Anrufe aus dem „Raubdezernat Rosenheim“

von Redaktion

Falsche Polizisten warnten Opfer vor „Einbrechern“ – 150000 Euro Beute – Prozess in Traunstein

Traunstein/Rosenheim – Das „K 4 Raubdezernat Rosenheim“ warnte Bürger via Telefon vor einer „Einbrecherbande“, bei der man einen Notizzettel mit ihrer Adresse gefunden habe, oder auch vor einem „Raubüberfall“ in der Nachbarschaft. Der Rat der Anrufer lautete, Wertsachen sicherheitshalber der „Polizei“ zu übergeben. Ein 56-Jähriger aus Rosenheim muss sich seit dieser Woche wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs vor der Sechsten Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Jacqueline Aßbichler verantworten.

Abenteuerliche
Erklärungen

Der Angeklagte mit türkischer Staatsangehörigkeit lieferte abenteuerlich anmutende Erklärungen zur Anklage von Staatsanwalt Florian Krug. Dass er jeweils an den Tatorten war, sei reiner „Zufall“ gewesen.

Der 56-Jährige soll einer kriminellen Gruppierung angehört haben, die mit der Betrugsmasche „falsche Polizisten“ bei leichtgläubigen Geschädigten in Stadt und Landkreis Rosenheim enorme Beute machte. Insgesamt sollen bei sechs vollendeten Taten Wertsachen wie Schmuck, Goldbarren und Bargeld im Wert von über 150000 Euro verschwunden sein. Taten in Bruckmühl und Rosenheim scheiterten gemäß Anklage.

„Falsche Polizeibeamte“ sind ein bundesweites Phänomen, das vorwiegend ältere Menschen zum Opfer werden lässt. Im jetzigen Prozess fiel aber auch ein 24-Jähriger herein und legte namens seiner Eltern zehn Goldbarren à 50 Gramm im Wert von mehr als 37000 Euro, dazu noch teuren Schmuck, in einem Jutesäckchen vor die Haustür seines Elternhauses.

Die Bande arbeitet mit „Keilern“ in der Türkei, die spätere Geschädigte mit fingierten Gefahrensituationen in Panik versetzen. Mit moderner Manipulationssoftware wird unter anderem die Telefonnummer einer anrufenden Polizeistelle vorgespiegelt. Die Geschädigten werden danach von „Amtspersonen“ stundenlang in der Leitung gehalten – bis sie ihre Vermögenswerte offenbaren und letztlich zum Abholen durch „Polizeibeamte“ an obskuren Stellen bereitlegen. Binnen kürzester Zeit ist dann alles weg. Ein ganzes Netzwerk von kriminellen Tätern einschließlich Logistikern, die alles steuern, soll hinter der weitverbreiteten Betrugsmasche stehen.

Fahrer und Abholer sind in dem System unentbehrlich. Der 56-Jährige soll am 24. Februar 2023 in Rosenheim 8500 Euro in bar kassiert haben, auf Weisung eines Keilers in einem Gefrierbeutel zwischen zwei Autos nahe einem SB-Geschäft platziert. Wie in anderen Fällen überwies der Angeklagte „seltsamerweise“, so das Gericht, zeitnah stets etwa zwei Drittel des Beutewerts in die Türkei.

7500 Euro verlor eine Dame (82) am 8. März 2023 auf ähnliche Weise. Sie brachte den Betrag zu einer Stelle hinter einem Kaufhaus in der Stadt. Als ihr alles doch komisch vorkam, informierte sie die echte Polizei. Eine Streife fand jedoch nichts mehr am Ablageort.

Den höchsten Verlust erlitt ein älteres Paar am 30. März 2023 in Rosenheim. Schmuck und Uhren im Gesamtwert von circa 100000 Euro in einem Einkaufskorb, abgestellt unter dem Briefkasten, wechselten an dem Tag den Besitzer. Als dem Paar Zweifel kamen, war es zu spät.

Der 24-Jährige erhielt am 21. Juni 2023 auf dem Festnetzanschluss seiner Eltern in Rosenheim einen verhängnisvollen Anruf, wenig später noch einen auf seinem Handy. Er schöpfte keinerlei Verdacht und händigte das Gold der Eltern aus.

Eine 71-Jährige wurde am 13. November 2023 dazu gebracht, ihr Bankkonto aufzulösen. Die 2260 Euro deponierte sie in einem Kuvert auf der Treppe ihrer Haustür. Der Angeklagte soll sofort zur Stelle gewesen sein.

Eine regelrechte Anrufwelle von „falschen Polizisten“ bei älteren Personen im Raum Bruckmühl verzeichnete die Kripo am 13. Februar 2024, eine weitere am 16. Juni 2024 in Rosenheim. Der 56-Jährige soll in dem Gebiet jeweils zur Abholung parat gestanden sein. Seine Taten endeten nach Überzeugung des Staatsanwalts am 15. Februar 2024 in Rosenheim.

Zuerst kontaktierte die Bande eine 90-jährige Dame wegen einer polizeilichen „Sicherheitsabfrage“ nach Einbrüchen in der Nähe. Die Tochter übernahm das Gespräch. Die 59-Jährige vermutete schnell, dass etwas nicht stimmte, etwa, als ihr gesagt wurde, sie solle auflegen und die Notrufnummer „110“ wählen. Die Zeugin schilderte, wie sie die Bande mit der Aussicht auf hohe Vermögenswerte von rund 55000 Euro köderte und die echte Polizei verständigte.

Sie legte zum Schein „Geld und Gold“ in einer Tüte vor das Haus. Die 59-Jährige sah den 56-Jährigen damals draußen im Auto sitzen und konnte ihn nun im Gerichtssaal identifizieren. Richterin Jacqueline Aßbichler gratulierte der 59-Jährigen zu ihrer Geistesgegenwart und ihrem „Mumm“. Weder die 90-Jährige noch ihre Tochter fühlten sich auf Frage der Kammer „belastet“ von dem damaligen Geschehen. Beide äußerten vielmehr „Freude, dass der Angeklagte erwischt wurde“. Die 59-Jährige weiter: „Ich hatte schon auf solche Anrufe gewartet. Ich habe es durchgezogen, um andere Menschen zu schützen.“

Geld für
seinen „Neffen“

Auf reichlich Skepsis stießen die Angaben des Angeklagten. Er wollte mehreren Leuten in der Türkei Geld für seinen „Neffen“ geschickt haben. Woher er so viel Geld hatte, wurde nicht ersichtlich. Fotos von erbeutetem Schmuck bei sich zu Hause erklärte er damit, die Preziosen habe er für die Eigentümer, die sie demnächst holen wollten, aufbewahrt. Seine Anwesenheit an den Schauplätzen erklärt er mit „Besuch von Bekannten“. Eindeutige Fahrtrouten auf seinem Handy seien „purer Zufall“.

Der Prozess gegen den 56-jährigen Angeklagten sollte eigentlich noch diese Woche weitergeführt werden, möglicherweise sogar mit einem Urteil zu Ende gehen. Der Termin wurde jedoch verschoben, ein weiterer Verhandlungstermin steht bisher nicht fest.

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