Er gab dem Schrecken ein Gesicht

von Redaktion

Weggefährten erinnern sich an erstes Corona-Opfer Sepp Mangstl

Tuntenhausen – Wochenlang war es eine eher diffuse Angst, die durch die Region waberte: Wie gefährlich ist das neuartige Coronavirus, das sich rasend schnell in der ganzen Welt ausbreitet, wirklich? Am 20. März 2020 bekam der Schrecken dann ein Gesicht: Sepp Mangstl (54) aus Ostermünchen bei Tuntenhausen, beliebter Musiker und bis dato kerngesund, war an der durch das Coronavirus ausgelösten Erkrankung Covid-19 gestorben. Der Beginn einer Todeswelle, die sich wie eine bleierne Schwere über die Region legte – und unzählige bis dato glückliche Familien heimsuchte.

Auch wenn es mittlerweile fünf Jahre her ist – die Tragödie, die sich binnen weniger Tage in Ostermünchen abgespielt hatte, ist für Thomas (57) und Irmgard Mangstl (57) immer noch schwer zu greifen. „In kürzester Zeit wurde eigentlich eine ganze Familie ausgelöscht“, sagt Irmgard Mangstl, die binnen gut zwei Wochen Schwager Sepp und Schwiegervater Josef (82) verloren hatte. „Die Zeit war alles andere als einfach“, bestätigt Thomas Mangstl, der quasi gleichzeitig um Bruder und Vater trauern musste.

Per Rettungswagen
ins Krankenhaus

Es ist vor allem der Tod des gerade einmal gut ein Jahr älteren Bruders Sepp, der Thomas Mangstl noch heute immer wieder aus der Fassung bringt. „Wir hatten ja eher Angst um die Eltern“, erinnert sich der 57-Jährige, dem die dramatischen Tage nicht aus dem Kopf gehen.

Zumal es „so rasend schnell“ gegangen war. So hatte sich Bruder Sepp zwar bereits Mitte März kränklich gefühlt, weshalb er sich in ärztliche Behandlung und in häusliche Quarantäne begeben hatte. Das Ergebnis des Coronatests sowie die Diagnose Covid-19 erhielt der Vollblutmusiker aber erst am Tag vor seinem Tod.

„Im Laufe des Donnerstags ist es ihm dann immer schlechter gegangen“, berichtet Thomas Mangstl. So habe er beispielsweise unter massiven Atembeschwerden gelitten. Woraufhin sein Bruder schließlich den Notruf wählte. Gegen 20 Uhr sei Sepp Mangstl dann per Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht worden.

Doch dort war dem 54-Jährigen nicht mehr zu helfen. „Am Freitag um 14 Uhr, also nur ein paar Stunden nach der Diagnose, ist Sepp dann gestorben“, erinnert sich der Ostermünchner an den Anruf aus dem Krankenhaus am 20. März 2020 zurück.

Doch zur tiefen Trauer, mit der Thomas Mangstl damals zurechtkommen musste, gesellte sich auch noch die Angst um die Eltern, die mit Sepp Mangstl in einem Haus gelebt und sich ebenfalls mit dem Virus infiziert hatten. „Auch ihnen ist es immer schlechter gegangen“, sagt Thomas Mangstl. Und zwar so schlecht, dass beide letztlich ebenfalls ins Krankenhaus gebracht werden mussten.

Wofür Irmgard und Thomas Mangstl heute noch dankbar sind: dass es das Klinikpersonal, trotz der großen Belastung, ermöglicht hatte, dass Josef und Anna Mangstl gemeinsam in einem Zimmer untergebracht wurden.

„So war es wenigstens ein Trost, dass meine Mutter dabei war, als mein Vater dann am 6. April an Corona gestorben ist“, sagt Thomas Mangstl.

Denn gerade der Aspekt, dass die Familie aufgrund der Corona-Bestimmungen sowie der hohen Ansteckungsgefahr auf Abstand bleiben musste, sei extrem belastend gewesen. „Das war schon eine sehr harte Zeit für uns“, sagt Irmgard Mangstl rückblickend.

Irmgard Mangstl sowie die Kinder des Ehepaars hatten sich in den Folgemonaten – ganz im Gegensatz zu Thomas Mangstl – selbst mit dem Coronavirus infiziert, hatten die Covid-19-Erkrankungen aber letztlich körperlich unbeschadet überstanden. „Dennoch waren die Diagnosen in Hinblick auf das, was unsere Familie erlebt hatte, natürlich ein Schock“, gesteht Irmgard Mangstl, die „gewisse Ängste, es könnte einem ähnlich ergehen“, nicht verhehlen will.

