorbenen umgegangen wird, das weitere Verfahren“, erklärt sie. So konnte sie mit dem Erlebten gut umgehen. Das sei ohnehin das A und O: „Die Arbeit im Team ist bei uns wirklich sehr gut. Wir unterstützen uns gegenseitig“, berichtet Riemer. Das kann Hölzl nur bestätigen. „Wenn es Schwierigkeiten gibt, habe ich immer einen Ansprechpartner“, so die Auszubildende. „Ich werde nie alleine gelassen.“