Erschöpfung, Schmerz, Vorurteile

von Redaktion

Marions Kampf gegen Long Covid und die Hoffnung auf Normalität

Schönau am Königssee – „Ach, ich bin auch oft müde“, „Sie müssen einfach mehr Sport machen“, „Wenn ich tagsüber nur rumliege, könnte ich nachts auch nicht schlafen“, oder sogar „Sie wollen ja gar nicht gesund werden.“ Sätze wie diese hört OVB-Leserin Marion aus Schönau am Königssee regelmäßig. Hilfreich sind diese Aussagen von Ärzten oder Bekannten nicht. Im Gegenteil. „Man fühlt sich nicht ernst genommen“, erzählt die 53-Jährige bei einem Telefonat anlässlich des Long-Covid-Awareness-Aktionstags am 15. März.

Nach Corona
arbeitsunfähig

Seit dem 17. November 2021 hat sich Marions Leben schlagartig verändert. „Ich weiß noch ganz genau, wie ich an diesem Tag das positive PCR-Testergebnis erhalten habe.“ Sie hatte sich mit Corona infiziert – wie viele im Laufe der Pandemie. Und auch die Symptome waren ähnlich wie bei den meisten Erkrankten. „Ich hatte starke Schmerzen“, sagt sie. „Normalerweise nehme ich keine Schmerzmittel, sondern eher homöopathische Mittel. Doch da habe ich gerne Schmerztabletten geschluckt.“ Hinzu kamen leichte Erkältungssymptome wie Husten und Schnupfen und schließlich der Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn.

Angesteckt hatte sich Marion am Arbeitsplatz bei einer Kollegin. „Ich bin gelernte Krankenschwester“, erzählt sie. Für die meisten an Covid-Erkrankten ging es nach der Infektion wieder zurück in den Job. Für Marion allerdings nicht. Direkt nach der Infektion stellte sie fest, dass noch immer etwas nicht stimmte. „Ich hatte Herzbeschwerden, hohen Puls und Rhythmusstörungen“, sagt sie. Sie habe zwar einen Arbeitsversuch gestartet, diesen allerdings nach drei Stunden wieder abgebrochen. „Ich war überhaupt nicht mehr belastbar.“

Bei den Herzproblemen blieb es nicht. Inzwischen hat Marion mit einer Reihe von Symptomen zu kämpfen. Schmerzen, starke Erschöpfung, extreme Schlafstörungen, kognitive Einschränkungen, Magenprobleme, Schwindel, Gleichgewichtsprobleme, Geräusch- und Lichtempfindlichkeit und extremes Frieren. Um nur ein paar der diversen Symptome zu nennen. Nach geringfügiger Überanstrengung, egal ob körperliche oder geistige, kommt es zu einer Verschlechterung der Symptome (Post-Exertionelle Malaise), die oft tagelang anhalten. Und trotz all dieser Beschwerden passiert es Marion ständig, dass sie von Ärzten nicht ernst genommen wurde, wie sie sagt. Viele hätten ihr immer nur psychische Probleme diagnostiziert. Doch das sei nicht die Lösung.

Mittlerweile hat sie den fünften Hausarzt seit der Erkrankung. „Von ihm werde ich endlich ernst genommen und er setzt sich mit der Erkrankung auseinander.“ Die Erkrankung, die inzwischen einen Namen hat: Long Covid. Doch trotz der Benennung gibt es weder Medikamente noch Therapien, die eine Heilung versprechen. Man kann lediglich die Symptome lindern. So nimmt sie seit der Corona-Infektion Tabletten, um ihre Tachykardie und Herzrhythmusstörungen in den Griff zu bekommen, sowie fast täglich Schmerzmittel und Medikamente gegen die Schlafstörungen.

„Man muss sich
ständig rechtfertigen“

„Man muss sich bei allen Ärzten und Ämtern ständig erklären und rechtfertigen“, ärgert sich Marion. „Das kostet enorm viel Kraft und Energie – die man eigentlich nicht zur Verfügung hat.“ Kleinste Tätigkeiten kosten die 53-Jährige enorm viel Kraft. „Ich lege Termine nur noch auf den Vormittag. Am Nachmittag bin ich meist zu erschöpft, um irgendetwas zu erledigen.“ Das chronische Fatigue-Syndrom, besser bekannt als Erschöpfungssyndrom, ist ein Teil von Marions Long-Covid-Erkrankung.

Von Marions früherem Leben ist heute nahezu nichts mehr übrig geblieben. Sie arbeitete in Teilzeit, schmiss den Haushalt, war viel unterwegs beim Wandern oder Spazieren. Hat viel mit Freunden unternommen, war sozial und lebenslustig und ist gerne mit dem Auto in Richtung Natur oder zu ihrem Onkel nach Schwaben gefahren. „Heute bin ich gerade so in der Lage, meinen Haushalt selbst zu führen“, erzählt sie. Einkaufen sei nur an „guten“ Tagen möglich. Mit dem Auto kann sie nur noch kurze Strecken zurücklegen. „Nachmittags ist fast keine Energie mehr vorhanden. Da liege ich frierend unter meiner Heizdecke auf dem Sofa“, sagt sie. Sie habe kaum noch Lebensqualität. Ihr Alltag spiele sich fast nur noch zu Hause ab. Das belastet natürlich auch das Sozialleben. „Meine Freunde haben sich fast alle verabschiedet“, erzählt Marion. „Im ersten Jahr ging es noch, dann wurden es aber immer weniger“, sagt sie. „Inzwischen ist fast niemand mehr da.“ Viele hätten es nicht nachvollziehen können, dass Marion Treffen abgesagt hatte. Durch ihren Hund hat sie jedoch eine Familie kennengelernt, die ebenfalls einen Hund hat. Sie treffen sich immer wieder in deren Garten, lassen die Hunde toben, trinken zusammen Kaffee, reden. „Man genießt die kleinen Momente, auch wenn man hinterher weiß, dass es wieder zu einer Verschlechterung der Symptome kommen kann“, sagt Marion.

„Hätte gerne mein
altes Leben zurück“

Bei der Frage nach ihrem größten Wunsch für die Zukunft wird Marion am Telefon emotional und ihre Stimme brüchig. „Ich hätte einfach gerne mein altes Leben zurück“, sagt sie. „Ich möchte wieder ganz normal arbeiten gehen, wandern und Freunde treffen.“

Doch es gibt noch etwas, was sich die 53-Jährige von Herzen wünscht. „Da kommen mir direkt die Tränen, das macht mich sehr sentimental“, sagt sie am Telefon. „Ich würde gerne meinen 83-jährigen Onkel wieder sehen. Er bedeutet mir sehr sehr viel“, sagt sie. Doch zwischen den beiden liegen etliche Kilometer. „Ich kann nicht mehr zu ihm fahren. Er ist zwar noch fit, aber kann auch nicht mehr so lange fahren“, erzählt sie. „Das ist extrem schwierig für mich, aber man muss es akzeptieren.“

Akzeptanz und Geduld, das sind zwei Tugenden, die Marion über die Jahre besonders gelernt hat. Das wünscht sie sich allerdings auch von den Ärzten und der Forschung. Dass die Krankheit Long Covid endlich als solche anerkannt wird, dass Gelder investiert werden und Betroffene Hilfe erhalten. „Es ist wirklich schlimm, dass wir um alles kämpfen müssen“, findet Marion.

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