„Ich dachte, ich muss sterben“

von Redaktion

Rakete trifft junge Frau Silvester 2023 am Auge – Beginn einer Leidensgeschichte

Tuntenhausen – Etwas mehr als ein Jahr ist es nun schon her, dass Antonia B. fast ihr Auge verloren hätte. Die 23-Jährige aus der Nähe von Tuntenhausen wurde in der Silvesternacht 2023 von einem Feuerwerkskörper getroffen. Mit den Folgen hat sie heute noch zu kämpfen – und auch an den Unfall erinnert sie sich gut.

Gegen Mitternacht sei sie mit Freunden und Familie nach draußen gegangen, um anzustoßen. „Ich selbst habe dann ein kleines Feuerwerk angezündet. Das war aber eher so eine Fontäne“, erinnert sie sich. Auch andere Bewohner ihres Heimatdorfes seien auf der Straße gewesen und hätten ihr Feuerwerk gezündet. Zusammen mit ihren Bekannten habe sie sich anschließend vor ihre Haustür zurückgezogen und von dort aus zugeschaut.

„Etwas Schlimmes
ist passiert“

„Ein paar Leute aus dem Dorf haben dann eine Batterie gezündet. Kurz darauf habe ich nur noch eine grüne Kugel auf mich zufliegen sehen. Die nächsten Momente habe ich wie in Zeitlupe erlebt.“ Sie habe sich ans Auge gefasst und sich gebückt. Da noch einige Feuerwerksteile aus der umgefallenen Batterie geschossen kamen, hätten sich auch die anderen geduckt und geschrien. Schmerz habe B. da noch nicht gespürt. „Aber ich habe schon gewusst, dass etwas Schlimmes passiert ist“, sagt sie.

Sofort zum
Augenarzt

„Kurz dachte ich wirklich, ich muss sterben“, so die 23-Jährige. Dann sei auf einmal alles ganz schnell gegangen. In Panik stürmten sie und ihre Besucher ins Haus. B. habe sich hingesetzt, ihr Auge blutete zu dem Zeitpunkt schon, öffnen konnte sie es nicht mehr.

Einer ihrer Bekannten studiert Medizin. „Er meinte, wir sollen gleich zu einem Augenarzt, nicht ins Krankenhaus. Meines Wissens gibt es dafür weder im Rosenheimer noch im Bad Aiblinger Krankenhaus einen Spezialisten“, so B.

Als das Adrenalin nachließ, kamen die Schmerzen. „Es hat so unfassbar wehgetan. Ich dachte mir nur, ich will nicht blind werden“, erzählt sie. Mit dem Auto machte sich ihre Familie auf den Weg zu einem Bereitschaftsarzt. Der habe gesagt, die Verletzung sei katastrophal. „Ich war total verzweifelt“, sagt B. Allerdings habe man zu dem Zeitpunkt nicht viel machen können. Deshalb wurde sie wieder nach Hause geschickt.

Die Schmerzen wurden immer schlimmer, auch starke Schmerztabletten halfen nicht. „In der Nacht habe ich immer wieder nach Hilfe gerufen“, so B. Heute ist sie sich sicher, dass es ein Fehler war, nicht nach dem Arzttermin noch ins Krankenhaus zu fahren.

Am nächsten Morgen war sie zur Kontrolle beim Augenarzt. Der habe aber nichts sehen können, da das Auge stark geschwollen war. Auch im Krankenhaus sei sie gewesen. Dort habe man eine Computertomografie vom Kopf gemacht, um zu überprüfen, ob sich ein Fremdkörper im Auge befindet. Bis die Ergebnisse vorlagen, musste B. im Krankenhaus bleiben. „Die Ärzte haben zu mir gesagt, wenn sie etwas finden, muss das Auge sofort raus“, sagt die 23-Jährige. Für sie sei das unvorstellbar gewesen. „Ich wollte mein Auge nicht verlieren.“

Zu ihrem Glück blieb die Untersuchung unauffällig. Dann hieß es abwarten. „Bestimmt vier Wochen war es ungewiss, ob ich überhaupt wieder sehen kann“, so B. Diese Zeit zu überbrücken, sei schwer gewesen, B. lag fast nur auf der Couch. „Lesen, Fernsehen, das ging ja alles nicht.“ Außerdem habe sie ihr Auge lange Zeit geschlossen gehalten. „Ich hätte es wirklich aufzwingen müssen. Und wenn es geöffnet war, hat es wie verrückt getränt“, erinnert sie sich.

