Rosenheim – Junge Männer wählen insgesamt anders als junge Frauen, stellt Politik-Experte Florian Wenzel aus Halfing fest. Er erblickt in den Ergebnissen der Bundestagswahl im Wahlkreis Rosenheim alarmierende Zeichen. Und er weiß, warum die Freien Wähler keinen Fuß auf den Boden bekommen haben. Ein Exklusiv-Gespräch über eine turbulente Wahl.
Zuwächse für die CSU, aber noch deutlichere Gewinne für die AfD. Was fällt Ihnen am Ausgang der Wahl in der Region Rosenheim noch auf?
Das hatte man schon zuvor festgestellt, dass bei jüngeren Frauen von 18 bis 24 die Linke und bei jungen Erwachsenen die AfD stark zugelegt hat. Das kann einen nachdenklich stimmen. Was heißt das, wenn sich junge Männer und Frauen so positionieren? Da treten ganz alte Muster auf, die Stereotype bedienen: Die Männer sind die Macher, erobern die Welt. Und die Mädchen sind so mehr für Soziales, für die Pflege, für Gleichheit und Solidarität zuständig. Ich finde es bedenklich, dass sich in dieser ganzen Gemengelage eher eine Regression anstatt ein gemeinsamer Aufbruch zeigt.
Parteien, die zuletzt in der Region stark gewesen waren, spielten bei der Bundestagswahl so gut wie keine Rolle mehr, dieBasis, BSW, aber auch die FDP. Was sagt uns das?
DieBasis wird stark mit Corona verbunden. Und dieses Thema ist angesichts der anderen Herausforderungen womöglich vorbei. Bei der FDP wiederum reicht dieses Wirtschaftsversprechen, also, dass sich Leistung lohnen muss, eben auch nicht ganz, angesichts dessen, was in der Welt vorgeht. Und BSW ist, glaube ich, einfach ein bisschen fremd hier in der Region. Sahra Wagenknecht bedient doch sehr stark den Osten.
Sie haben es gerade schon angesprochen, ein Konglomerat von Herausforderungen, auch in der Außenpolitik. Und doch schnitt die AfD in Gemeinden wie Vogtareuth und Rott gut ab, wo Flüchtlingsunterkünfte geplant sind. Wie wichtig war die Rolle der Migration?
Leider entscheidend. Wenn man schon diese Formulierung hört – „Zustrombegrenzungsgesetz“. Da wird über Migration geredet, als sei sie eine Naturkatastrophe. Der Diskurs wurde so weit geführt, dass er komplett enthumanisiert ist. Leider verfängt das bei vielen Leuten. Auch in der Mittelschicht, wo die Menschen Abstiegsängste haben. Die AfD wird nicht nur in sozial abgehängten Stadtteilen gewählt.
Was verspricht die AfD unterschiedlichen Milieus?
Die AfD behauptet, für mehr Demokratie zu stehen, für Beteiligung und Partizipation. Dafür, den Willen des Volkes umzusetzen. Daraus ergibt sich dann ein Missverständnis. Als würde, wenn ich einen Wunsch formuliere, dieser Wunsch unmittelbar umgesetzt werden. Beispielsweise bei der Migration. Als hätten wir gar keine Verfassungswerte, wären keine Wertegemeinschaft, die solchem Tun Grenzen setzt und auch auf Humanität und auf Minderheitenschutz setzt. Das ist, finde ich, in dieser Diskussion völlig verloren gegangen, bis hin zu den Grünen, die sich bemüßigt fühlten, einen Zehn-Punkte-Plan vorzulegen.
Aber die Kommunen im Speziellen und Deutschland insgesamt scheinen oder wirken ja auch deutlich überfordert mit zu vielen Zuwanderern in zu kurzer Zeit.
Das ist ja das Problem. Ich fühle mich da manchmal müde, weil ich genau weiß, wie die Reaktionen ausfallen, wenn man so einen Satz von mir in der Zeitung liest. Aber es ist doch so, dass man die Probleme benennen kann, aber sie nicht gleich in ein Sündenbock-Denken überführt. Bei Rott wundert mich daher das starke AfD-Ergebnis. Bürgerinitiative und auch die Gemeinde Rott haben stets gesagt, Leute, so geht‘s nicht. Und gleichzeitig haben sie sich immer wieder, in jeder Pressemeldung, in jeder Demo ganz klar gegen eine rechte Vereinnahmung verwahrt, auch wenn es die AfD probiert hat. Rott ist eigentlich ein gutes Beispiel, wie man auch mit der Thematik umgehen kann. Das fand ich wirklich bemerkenswert. Das erfordert Differenzierung und Zwischentöne. In den Wahlen hat sich leider gezeigt, dass das nicht so ankommt.
