„Es war ein wenig beunruhigend“

von Redaktion

Zwei Männer von der Mafia sollen seinen Vater getötet und ihn gezwungen haben, dessen Leiche mit dem Auto nach Neapel zu bringen. Das sind zumindest laut Tobias A. die Hintergründe seiner Bluttat im August 2024 in Raubling. Doch der 32-Jährige ist psychisch krank. Gestern startete die Verhandlung vor Gericht.

Traunstein/Raubling – Als Tobias A. in den Gerichtssaal im Landgericht Traunstein geführt wird, blickt er stur nach vorn. Der gut 1,80 Meter große Mann wirkt eingeschüchtert. Trotz seiner kräftigen Statur. Vielleicht liegt es an den zahlreichen Medienvertretern, die im Gerichtssaal sind. Sein Blick ist leer – doch das war schon immer so, werden Zeugen später sagen. Nervös reibt er seine Hände immer wieder über seine Jeans. Mit einem leisen, brüchigen „Ja“ bestätigt der 32-Jährige vor Gericht seine persönlichen Daten. Er sitzt am gestrigen Dienstag auf der Anklagebank, weil er seinen Vater getötet haben soll.

Vater in Brust und
Hals gestochen

In der Küche der gemeinsamen Wohnung habe er laut Antragsschrift den Vater mehrfach mit den Händen ins Gesicht geschlagen und ihn dann mit einem „Ausbeinmesser“ mit sechs Stichen im Brustbereich verletzt. Anschließend stach Tobias A. seinem Vater noch „gewaltsam tief in den Hals“, liest Staatsanwalt Wolfgang Fiedler aus der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft vor. Eine Antragsschrift deshalb, weil Tobias A. voraussichtlich als schuldunfähig gilt.

Anschließend habe er seinen Vater in zwei Fleece-Decken und einen Teppich gewickelt, im Kofferraum des Skoda Kodiaq verstaut und sei mit der Leiche im Wagen rund 1000 Kilometer bis nach Pomigliano d’Arco in Italien nahe Neapel gefahren. Als Staatsanwalt Fiedler den vermeintlichen Tathergang beschreibt, blickt Tobias A. weiter starr nach vorn. Rutscht nur ab und an auf seinem Stuhl hin und her und schluckt schwer. 

Er selbst möchte sich nicht zur Sache äußern, macht sein Pflichtverteidiger Harald Baumgärtl zu Beginn klar. Einblicke in das Leben und das Innerste von A. gibt stattdessen der Sachverständige Dr. med. Josef Eberl. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Oberarzt am Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg. 

Der in Rosenheim geborene und aufgewachsene Beschuldigte sei nach der Trennung seiner Eltern bei seinem Vater geblieben. Nach einer abgebrochenen Ausbildung zum Kfz-Mechaniker absolvierte er eine Ausbildung zum Verfahrensmechaniker für Kunststofftechnik – mit Erfolg. Der Versuch, sein Abitur an der Berufsoberschule nachzuholen, scheiterte. Arbeit fand er so schnell keine. Die meiste Zeit verbrachte er zu Hause, konsumierte Drogen und wurde straffällig, weshalb er letztlich insgesamt drei Jahre in Haft verbrachte. Als er dann im Februar 2023 aus der Haft entlassen wurde, sei er „mit allem überfordert“ gewesen. Er kam bei seiner Mutter unter, randalierte aber eines Tages so sehr in ihrer Wohnung, dass er stationär im Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg und anschließend in Schnaitsee im Reha-Zentrum St. Nikolaus untergebracht wurde.

Nach der Reha zog Tobias A. schließlich bei seinem Vater ein, mit dem er sich seinen Aussagen zufolge „immer gut verstanden habe“. Das bestätigen auch Nachbarn und Vermieter, die an diesem ersten Verhandlungstag als Zeugen aussagten. Gesehen hätten sich Vater und Sohn selten, wie A. dem Gutachter erklärte. Als er bei seinem Vater lebte, war Tobias A. wieder berufstätig – allerdings nur in der Nachtschicht. Im August hatte er dann das erste Mal Urlaub.

Im Wahn Mafiosi in
der Küche gesehen

In der vermeintlichen Tatnacht vom 12. August 2024 habe A. tief und fest geschlafen, erklärte er dem Gutachter. Als er aufwachte, habe er seinen Vater tot in der Küche liegen sehen. Zudem seien zwei Männer in der Küche gestanden, die er für Mitglieder der Mafia hielt. Er hätte seinen Vater schon öfter gewarnt, die Wohnungstür abzuschließen, da er immer wieder Probleme mit der Mafia gehabt habe.

Anschließend hätten besagte Männer, so schilderte A. es dem Gutachter, ihn gezwungen, die Leiche des Vaters in den Kofferraum des Autos zu laden und nach Neapel zu fahren. Für Zuhörer eine dubiose Geschichte. Doch hört man die Diagnose, die der Gutachter A. ausstellt, werden die wirren Gedankengänge zumindest etwas klarer. Tobias A. leidet an einer paranoiden Schizophrenie. Er ist psychisch krank, leidet unter Wahnvorstellungen.