Als sie mehrere Wochen nach dem Unfall einen Sehtest machte, waren die Ärzte überrascht. „Sie haben gesagt, es ist wirklich ein Wunder, dass ich überhaupt noch sehe.“ Über die Zeit regenerierte sich ihr Auge dann so weit, dass die Sehfähigkeit 60 Prozent betrug.

Durch den Unfall erlitt B. eine Augapfel-Prellung. Außerdem riss die Iris. „Die Iris macht die Pupille bei viel Licht klein und bei wenig Licht groß. Da der Unfall in der Nacht passiert ist, war die Pupille groß und ist dann auch so geblieben“, erklärt B. Dadurch werde man auch bei wenig Lichteinfall so stark geblendet, dass man meist nichts mehr sehe. Zudem staute sich Blut in der vorderen Augenkammer.

Die Netzhaut löste sich glücklicherweise nicht. Das hätte bedeutet, dass B. auf dem betroffenen Auge erblindet. „Durch den Aufprall ist das Risiko aber größer, dass sie sich löst. Das kann auch jederzeit passieren“, sagt sie. Sollte es so weit kommen, müsse man schnell handeln. Ansonsten könnte B. auf dem verletzten Auge doch noch erblinden.

Aufgrund des Aufpralls entwickelte sich außerdem ein grauer Star. „Dadurch ist die Sehkraft auf 20 Prozent zurückgegangen.“ Jetzt war klar: Das Auge muss operiert werden. Dabei wurde die Pupille verkleinert, zusätzlich bekam B. ein Implantat, das die Blendung reduziert. Die Farbe des Implantats sollte an ihre Augenfarbe angepasst werden. „Das hat leider nicht ganz geklappt“, sagt B. Man sieht deshalb einen deutlichen Unterschied.

Das beschäftigt B. auch im Alltag. Neben dem Studium arbeitet sie als Kellnerin in einem Lokal. „Ich werde wirklich oft darauf angesprochen“, sagt sie. Warum Menschen sie immer wieder nach ihrem Auge fragen, kann sie nicht nachvollziehen. Das beschäftige sie jedesmal sehr. „Ich selbst sehe es oft gar nicht mehr und denke auch nicht daran. Aber wenn mich jemand darauf anspricht, ist es wieder präsent“, so die 23-Jährige.

Betroffene ist
für ein Böllerverbot

B. selbst spricht sich für ein Böllerverbot aus, wie es auch eine Petition der Gewerkschaft der Polizei Berlin kürzlich forderte. „Wenn das bei mir ein Einzelfall gewesen wäre, könnte man sagen, Unfälle passieren eben. Aber es sterben Menschen, Hilfskräfte sind so überfordert in dieser einen Nacht“, so B. Ihrer Meinung nach können die Menschen mit Pyrotechnik nicht mehr umgehen.

Auf dem betroffenen Auge hat sie mittlerweile eine Sehkraft von etwa 50 Prozent. Ihre Brille verbessert diese noch etwas, trotzdem ist sie auf dem Auge weitsichtig und sieht vieles verschwommen. Durch die OP verstärkte sich außerdem der Druck in ihrem Auge. „Ich muss mein Leben lang jeden Tag Augentropfen nehmen. Sobald die nicht mehr ausreichen, muss ich wieder operiert werden“, erklärt B.

Schuldfrage nach
wie vor ungeklärt

Auch Silvester kann für die 23-Jährige zur Zerreißprobe werden. „Wenn ich mit dem Hund unterwegs und quasi schutzlos bin und Böller höre, bekomme ich schon Panik“, erzählt sie. Nach dem Unfall habe sie auch Albträume gehabt, in denen sie alles wieder erlebte.

Was bleibt, ist auch die Frage nach der Schuld. „Die Feuerwerks-Batterie wurde nicht fachgerecht, sondern in der Hand gezündet. So kann man sie vermutlich auch nicht mehr sicher auf den Boden stellen. Zeugen berichten, dass sie dann geworfen wurde.“

Bisher habe sich aber niemand dazu bekannt, die Batterie gezündet zu haben. Deshalb habe sie schließlich Anzeige erstattet. „Mittlerweile wird auch gegen eine einzelne Person ermittelt“, so die junge Frau. Was dabei herauskommt, sei aber noch abzuwarten. Entschuldigt habe sich keiner der Beteiligten. „Das hätte mir schon irgendwie geholfen.“

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