„Ich verstehe diese Krankheit nicht“

von Redaktion

Fünf Jahre liegt der Ausbruch der Corona-Pandemie zurück, vor drei Jahren eröffnete die erste Post-Covid-Tagesklinik Bayerns im kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg. Dort wurden wichtige Erkenntnisse gewonnen, doch bis heute stellt die Krankheit Ärzte vor Rätsel.

Wasserburg – Fünf Jahre ist es her, dass die Corona-Pandemie begann, die Welt zu beherrschen. Viele erkrankten, der Großteil überstand die Infektion ohne größeren Schaden. Doch ein kleiner Bruchteil der Corona-Patienten erholte sich nicht oder nur schlecht. Long Covid nennt sich diese Diagnose. Um diesen Betroffenen zu helfen, eröffnete am 16. März 2022, also vor ziemlich genau drei Jahren, die erste Post-Covid-Tagesklinik in Bayern im kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg.

Nachfrage nach den wenigen Therapie-
Plätzen ungebrochen

Vieles hat sich in diesen drei Jahren geändert: die Örtlichkeit, die Therapiemethoden. Doch eines ist bis heute gleich geblieben: Die Tagesklinik wird auch heute, fünf Jahre nach Ausbruch der Pandemie, drei Jahre nach ihrer Eröffnung, gebraucht. Die Nachfrage nach den fünf Plätzen sei immer noch sehr hoch, sagen Oberärztin Isabella Eder, die die Tagesklinik leitet, und Dr. Tobias Winkler, Chefarzt der Neurologie am Klinikum. „Wir bemühen uns aber, stets Kapazitäten anzubieten“, so Winkler.

Dabei gibt Oberärztin Eder auch nach drei Jahren ohne Umschweife zu: „Ich verstehe diese Krankheit nach wie vor nicht vollumfänglich.“ Immer noch könne sie nicht genau sagen, warum manche Menschen von Post Covid betroffen seien. Viele Hypothesen wurden in der Zwischenzeit aufgestellt, keine davon konnte bislang bewiesen werden. „Wir wissen noch nicht, woher dieses Krankheitsbild kommt.“ Winkler überrascht das nicht. „Wir haben es in der Neurologie immer wieder mit Ausfallerscheinungen zu tun, für die wir keine Ursache finden“, sagt er. Viel wichtiger sei es ohnehin, die Symptome zu behandeln. Also „back to the roots“, „zurück zu den Wurzeln“ der Medizin, beschreibt Eder deshalb ihre Therapieansätze. Dabei immer im Blick: das Ganzheitliche. Körper, Geist und Seele sollen in der Tagesklinik zeitgleich behandelt werden. Denn Post Covid betreffe fast alle Bereiche des täglichen Lebens.

„Anfangs hatten wir viele Personen mit eher körperlichen Symptomen“, erzählt Eder. Darunter zum Beispiel Patienten mit einer eingeschränkten Lungenfunktion, mit Herz-, Geruchs- und Geschmacksproblemen. Heute stehe bei vielen die Psyche im Vordergrund, auch weil sich viele Betroffene von ihren Mitmenschen unverstanden fühlen. „Zudem leiden sie darunter, dass sie nicht mehr so funktionsfähig sind wie früher“, sagt Eder. Ein großer Anteil der Post-Covid-Patienten sei aus diesem Grund von depressiven Verstimmungen betroffen. Eder arbeitet deshalb auch viel mit der psychiatrischen Abteilung des kbo-Inn-Salzach-Klinikums zusammen. Die Oberärztin setzt auch auf das Zwischenmenschliche. Die Patienten sollen sich gegenseitig unterstützen. „Das macht unglaublich viel mit ihnen, wenn sie plötzlich merken: Da ist jemand, der mich versteht.“

„Mit Spaß lernt
es sich schneller
und einfacher“

Auch die Übungen sind deshalb meist für mindestens zwei Personen gedacht. „Ich suche mir zum Beispiel eine Person aus, die kognitive Schwierigkeiten hat und eine, bei der eher die Motorik Probleme macht“, erklärt Eder. Dann wird gespielt. Mit einem Ball oder auch mal mit einem Puzzle über Disneys fliegenden Elefanten Dumbo, eigentlich gedacht für Kinder ab drei Jahren. Die Oberärztin hat sich das Motiv aber ganz bewusst ausgesucht. „Das sind Bilder, die wir aus unserer Kindheit kennen: Das löst etwas in unserem Gehirn aus“, weiß sie.

Der Ansatz basiere auf der Evolutionsbiologie des Gehirns. „Das ist für mich die Grundlage, nach der ich meine Therapien entwickle“, sagt Eder und betont: „Wenn wir etwas gerne machen, dann fällt es uns leichter. Mit Spaß lernt es sich schneller und einfacher.“ Ganz natürlich würden sich die Betroffenen so gegenseitig unterstützen. „Wenn ich merke, dass der andere etwas kann, womit ich Probleme habe, weckt das meinen Ehrgeiz“, erklärt Eder.

Vier Wochen sind die Patienten in der Tagesklinik in Behandlung. Für jeden denkt sich Eder dabei eine maßgeschneiderte Behandlungsmethode aus. Ihrer Kreativität setzt sie dabei keine Grenzen, so wandert auch mal das Konzentrationsspiel des eigenen Sohnes mit in die Arbeit und fordert so die Aufmerksamkeit einer Patientin. Zwei Dinge laufen aber trotzdem immer gleich: „Kommen neue Patienten zu uns, schauen wir am Anfang, wo ihre Defizite liegen und stellen anschließend Diagnosen“, erklärt Eder. Schließlich könne hinter den Symptomen, wie motorischen Störungen, Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisproblemen und Erschöpfungszuständen, auch eine andere Krankheit als Post Covid stecken. Die weitere Konstante: Danach würden die Defizite nicht mehr erwähnt. „Ich frage nicht, womit sie heute Probleme hatten, sondern, was heute geklappt hat“, erzählt die Oberärztin. Positivität sei wichtig. „Ich versuche, die Stärken der Patienten herauszufinden und diese zu fördern“, sagt Eder, dabei komme auch immer wieder ihr Motto zum Einsatz: „Aufgeben ist keine Option.“

Durchschnittlicher Patient: weiblich, sportlich, 45 Jahre alt

200 Patienten hat Eder so in den drei Jahren behandelt. Meist seien sie weiblich, etwa 45 Jahre alt und hätten vor der Erkrankung mitten im Leben gestanden. Viele seien sportlich fit, sogar Leistungssportler kämen oft zu ihr. „Wir hatten am Anfang der Pandemie die Vermutung, es würden ältere, vorerkrankte Personen zu uns kommen, die einen schweren Verlauf hatten“, sagt Eder. All das habe sich nicht bestätigt.

Anfangs hätten die meisten Patienten nur eine Infektion hinter sich gehabt, inzwischen kämen eher Leute zu ihr, die zwei oder sogar dreimal Corona gehabt hätten. „Wie schwer die Infektion selbst war, sagt aber nichts darüber aus, ob am Ende jemand an Post Covid erkrankt“, so Eder. Auch Personen mit eigentlich milden Verläufen habe sie schon behandelt. Die wenigsten Patienten von Eder kommen übrigens zur Tagesklinik in der Hoffnung auf „Heilung“. Vornehmlich gehe es darum, Strategien zu entwickeln, um die Einschränkungen im Alltag kompensieren zu können, weiß die Oberärztin.

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