Bei der Ansicht der Fotos aus der gemeinsamen Wohnung würde man auf den ersten Blick nicht vermuten, welch grausame Tat sich dort wohl abgespielt haben muss. Sie wirkt, wie viele sich wohl eine klassische „Männerwohnung“ vorstellen. Zweckmäßig eingerichtet, wenig Dekoration, ein geöffneter Klodeckel. Auffällig: eine Reihe Messer, die mit einem schmalen Magnetbrett an der Wand befestigt sind. Eine Lücke in den sauber angereihten Messern lässt darauf schließen, dass eines fehlt. Hinzu kommen Fotos vom Schlafzimmer des Vaters. Auf dem Bett sind Blutflecken zu sehen. Ebenso wie im Flur und in der Küche. In einem Schuh entdeckten die Ermittler schließlich eine blutverschmierte Lesebrille. Und auch an der Außentreppe sind ein paar wenige Blutspuren zu sehen. A. wirft nur flüchtige Blicke auf die Fotos.

Nachdem A.s Vater, der als äußerst zuverlässig bekannt war, nicht zur Arbeit und zu einem wichtigen Untersuchungstermin erschien und weder der Vater noch Tobias in der gemeinsamen Wohnung aufzufinden waren, schlugen seine Tochter sowie seine Ex-Frau Alarm und verständigten die Polizei.

Nachbar beobachtete
Verdächtiges

Doch die Suche der Beamten verlief erfolglos und wurde am 13. August um 12.30 Uhr eingestellt. Knapp zwei Wochen später, am 28. August, wurden Polizeibeamte in Italien auf einen Skoda Kodiaq mit deutschem Kennzeichen aufmerksam, der auf der Einfahrtspur eines Autobahn-Parkplatzes geparkt war. Beim Öffnen des Kofferraums kam ein elfenbeinfarbener Teppich zum Vorschein – in den die Leiche des Vaters gewickelt war.

Dass Tobias A. den Teppich in das Auto befördert hat, will ein Nachbar des getöteten Metzgermeisters bezeugen. Er erzählt, wie er am Montagmorgen, 12. August, um 5.30 Uhr Tobias A. dabei beobachtete, wie er den zusammengerollten Teppich in das Auto lud. Dabei habe er sich sichtlich schwer getan. „Ich dachte mir, dass sein Vater gleich runterkommt und ihm hilft“, sagt der Nachbar. Von Auseinandersetzungen zwischen den beiden habe er nichts mitbekommen.

Das schildern auch die übrigen Nachbarn und die Vermieter des Vater-Sohn-Gespanns. 2023 habe der Vater bei seinen Vermietern angefragt, ob er seinen Sohn bei sich aufnehmen dürfe. „Er hat damals gesagt, dass sein Sohn Depressionen hat und er ihm helfen möchte und dass er für ihn bürgen würde“, schildert die Vermieterin. Sie habe dem zugestimmt.

„Hatte ein bisschen
Angst vor ihm“

Sie beschreibt Tobias A. wie alle anderen Zeugen auch. „Er hatte immer einen sehr starren Blick nach vorn, wenig Gesichtsausdruck.“ Die Mutter des Vermieters, die im selben Haus wie Tobias A. und sein Vater lebte, beschreibt das soziale Verhalten des Jungen als „auffällig“. Es sei „auch ein wenig beunruhigend“ gewesen, da er nie den Blickkontakt mit den Menschen aufgenommen habe. „Ich habe immer ein bisschen Angst vor ihm gehabt“, sagt sie vor Gericht. In der Tatnacht habe sie etwa zehn Minuten lang laute Schritte gehört. Selbst ihr Enkelkind, welches an diesem Tag bei ihr übernachtete, sei wach geworden und hätte gesagt: „Oma, da ist es so laut. Was ist da los?“

Der Vermieter selbst habe nichts Verdächtiges gesehen. Er habe sich keine Sorgen gemacht, als der Vater darum bat, seinen Sohn in der Wohnung aufnehmen zu dürfen. „Man hat sich auf ihn verlassen können“, sagt er. Über Tobias A. habe der Vater bei seinem Vermieter gesagt: „Der ist ein bissl komisch, aber er duad nix.“

Der Prozess wird am 3. April fortgesetzt. Dann kommt die Polizeibeamtin zu Wort, die damals Tobias A.s Schwester befragt hat. Sie verweigert die Aussage vor Gericht, hat aber der Verwendung ihrer Aussage bei der Polizei vor Gericht zugestimmt. Sowohl die Tochter als auch die Schwester des ermordeten Metzgers werden durch Nebenklagevertreter im Prozess vertreten.

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