Traunstein/Aschau – Vor gut 300 Tagen fällte die Zweite Jugendkammer des Landgerichts Traunstein das Urteil: Für den Mord an Hanna W. (23) muss Sebastian T. für neun Jahre hinter Gitter. Folgt man der Verteidigung, sitzt der Aschauer zu Unrecht. Über seine Anwälte Regina Rick, Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank hat Sebastian T. auch Revision beantragt. Ein Verfahren, das nunmehr dem Ende zugeht. Womöglich noch vor dem Frühjahr fällt eine Entscheidung.
Denn jüngst hat der Generalbundesanwalt gesprochen. Dessen Antrag auf Verwerfung der Revision bedeutet womöglich so etwas wie die vorletzte Station im Marathonverfahren um den Tod von Hanna W. am 3. Oktober 2022. Zu äußern hat sich nun noch die Verteidigung. Am gestrigen Montag lief die Frist ab, die ihr die Strafprozessordnung zur Abfassung einer Stellungnahme zum Antrag des Bundesanwalts gewährt. Damit liegt der Ball nun beim Bundesgerichtshof (BGH).
Erster Senat des BGH
trifft die Entscheidung
Der Antrag auf Verwerfung der Revision klingt nach Vorentscheidung. Nicht aber für Dr. Yves Georg von der Kanzlei Schwenn Kruse Georg aus Hamburg, die von der Verteidigung im Fall Hanna hinzugezogen wurde. Der Antrag des Generalbundesanwalts, die Revision zu verwerfen, sei die eine Sache. Die Entscheidung, ob er die Auffassung seiner Staatsanwaltschaft teilt, liege aber weiterhin beim Bundesgerichtshof (BGH), sagt der Jurist aus der Hansestadt.
Yves Georg äußert sich gelassen. „Einen Antrag, die Revision zumindest teilweise als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, stellt der Generalbundesanwalt in 97,5 Prozent aller Revisionen vonseiten eines Angeklagten“, sagt er. „Wie könnte mich das überraschen?“
Drei Möglichkeiten gebe es für den Bundesgerichtshof. Erstens: Er verwirft die Revision durch einstimmigen Beschluss ohne Begründung. Zweitens: Er gibt durch einstimmigen Beschluss zugunsten des Angeklagten statt. Das heißt, das Urteil vom 19. März 2024 würde aufgehoben werden. Und drittens: Der Bundesgerichtshof beraumt einen Termin zur Revisionshauptverhandlung an, um dort mündlich und öffentlich zu verhandeln.
„Der erste Weg, also die Verwerfung der Revision als offenbar unbegründet, ist der einzige, der von einem Antrag des Generalbundesanwalts abhängt“, sagt Georg. Man kann es so sagen: Der Generalbundesanwalt hat sich geäußert. Eine endgültige Entscheidung in der Revision aber hat er nicht getroffen – das kann nur der Bundesgerichtshof.
23 Seiten zählt der Antrag des Generalbundesanwalts. Yves Georg hat sie sich genau angesehen und aus seiner Sicht Grundlegendes zu beanstanden. Er spricht von „Textbausteinen und Floskeln“. Wo es darauf ankomme, begegne der Generalbundesanwalt der Revision mit „ungeeigneten Erwägungen – darauf werden wir eingehen“. Mit einer „Kernbeanstandung“ habe er sich „völlig unzureichend“ auseinandergesetzt: mit der Rüge, dass das Vertrauen des Gerichts in den entscheidenden Zeugen „grob rechtsfehlerhaft begründet“ gewesen sei. Es geht erneut um den JVA-Zeugen, der angegeben hatte, dass Sebastian T. ihm gegenüber in der Untersuchungshaft die Tat gestanden habe. Geglaubt habe man ihm, obwohl er nachweislich zwei diagnostizierte Persönlichkeitsstörungen habe, ein vorbestrafter Sexualstraftäter sei und bereits bei früheren Gelegenheiten Menschen falsch bezichtigt habe.
Und das nur, weil man ihm einen Punkt seines Berichts als „Täterwissen“ abgekauft habe – dass Sebastian T. Hanna W. bewusstlos geschlagen habe, „damit sie sich nicht wehrt“.
Schon vor der ersten Vernehmung des Zeugen hätten allerdings sechs Zeitungen und Online-Medien berichtet, dass die Frau „aus sexuellen Motiven angegriffen und bewusstlos geschlagen“ worden sei, führt Georg an. „Wie kann das angebliche Niederschlagen, ‚damit sie sich nicht wehrt‘, da noch ‚Täterwissen‘ sein? Da sei nichts, was nur der Täter wissen könne.“ Die Aussage des Zeugen sei die tragende Säule des Urteils gewesen, meint der Anwalt. „Und diese Säule ist morsch.“
Revisionsspezialist
verweist auf Statistik
Wird die Revision durchgehen? Yves Georg verweist auf die Statistiken des BGH. Sie sind kein Geheimnis, der Bundesgerichtshof hat sie online gestellt. Die Zahlen belegten, dass kein Landgericht in Bayern so oft von Karlsruhe aus korrigiert wird wie das Landgericht Traunstein. 2023 sei demnach jedes zweite Urteil rechtsfehlerhaft gewesen, sagt Yves Georg. „Das ist enorm.“
Der Indizienprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. hatte sich über 35 Verhandlungstage hingezogen. Am Ende verurteilte das Landgericht Traunstein Sebastian T. wegen gefährlicher Körperverletzung und Mordes zu neun Jahren Haft. Nach Auffassung der Jugendkammer hatte der damals 20-Jährige Hanna W. am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 auf ihrem Heimweg von dem Club „Eiskeller“ in Aschau im Chiemgau aus sexuellen Motiven verfolgt.
Sebastian T. soll die Medizinstudentin von hinten angegriffen und schwer verletzt in den seinerzeit reißenden Bärbach geworfen haben. Bei der Rekonstruktion dieses Tathergangs folgten Staatsanwaltschaft und die Vorsitzende Richterin im Wesentlichen den Aussagen des JVA-Häftlings. Diese Aussagen hat nun die Verteidigung im Visier.