Differenzierung ist aus der Mode?
Das ermüdet mich, ja. Mit Zwischentönen, auch mit mal einem ruhigen Gedanken, mit vorsichtigem Herangehen dringt man nicht mehr durch, weil sofort zehn Wut- und Hassschreier auf der anderen Seite stehen, die einen medial niederbrüllen.
In Waldkraiburg hat jeder dritte Wahlberechtigte die AfD gewählt. Wie das?
Ehrlich gesagt, bei den Zahlen fällt mir nicht mehr viel ein. Also da, finde ich, reicht auch die Aufarbeitung der Fehler, die vielleicht gemacht wurden, nicht mehr aus. Die sozialen Medien werden dominiert von Rechtspopulisten, und das verfängt dermaßen, dass es schwierig ist, dem etwas entgegenzusetzen. Ich sehe das bei meinen Kindern und auch bei Erwachsenen, sogar bei Senioren. Was da auf die Smartphones gespült wird… Und durch die Algorithmen werden die Eskalationsspiralen erst richtig angeworfen.
Warum stehen eigentlich so viele Migranten der AfD positiv gegenüber?
Die AfD hebt immer hervor, dass sie auch ein paar Menschen mit Migrationshintergrund in ihren Reihen hat. Wie hier im Wahlkreis Rosenheim die Leyla Bilge. Die AfD legt es darauf an, Migrantengruppen und Generationen gegeneinander auszuspielen. Bis Menschen schließlich sagen, wir haben uns hier selbst etwas erarbeitet, wir sind etabliert und jetzt kommen die daher ganz neu und überrennen uns. Einerseits ist das gut, diese Solidarität mit dem Land, in dem sie jetzt leben. Andererseits ist das auch fatal. Man weiß nicht, wie die Situation morgen ist. Die Politik der AfD gefährdet diese Menschen ja im Zweifelsfall auch.
Zu den größten Verlierern dieser Wahl zählt eine Partei, die kommunal sehr stark vertreten ist. Vor allem in Bayern. Die Freien Wähler haben nirgendwo ein Mandat gewinnen können. Hat Sie das überrascht?
Die Freien Wähler haben es ja schon ein paarmal probiert. Da herrscht dann eher so die Stimmung vor, dass die keine Chance haben und sich auch überhoben haben.
Waren die FW in der Öffentlichkeit überhaupt präsent genug?
Da bin ich ein bisschen beeinflusst, weil in Halfing Sepp Hofer natürlich sehr präsent ist. Ich glaube, es war so eher diese Frage, was die auf Bundesebene wollen. Innerhalb der Freien Wähler gab es damals schon eine Diskussion, ob sie sich auf Landesebene aufstellen sollen. Der Sprung in den Bundestag auf Bundesebene war dann doch eins zu viel.
Wenn Hubert Aiwanger in seinem eigenen Wahlkreis nur den dritten Platz macht, ist das schon überraschend.
Sogar die AfD war vor ihm. Die Polarisierungsunternehmer, seien es irgendwelche russischen Trolle oder Rechtspopulisten oder die Algorithmen im Netz, sind sehr, sehr erfolgreich, die Emotionen der Menschen anzusprechen. Vor allem negative, abwertende Emotionen. Und dann ist es schwierig, sich bürgerlich zu positionieren. In der gegenwärtigen Demokratie bräuchten wir Leidenschaft und Emotionalität. Aber die Energie wird eben in Hass und Ressentiment geleitet und nicht in positive Begeisterung, in Aufbruch und Kreativität.
Ja, in mancher Diskussion ist viel Lust an der Destruktivität zu spüren.
Es ist eine Strategie der Rechten, das Land bis an den Abgrund runterzureden. Es bräuchte eine positive Gegenerzählung. Ich würde sagen, das haben die Grünen auch probiert. Und da kann man natürlich dann ganz schnell sagen, das sind doch Luftschlösser, das ist naiv. Doch es ist fatal, wenn die Kraft einer positiven Erzählung generell infrage gestellt wird und man sich ergötzt in Destruktion.
Interview: Michael Weiser