Erinnerung an
gemischte Gefühle

Woran sich das Ostermünchner Ehepaar ebenfalls erinnert: An gemischte Gefühle, wenn es um die Reaktionen der Mitmenschen auf die schrecklichen Verluste durch Corona geht. „Wir haben sehr viel Mitgefühl erfahren“, sagt Thomas Mangstl, der auch von „viel Unterstützung“ von Freunden, Bekannten und Verwandten spricht.

Doch da habe es eben auch die unschöne Seite gegeben, beispielsweise Gerüchte, Sepp Mangstl habe unter Vorerkrankungen gelitten, die den schweren Krankheitsverlauf begünstigt hätten. „Das hat mich schon geärgert und erschreckt, was da an Unwahrheiten im Umlauf war“, sagt der 57-Jährige, der nochmals klarstellt: „Sepp hatte keine Vorerkrankungen, war kerngesund.“

Und wie geht die Familie heute mit dem großen Verlust – insbesondere des damals erst 54-jährigen Sepp – um? „Leicht ist es nicht“, sagt Bruder Thomas, der gemeinsam mit Sepp Mangstl in der Dreder Musi spielte. „Die Musik hat uns schon sehr verbunden.“

Deshalb sei die Zeit, die er bei der Kapelle verbringe, für ihn besonders schmerzhaft, so der Posaunist. „Wenn ich dort bin, dann fehlt er mir schon besonders.“

Daher habe er kurzzeitig sogar mit dem Gedanken gespielt, die Dreder Musi zu verlassen, aber: „Das wäre sicherlich nicht im Sinne von Sepp gewesen.“ Eine Einschätzung, die Roland Merk, Dirigent der Dreder Musi, teilt. „Wir sind froh, dass Thomas geblieben ist, nachdem Sepp schon so eine Lücke hinterlassen hat“, sagt Merk, der es damals besonders belastend fand, „dass man nicht mal zusammenkommen konnte, um darüber zu reden und gemeinsam zu trauern“. So konnte eine richtige Trauerfeier für den stellvertretenden Dirigenten der Dreder Musi und Musimoasta der Höhenrainer Blaskapelle erst vier Monate später stattfinden.

Doch auch wenn sein Flügelhorn seit mittlerweile fünf Jahren nicht mehr bei der Dreder Musi ertönt, so ist Sepp Mangstl nach Angaben von Merk immer noch präsent. „Natürlich hat sich der Normalbetrieb wieder eingestellt und das Leben geht weiter“, sagt Merk.

Die Dreder Musi
mitgeprägt

„Aber es wird immer wieder über Sepp gesprochen.“ Schließlich habe er die Dreder Musi mehr als 35 Jahre lang „mitgeprägt“. Was auch ein nun seit Jahren bestehendes Ritual zeigt: Denn bei den Auftritten der Dreder Musi am Rosenheimer Herbstfest, die der 54-Jährige so geliebt hatte, ist ein Bild von Sepp Mangstl auf der Bühne immer mit dabei.

Rituale, die auch der noch verbliebenen Familie Mangstl in Ostermünchen beim Umgang mit ihrer Trauer helfen. „Sie haben eine riesige Lücke bei uns in der Familie hinterlassen“, sagt Thomas Mangstl, der rund ein Jahr nach dem Tod von Bruder und Vater auch noch seine zuletzt schwerkranke Mutter (80) zu Grabe tragen musste. „Da wir in der Familie aber ganz oft über sie reden, sind sie immer noch da und dabei.“

Tröstlich findet er zudem, dass es auf dem Ostermünchner Friedhof ein Grab gebe, in dem Bruder Sepp, Papa Josef und Mama Anna gemeinsam die letzte Ruhe gefunden haben. „Ich finde das schön, dass es diesen Ort gibt, an dem ich mich mit den Verstorbenen verbunden fühle.“

Dort fühle er sich auch seinem Bruder, ähnlich wie bei Proben mit der Kapelle, ganz nah. Dem Mann, der dem Corona-Schrecken als erstes Todesopfer in der Region ein Gesicht gegeben hatte. Der aber letztlich viel mehr war als nur das, wie Thomas Mangstl deutlich macht: „Er war einfach ein guter Kerl, der von jedem gemocht wurde.“

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