Erschütternde Leidensgeschichte des Säure-Opfers

von Redaktion

Rosenheimer (31) schildert vor Gericht sein Martyrium – Angeklagter (41) schweigt weiterhin

Rosenheim – Wirklich verfolgen konnte der Rosenheimer (31) die Geschehnisse im Landgericht Traunstein nur für kurze Augenblicke. Dann musste er wieder blinzeln, sich Augentropfen hinein tröpfeln und mit einem Taschentuch die Feuchtigkeit wegwischen. „Mit dem rechten Auge sehe ich nur noch Umrisse, mit dem Linken verschwommen“, sagte der 31-Jährige. Seit dem Angriff an seiner Haustür im Norden Rosenheims am 13. Mai 2024 hat sich sein Leben schlagartig verändert.

Verantwortlich dafür soll ein Mann (41) aus dem Landkreis Traunstein sein. Er soll an jenem Abend an der Tür des 31-Jährigen geklingelt und ihm einen halben Liter hochgiftige Flusssäure ins Gesicht und über den Körper geschüttet haben. Aus Eifersucht, weil der Rosenheimer immer häufiger Bergtouren mit der Ex-Freundin des 41-Jährigen unternommen hatte, so zumindest der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, die dem Angeklagten versuchten Mord vorwirft. Ob es tatsächlich der 41-Jährige vor der Tür war, konnte auch der Rosenheimer nicht beantworten. Es sei alles schnell gegangen, der Täter habe eine Sturmhaube und eine schwarze Trainingsjacke angehabt, sagte er gestern vor Gericht. „Als es geklingelt hat, dachte ich um die Uhrzeit, dass es ein Nachbar oder ein Paketbote ist“, sagte er.

Als er den vermummten Mann gesehen habe, sei ihm klar, dass gleich etwas Schlimmes passieren werde. Nachdem er die Flüssigkeit auf seinem Körper gespürt hatte, habe er sofort die Tür zugeschlagen und sei ins Bad gelaufen. Dort habe er den Notruf gewählt, sich am Waschbecken das Gesicht gewaschen – und sein T-Shirt ausgezogen.

„Das hat ihm vermutlich sein Leben gerettet“, sagte ein Chemiker des bayerischen Landeskriminalamtes. Seine Reaktion, als er das T-Shirt während der Ermittlungen untersuchte: „Da konnte ich erstmal nicht glauben, dass der Mensch das überlebt hat“. Bereits eine handtellergroße Fläche auf der Haut kann dem Experten zufolge zum Tod führen. „Es gibt kaum eine Industriechemikalie, vor der ich als Chemiker mehr Respekt habe als vor Flusssäure“, sagte er.

Entscheidend für das Überleben des 31-Jährigen sei auch gewesen, dass dieser sich sofort nach dem Angriff unter die Dusche stellte, während er auf die Polizei wartete. Schmerzen habe er zu dem Zeitpunkt noch nicht gehabt, gesehen habe er aber bereits nichts mehr. „Als die Polizisten mir gesagt haben, dass sie nicht reinkommen können, weil es so stechend riecht, habe ich richtig Panik bekommen“, so der Rosenheimer.

Über das Rosenheimer Krankenhaus sei er noch in der Nacht in eine Spezialklinik nach München gekommen, wo er an den Augen notoperiert wurde. „Danach lag ich da im Bett und habe die ganze Nacht überlegt, wer mir das angetan haben könnte“, sagte der 31-Jährige. Am nächsten Tag sei die Tortur losgegangen. Da sich sein Zustand verschlechterte, sei er in die nächste Spezialklinik verlegt worden. Während der Schilderungen von seinen Verätzungen an den Augen, der Zunge und an den Füßen ging ein betroffenes Raunen durch den Zuhörerraum.

Nach fünf Wochen, einer Hauttransplantation am Fuß und täglichen Behandlungen an den Augen kam der Roseneimer schließlich in die Reha. „Dort konnte ich selbst mit Stützen kaum laufen“, sagte der Geschädigte.

Inzwischen könne er sich wieder einigermaßen „im Raum zurechtfinden“. Dennoch könne er weder arbeiten, noch Autofahren. Eine wirkliche Besserung sei derzeit nicht in Sicht. Wie der behandelnde Arzt aussagte, könne man den momentanen Gesundheitszustand gerade nur erhalten. Alle andere Maßnahmen wie Hornhauttransplantationen seien noch zu risikoreich.

Auch sein Ehrenamt beim Alpenverein habe der Rosenheimer aufgeben müssen. „In die Berge kann ich nur mit Begleitung und bei bester Sicht“, sagte er. Die Zeitung oder am Handy könne er nur mit der Lupe lesen. Auch groß unter die Leute wolle er nicht mehr gehen. Zudem wohne der 31-Jährige wieder bei seinen Eltern. „In Rosenheim kann ich nicht mehr schlafen, da komme ich nicht zur Ruhe“, schilderte er seine Situation. Während er sprach, herrschte betroffene Stille im Saal.

Dass jemand anders als der 41-Jährige als Täter infrage kommt, könne er sich nicht vorstellen. Schließlich habe er den Eindruck gehabt, als wolle dieser die 37-Jährige zurückgewinnen. „Die Trennung wollte er wohl nicht so wahrhaben“, vermutete der Rosenheimer. Am kommenden Dienstag fällt das Urteil.

Julian Baumeister

Artikel 2 von 11