Rosenheim – Die Freien Wähler hatten Vertreter der Wirtschaft aus der Region Rosenheim zum Empfang geladen – mit dem bayerischen Wirtschaftsstaatssekretär Tobias Gotthardt als Hauptgast. Zuvor schaute der Freie-Wähler-Politiker beim Oberbayerischen Volksblatt vorbei. Und beantwortete im exklusiven Gespräch Fragen zu den düsteren Wirtschaftsprognosen, zu Versäumnissen und zu Pflichten der Politik. Und natürlich zum Brenner-Nordzulauf.
Diverse Automobilzulieferer, die Raublinger Papierfabrik, Rohrdorfer Zement, der Bodenhersteller Hamberger: Auch über der Wirtschaft in der Region ziehen dunkle Wolken auf. Wie ernst ist die Lage?
Glänzend ist was anderes. Ich war kürzlich in der Region vor Ort und habe ein bisschen mit den Leuten gesprochen.
Wie war der Eindruck?
Wir haben in Europa, aber mehr noch in Deutschland, eine Wirtschaftskrise, die wir so lange nicht hatten. Das heißt, die Lage ist ernst, aber Bayern ist in dieser schwierigen Lage solide aufgestellt, dank des guten Wirtschaftens unserer Unternehmen. Deswegen brauchen wir gerade vom Bund Freiheit für unsere Unternehmen und Rückenstärkung für unsere Industrie.
Was muss sich ändern?
Wir brauchen unter anderem einen verträglichen Wirtschaftsstrompreis. Wir liegen mit knapp 20 Cent deutlich über dem Durchschnitt des Industriestrompreises in Europa und der Welt sowieso. Wenn Sie sich die USA mit vier Cent anschauen: Da liegen wir weit, weit drüber. Eine neue Bundesregierung muss da ganz schnell die Weichen anders stellen. Und Europa muss sich jetzt entscheiden, ob es in 20 Jahren noch Industriestandort sein möchte oder nicht. Unsere klare Antwort aus Bayern heißt, ja, wir wollen weiter Industrie- und Innovationsstandort sein.
Da spricht jetzt der bayerische Wirtschaftsstaatssekretär über Rahmenbedingungen, die Europa vorgibt. Was kann der Freistaat machen?
Der Freistaat hat einen kleinen Teil beizutragen, was die Bürokratie betrifft. Ungefähr 50 Prozent des Gesamtaufkommens an Bürokratie kommt aus Brüssel, etwa 40 Prozent aus Berlin und etwa zehn Prozent aus Bayern. Wir in Bayern wollen die Anzahl der Verwaltungsvorschriften grundsätzlich um zehn Prozent senken. Das tun wir mit großen Bürokratie-Entlastungspaketen. Wir haben ein Moratorium. Das heißt, es gibt in Bayern aktuell keine neue Bürokratie, die wir unserem Unternehmen auflasten. Und diese Konsequenzen erwarte ich auch von den anderen Ebenen.
Was heißt das konkret?
Ein Beispiel: Das Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene muss weg. Das ist eine bürokratische Last, die gerade der Mittelstand nicht schultern kann.
Gibt es so etwas in anderen Ländern?
In der Form nicht. Deutschland hatte so etwas davor schon, Europa hat noch eine Schippe draufgelegt. Mit Nachweispflicht über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Das heißt, wenn Sie ein Unternehmen haben und elektronische Bauteile verarbeiten, müssen Sie bei jedem einzelnen Kleinteil nachweisen, wo die Ummantelung für Ihr Kabel gemacht worden ist und dass dabei in irgendwelchen weit entfernten Fertigungsschritten sozial und ökologisch die Standards eingehalten wurden. Das kann ein Mittelständler nicht.
Schwierig ohne extra dafür angestellte Mitarbeiter.
Ich war gerade mit einer Delegation in Kenia und Tansania. Wenn Sie da nachfragen, was sich durch das Gesetz verändert hat, dann hören Sie: Das Einzige, was bei uns gewachsen ist, ist der Markt derer, die irgendwelche Zertifikate erstellen oder fälschen, damit das Ding zu einem erhöhten Preis aus dem Land geht.
In wenigen Tagen wird der neue amerikanische Präsident ins Amt eingeführt. Was droht uns mit Trump?
Mit Trump kommt eine neue wirtschaftliche Realität auf uns zu. Die USA haben demokratisch gewählt. Mit diesem Ergebnis müssen wir leben. Wir werden damit auch leben können. Allerdings braucht es deutsche und europäische Antworten auf die neue Situation auf dem Weltmarkt. Da erwarte ich von der europäischen Ebene eine klare europäische Strategie.
