Garmisch-Partenkirchen – Er war tatsächlich gekommen, ins Gebäude des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen: Mike Glemser. Wie er da im neuen Anbau des Gebäudes saß, den mittlerweile schmalen Körper in den Rollstuhl gepresst, war es schwierig zu sagen, was in seinem Gesicht zu erkennen war, Traurigkeit oder Müdigkeit. Es war sichtlich ein schwerer Weg, den er da zurückgelegt hatte, fast genau zwei Jahre nach seiner schweren Verletzung im Auswärtsspiel der Starbulls Rosenheim beim SC Riessersee. Um 5 Uhr seien sie aufgestanden, um rechtzeitig ins Werdenfelser Land aufbrechen zu können, sagte seine Freundin Lara Lindmayer.
Ein echtes Gespräch
war nicht möglich
Die Mühe hatten Mike Glemser und seine Freundin für ein erstes Kapitel auf sich genommen, das bei genauem Hinsehen gar kein erstes Kapitel war, sondern so etwas wie das kurze Vorwort für einen Fall, der in die Sportgeschichte eingehen könnte. Angesetzt war schließlich nur eine Güteverhandlung in Glemsers Kampf um ein Schmerzensgeld. Ein Versuch also, den Streit mit einem Kompromiss beizulegen.
Es werde keine Entscheidung geben, hatte Richterin Römheld den Anwälten eingangs gesagt, „aber Sie können ins Gespräch gehen“. Zu diesem Gespräch kam es nicht, und eigentlich war das erwartungsgemäß. Die Anwälte Dr. Wolfram Cech für den Riesserseer Spieler Jan Niklas Pietsch und Oliver Negele für Mike Glemser machten keinen Schritt aufeinander zu. Sie konnten es auch nicht. Die Positionen lassen sich nicht zusammenbringen. Nach fünf Minuten machte die Richterin Schluss. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Vergleich auch nur aussehen könnte“, sagte Anwalt Wolfram Cech. Deswegen, weil die private Haftpflichtversicherung in diesem Fall nicht greife, die exorbitanten Summen von deutlich über einer halben Million Euro, um die es gehe, also außerhalb der Reichweite seines Mandanten liegen.
Unfall oder Absicht –
das ist hier die Frage
Und so wird es zu einer „richtigen“ Verhandlung vor dem Arbeitsgericht kommen, einer Verhandlung, in der geklärt wird, ob die Tragödie, die sich am 3. Februar 2023 ereignete, neben dem Opfer Mike Glemser auch einen Schuldigen hat, einen, der haften muss: Jan Niklas Pietsch.
Weder Mike Glemser noch Anwalt Negele wollten sich in Partenkirchen äußern. Anders Cech. Er äußerte sich zufrieden über den Vortrag der Richterin, die seiner Partei ja richtigerweise das „Haftungsprivileg“ zuerkannt habe. Dieses Haftungsprivileg ergebe sich, „wenn sich zwei Arbeitnehmer, die noch nicht mal dem gleichen Arbeitgeber angehören, wechselseitig bei der Verrichtung ihrer Tätigkeit verletzen“, erklärte Cech. Auch die Berufsgenossenschaft habe den Vorfall als Arbeitsunfall anerkannt.
Um dann auf Schadensersatz zu klagen, benötige man zwei Komponenten: zuerst den Vorsatz bei der Handlung, also den Check von Pietsch gegen Glemser, und dann den Vorsatz auf die Verletzung. Wollte Pietsch Glemser verletzen? Die Unterstellung finde er „ein bisschen verwerflich“, sagte Cech. Sie sei „kategorisch“ zu verneinen.
Tatsächlich sei Glemsers Sturz und Aufprall an der Bande Folge eines Zweikampfs gewesen, der sich in jedem Eishockey-Match dutzendfach ereigne, sagte der auf Eishockey spezialisierte Jurist. So häufig und an sich beiläufig ein Check sei, so furchtbar sei in diesem Fall das Ergebnis gewesen. „Es ist eine Tragödie“, sagte Cech nach dem Güte-Termin.
Cech widersprach der Darstellung in Mike Glemsers Instagram-Account, nach der sich sein Mandant nie bei Glemser gemeldet habe.
Anwalt von Pietsch
widerspricht Glemser
Auf die Frage eines Reporters, ob er sich entschuldigt habe, das sei ja offenbar der Punkt, der Herrn Glemser übel aufgestoßen ist, meinte Cech: „Da würde ich jetzt die Frage zurückstellen, wofür soll sich Herr Pietsch entschuldigen?“ Der Check sei nicht heftig gewesen, derlei Duelle kommen nach seinen Worten in jedem Match 70- bis 100-mal vor. Pietsch habe sich aber bei der Lebensgefährtin gemeldet, außerdem einen Besuch im Krankenhaus angeboten. Den habe Lara Lindmayer abgelehnt. Man sei aber in Kontakt gewesen, Pietsch habe sich erkundigt, wie es Mike Glemser gehe.
Am Gericht erschienen war auch Panagiotis Christakakis, Kaufmännischer Leiter der DEB-Ligen und vor zwei Jahren Geschäftsführer des SCR. Nach seiner Beobachtung wollten die Schiedsrichter zunächst gar kein Foul ahnden. Die Referees hätten Pietsch erst unter dem Eindruck, dass Glemser sein Bewusstsein verloren hatte, eine Fünf-Minuten-Strafe gegeben, sagte Christakakis auf Anfrage.
Darauf läuft auch Cechs Argumentation hinaus. Er fürchtet für seinen Mandanten, die Angelegenheit könnte „ex ante“ betrachtet werden, der Zweikampf also allein nach dem unglücklichen Ergebnis beurteilt werden. „Der Fall ist deswegen so besonders, weil es um die Schwere der Verletzung geht“, sagte Cech. „Das muss man aber ausblenden.“
„Er müsste mit Haus
und Hof haften“
Wenn sein Mandant schuldig gesprochen werde, müsse er „mit Haus und Hof“ haften. Eine private Haftpflichtversicherung zahle nicht bei einem Arbeitsunfall, überhaupt stehe keine Versicherung für eine vorsätzliche Tat ein. Die Folgen könnten weit reichen, bis hin zur Verurteilung von Sportlern. Sollte Pietsch haftbar gemacht werden, „werde ich sämtlichen Eishockey-Mandanten raten, mit ihrem Sport aufzuhören“, sagte Cech.
Tatsächlich könnten die Konsequenzen in alle Sportarten hineinreichen, die Kontakt mit sich bringen.