Rosenheim – Um Hass und Hetze in die Welt zu tragen, muss man sich längst nicht mehr als Redner auf den Marktplatz stellen. Über das Internet erreicht man sogar noch viel mehr Menschen. Und das, ohne die eigenen vier Wände zu verlassen und sich draußen umsehen zu müssen. Allerdings: Auch in gut abgeschirmten Messengerdiensten kann man nicht sicher sein, dass nicht die Behörden mitlauschen oder vielmehr -lesen. Einem Rosenheimer wurde das zum Verhängnis: An einem eiskalten Februarmorgen im Jahr 2022 stürmte die Polizei seine Wohnung.
Die Beamten stellten vor allem Datenträger sicher. Der Tipp war aus Österreich gekommen, der Ertrag sprengte die Erwartungen. Zwei Terabyte Daten sicherten die Ermittler, „krasses Material“, wie es damals ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd nannte, „wüsteste Holocaust-Leugnung“. Weil so viel zu sichten war, und weil die Telegram-Gruppe so groß war – die Behörden sprachen von rund 1000 Mitgliedern – zogen sich die Ermittlungen. Die Sachverhalte sind auch schwieriger zu prüfen als in anderen Fällen. Schließlich ist die Gründung einer Telegram-Gruppe kein Verbrechen. Erst wenn man sie als Öffentlichkeit etwa für volksverhetzende Äußerungen nutzt, interessiert sich der Staatsanwalt dafür.
59-Jähriger hetzte
massiv gegen Polizei
Nach drei Jahren ist es nun so weit: Der zum Zeitpunkt der Razzia 59-jährige Mann muss sich vor dem Amtsgericht verantworten. Die Anklage ist zugelassen, am 17. April wird der Prozess gegen den Rosenheimer am Amtsgericht Rosenheim beginnen. Es kommt eine Menge zusammen, lässt Amtsgerichtssprecher Stefan Tillmann durchblicken. Ein Beitrag des Angeklagten könnte zum Beispiel einen „Aufruf zu Straftaten“ gegen Polizeibeamte enthalten haben. Die Behörden sprechen von einer Vielzahl von Fällen, im Raum stehen laut Tillmann Straftatbestände der Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Außerdem soll er zu Straftaten gegen Polizisten aufgerufen haben. Hinzu komme, dass der Angeklagte zwei Sachbearbeiterinnen der Stadt Rosenheim, die ein Verfahren gegen ihn führten, angekündigt haben soll, sie in „private Haftung“ zu nehmen, sollten sie das Verfahren gegen ihn nicht einstellen. Dies wird als versuchte Nötigung zur Anklage gebracht. Derlei Haftungsandrohungen sind typisch fürs Milieu der Reichsbürger, die ja den Staat und seine Behörden nicht anerkennen.
Ermittler kämpfen mit
extremer Datenmenge
1000 Mitglieder, offenbar auch aus der Schweiz und Österreich, Tausende und Abertausende Chat-Beiträge, die die Beamten erst einmal zuordnen mussten: Dass die Ermittlungen lange dauern würden, war schon kurz nach der Razzia klar. Schließlich stellen zwei Terabyte eine riesige Datenmenge dar. Genug, um Musik für zwei bis drei Jahre ununterbrochenes Anhören zu speichern. Oder rund eineinhalb Millionen Bücher.
Das allein erklärt nicht, warum es am Ende über drei Jahre lang gedauert haben wird, bis sich der Rosenheimer verantworten muss. Zum Umfang der Ermittlungen kommen behördeninterne Gründe, wie Oberstaatsanwalt Dr. Rainer Vietze erklärt. Personelle Engpässe hätten die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft verzögert, zudem sei es zu Umbesetzungen gekommen. Das war deswegen bremsend, weil politische Straftaten sozusagen ein Sonderbereich sind, in den sich ein Staatsanwalt erst einarbeiten muss. Noch dazu schiebt die Staatsanwaltschaft in Traunstein einen Riesenberg an Verfahren vor sich her. Die Staatsanwälte hätten ein Pensum von zeitweise 180 Prozent zu bewältigen, sagt Vietze. Da kann ein Verfahren wie das gegen den mutmaßlichen Reichsbürger auf der langen Bank landen. Schließlich wartete der Rosenheimer nicht in U-Haft auf sein Verfahren, sondern zu Hause. Ein Beschleunigungsgebot wie bei Haftsachen gilt daher nicht.
Viele Reichsbürger
in der Region
Stadt und Landkreis Rosenheim sind schon öfter wegen Reichsbürgern in die Schlagzeilen geraten. So wurde im November 2023 die Wohnung einer Rosenheimerin im Zuge einer bundesweiten Reichsbürger-Razzia durchsucht. Auch von der Reichsbürger-Verschwörung um Heinrich Prinz Reuß gingen über den Ex-Offizier Maximilian E. Verbindungen in die Region aus. Für bundesweites Aufsehen sorgte auch die Querdenker-Schule in Schechen.