Gegen die Abschottung des amerikanischen Marktes?
Das heißt, gegen die Abschottung oder Sicherung des amerikanischen Marktes und das Rüberziehen von Produzenten. Die Antwort der Europäer muss genau so sein: konsequent, europäisch und den eigenen Markt sichernd, ohne eine überzogene Abgrenzung.
Sollen wir selber Zölle einführen? Strafzölle?
Sie reden jetzt über die Zölle auf chinesische Produkte. Das sind keine Strafzölle, sondern Zusatzzölle. Wir reagieren damit auf ein unfaires Verhalten. Die Chinesen haben in manchen Bereichen einfach Dumpingprodukte auf den Markt gebracht. Zusatzzölle sind kein einfaches Instrument, man muss sie sehr feinfühlig anwenden. Mein Eindruck ist, dass sich die Europäische Kommission dieser Verantwortung bewusst ist. Wir müssen reagieren. Sie können nicht auf einem Spielfeld, auf dem andere Rugby spielen, F-Jugend-Fußball spielen.
Die EU will sich auch mit einem Infrastruktur-Projekt fit machen. Mit dem Brennerbasistunnel. Für wie wichtig halten Sie den?
Ich halte für wichtig, dass wir ein Gesamtkonzept für diese unglaublich wichtige Route haben. Und für dieses Konzept ist der Brennerbasistunnel ein Element. Wichtig ist, dass wir uns das Große und Ganze anschauen. Welche Verkehrsströme gibt es, welche Potenziale der Umschichtung von Lkw auf die Schiene?
Ein Element dieses Brennerbasistunnels, das in der Region schlecht ankommt, ist der Brenner-Nordzulauf. Braucht es den?
Neben den Lkw ist die Schiene ein wichtiges Element des Austausches zwischen Nord und Süd, das steht außer Frage. Deswegen sollte man in einem ersten Schritt schauen, welche Kapazitäten bestehende Routen haben. Das bestehende Gleis hat aktuell auch aus Sicherheitsgründen eine Auslastung von ungefähr 60 Prozent. Ich erwarte von Bundesregierung und Bahn, dass sie unter anderem durch den Einsatz von modernster Sicherheitstechnik wie dem ECTS-Standard dafür sorgen, dass wir eine hundertprozentige Auslastung dieser Gleise hinbekommen.
Das alles kostet Zeit. Was die Nachbarn, gerade die Österreicher, zunehmend verärgert.
Ich bin seit 2018 im Bayerischen Landtag, war aber vorher in Brüssel tätig. Was mich immer gestört hat, waren die Kommunikationsprobleme mit unseren österreichischen Nachbarn. Ich kann ein so herausforderndes Problem nicht lösen, wenn ich nicht bereit bin, auf Augenhöhe mit dem Nachbarn zu reden. Und das wünsche ich mir für die weitere Debatte. Hubert Aiwanger hat mit dem jetzigen Tiroler Landeshauptmann Mattle, der vorher Wirtschaftsminister war, ein gutes Auskommen gehabt. Man kann nicht einseitig Schuldzuweisungen machen. Dieser massive Transport belastet die gesamte Region. Die neue Bundesregierung muss daher eine ehrliche Kommunikation auf Augenhöhe mit den österreichischen Nachbarn führen.
Sieht das Herr Mattle genauso? Er steht hinter der Blockabfertigung.
Für Herrn Mattle gilt das Gleiche.
Aber er sieht es noch nicht so.
Ich glaube, das wird am Ende nicht weit auseinander sein. Jeder hat seine Zwänge und seine Nöte.
Können wir Hoffnungen hegen, dass Herr Mattle bald mit Fahrverboten und Blockabfertigung aufhört?
Gegen diese Maßnahme liegt eine Klage Italiens vom Europäischen Gerichtshof vor, der sich die Europäische Kommission angeschlossen hat. Jetzt können wir hoffen, dass bald eine juristische Entscheidung fällt. Ohne juristische Maßnahmen wird kaum irgendetwas zurückgenommen werden. Aber man muss beide Seiten sehen. Natürlich hat auch Mattle Zwänge. Blockabfertigung ist schlecht für uns, und es ist nicht EU-rechtskonform. Aber ich glaube, der Bauer im tiefen Bergtal interessiert sich nicht für EU-Recht. Wir müssen reden. Beim Reden kommen die Leute zusammen. Interview: Michael Weiser