Unterwössen – Horst Köhler erwarb den Bichlhof in Unterwössen im September 2011, das ging wie ein Lauffeuer durch die Regenbogenpresse. Ein Freund, Dr. Günther Merl, ehemals Vorstandsvorsitzender der Landesbank Hessen Thüringen, soll ihm von seinem neuen Wohnort Unterwössen vorgeschwärmt haben. Nach einigen Sanierungsarbeiten und dem Bau einer Doppelgarage zog die Familie Köhler im Oktober 2012 ein. Die kleine Feier zum Einzug war ein kleiner Fingerzeig. Bis auf den Unterwössner Ortsberichterstatter waren keine Journalisten zugelassen. Zuhauf lehnte das Bundespräsidialamt bundesweite Anfragen ab.
Das Gebäude liegt auf einer Anhöhe am Ortsrand von Unterwössen auf einem großen Grundstück mit alten Obstbäumen. Da kam schon etwas Sorge in der Bevölkerung auf, ob auch 2012 die Gebirgsschützenkompanie Wössen/Achental mit ihrem Böller- und Kanonensalut vom Bichlhof aus das Weihnachtsfest eröffnen durfte. „Natürlich, sehr gern“, war die Antwort von Grundeigentümer Horst Köhler, der sich offensichtlich über die gewachsene Tradition freute.
Der erste Eindruck vom hohen Staatsmann in Unterwössen täuschte nicht, wie sich auch in den Folgemonaten und bis zuletzt in den Begegnungen zeigte. Freundlich und auf Augenhöhe kam er mit den Bürgern ins Gespräch. Es sprach sich schnell herum, dass Köhler – wenn es sein Terminkalender hergab – ein morgendliches Bad im Wössner See nahm. Die Anzahl der Frühschwimmer wuchs deutlich an, getrieben von der Idee, einmal mit dem hohen Gast im selben Wasser geschwommen zu sein. Doch bald normalisierte sich die Situation. Auch die Frühschwimmer berichteten: Köhler zeigte sich sehr zugewandt, hatte für jeden ein „Grüß Gott“. Schnell fand er in die Gespräche mit den Unterwössnern. Immer blieb der Eindruck, dass Köhler es genoss, als reiner Privatmann in die Dorfgemeinschaft einzutauchen.
So ganz und immer privat konnte er im Achental nicht bleiben. Gern folgte der Staatsmann der Einladung der Grund- und Mittelschule Unterwössen, hatte einen Riesenspaß an deren Schulfilm und beantwortete anschließend frank und frei alle Fragen der Schüler, die sich manch Erwachsener nicht getraut hätte. Das Ökomodell Achental gewann ihn als Festredner für ihr Jubiläum zum 20-jährigen Bestehen. Da stand dann der erfahrene Wirtschaftslenker mit internationalem Weitblick am Rednerpult. Seine Worte fanden viel Beachtung, als er die Bedeutung lokaler Verantwortung für globale Herausforderungen betonte. Er hob hervor, dass nachhaltiges Wirtschaften, Naturschutz und bürgerschaftliches Engagement entscheidend für eine zukunftsfähige Gesellschaft sind. Das Ökomodell Achental sei ein Beispiel dafür, wie innovative Ansätze auf regionaler Ebene erfolgreich umgesetzt werden können.
Über die Jahre wuchsen der Staatsmann und Unterwössen immer mehr zusammen. „Er war kein Mann großer Auftritte, sondern ein Mensch, der hier Ruhe suchte und fand“, erinnert sich ein Nachbar. Um ihn formte sich ein weiter Bekanntenkreis und ein enger Freundeskreis. So entstanden dann fröhliche Runden wie zum 80. Geburtstag des Unterwössner Altbürgermeisters Hans Haslreiter oder am Biertisch beim Gaufest zum 100-jährigen Bestehen des Oberwössner Trachtenvereins D‘ Rechlberger.
Auch Bürgermeister Ludwig Entfellner würdigte in einem Nachruf Köhler als einen geschätzten Mitbürger, der stets bescheiden auftrat und großes Interesse am Gemeindeleben zeigte. „Er hat den Eindruck vermittelt, dass er sich in unserer Gemeinde wohlfühlte und es sehr wertschätzte, als Privatmann ‚einer von uns‘ sein zu dürfen“, so Entfellner. Der Bürgermeister schließt seinen Nachruf: „Die Gemeinde Unterwössen nimmt Abschied von Horst Köhler, der uns in seiner besonderen, menschlichen Art unvergesslich bleiben wird.“ Die nächsten Tage wird ein Kondolenzbuch im Rathaus ausgelegt. Der Bürgermeister wird das persönliche Gespräch mit der Familie suchen, kündigt er an (Weitere Fotos finden Sie auf ovb-online.de).
Ludwig Flug