„Kriminelle List ist extrem hoch“

von Redaktion

Schockanrufe 56-jährigen Türken zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt

Traunstein/Rosenheim – Mit „extrem hoher krimineller List“, so das Landgericht Traunstein, schröpfte eine türkische Bande Opfer in Stadt und Landkreis Rosenheim um über 180000 Euro. Das „K 4 Raubdezernat Rosenheim“ hatte Bürger vor einer „Einbrecherbande“ gewarnt, bei der man einen Notizzettel mit ihrer Adresse gefunden habe. Die „Polizei“ würde Wertgegenstände in Sicherheit bringen, hieß es. Die Sechste Strafkammer mit Vorsitzender Richterin Jacqueline Aßbichler verhängte gegen einen alles leugnenden türkischen Staatsangehörigen (56) aus Rosenheim eine Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren.

Die Kammer befand den Mann des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in vier vollendeten Fällen, einer Versuchstat und der „Verabredung zu einem Verbrechen“ in zwei Fällen für schuldig. Der Angeklagte verfolgte die Urteilsbegründung gestern mit oftmaligem Kopfschütteln. Seine Verteidigerin, Füsun Yavuz aus München, hatte auf Freispruch plädiert. Staatsanwalt Florian Krug wollte den 56-Jährigen für zwölf Jahre hinter Gitter schicken. Den Wertersatz in Höhe der Beute legte das Gericht übereinstimmend mit dem Ankläger auf 183490,50 Euro fest. Nach Einstellung eines Vorwurfs blieben sieben Tatkomplexe übrig. Die Sachbearbeiterin der „Kripo Oberbayern-Süd“ – eine Spezialabteilung innerhalb der Kripo Traunstein, die sich gezielt mit den immens gestiegenen Fällen von Schockanrufen im Präsidiumsbereich befasst – hatte viele Fakten und Indizien zusammengetragen. Der Angeklagte indes lieferte in dem viertägigen Prozess hanebüchene Erklärungen für die einzelnen „Zufälle“, etwa, warum er sich stets im Bereich der Funkzellen an den jeweiligen Tatorten aufgehalten hatte.

Überweisungen per Western Union in die Türkei erledigte er manchmal binnen Minuten nach einem erfolgreichen Beutezug. Das Geld war mal bestimmt für einen Neffen, mal für dessen Wettschulden, Wohnung oder auch seinen Laden, mal für eine Hochzeit oder für Erdbebenopfer. Der „Neffe“ spielte in dem Verfahren mehrfach eine Rolle. Nach Worten des Angeklagten zählte er zu den „Hintermännern“ der Betrugsmasche. Die Bande ging immer nach dem gleichen Schema vor, verfügte über „Keiler“ in der Türkei, die die Opfer in Panik versetzten, über Logistiker und Abholer wie den Angeklagten.

In Stadt und Landkreis Rosenheim fielen der Bande ab Februar 2023 enorme Vermögenswerte in die Hände. Unter den Opfern waren zumeist ältere Menschen, aber auch ein 24-Jähriger, der namens seiner Eltern zehn Goldbarren à 50 Gramm im Wert von mehr als 37000 Euro, dazu noch teuren Schmuck in einem Jutesäckchen vor die Haustür seines Elternhauses stellte.

Er durchblickte nicht, dass der Anrufer vom „K 4 Raubdezernat“ ein Betrüger war. Das Jutesäckchen fotografierte der Angeklagte in seiner Wohnung mit seinem Handy, das später beschlagnahmt wurde. Angeblich hatten es ihm Unbekannte zur Aufbewahrung übergeben und wollten es später wieder abholen, so die Erklärung des 56-Jährigen. In zwei Fällen wurden im Bereich von Rosenheim beziehungsweise Bruckmühl regelrechte „Anrufwellen“ beobachtet. Der Angeklagte war jeweils in der Gegend. Zum Verhängnis wurde ihm die letzte Tat in Bruckmühl. Eine 90-jährige Seniorin hatte dem „Keiler“ von 35850 Euro Bargeld und Gold im Wert von 20000 Euro erzählt. Was dieser nicht wusste: Die Tochter der Frau hatte während des Telefonats die Polizei verständigt. Zivilbeamte rückten an. Erst wollte der 56-Jährige zugreifen. Doch schöpfte er Verdacht und wollte umkehren. Bei seiner Festnahme äußerte er: „Das ist wegen der Alten.“ Seither saß er in Untersuchungshaft. Die Vorsitzende Richterin hob heraus, der 56-Jährige sei „voll eingebunden“ gewesen in die Bande. Seine „hanebüchenen Geschichten“ seien unglaubhaft. Unter den strafschärfenden Aspekten erwähnte Aßbichler die Vielzahl der Taten binnen eines Jahres, die Art und Weise der Durchführung, die materiellen Schäden und die seelischen Folgen. „Perfide Mittel“ würden angewendet, um die Angst der Opfer zu schüren. kd

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