Halfing – Ein Gericht hat die französische Rechtsauslegerin Marine Le Pen wegen Veruntreuung zu vier Jahren Haft verurteilt. Überdies ist sie fünf Jahre lang von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen und kann nicht zur Präsidentschaftswahl antreten. Für Rechtsausleger in Europa, aber auch für Donald Trump in den USA und Wladimir Putin in Moskau ist dieser Spruch ein politisches Urteil. Ob das stimmt, ob man überhaupt juristisch gegen Gegner einer liberalen Demokratie vorgehen sollte und warum Demokratie wehrhaft sein muss, obwohl sie sich damit angreifbar macht – darüber sprach das OVB mit dem Politikexperten Florian Wenzel aus Halfing.
Donald Trump hat das Verfahren gegen Frankreichs Rechtspopulistin Marine Le Pen mit Prozessen gegen ihn selbst in den USA verglichen, Elon Musk wirft der französischen Linken vor, die Justiz zu missbrauchen, um Le Pen loszuwerden. Ist da was dran?
Zunächst einmal geht es bei Le Pen ja um ein klares Strafverfahren, das nüchtern betrachtet nichts mit ihrer politischen Ausrichtung zu tun hat. Verurteilt wird der Missbrauch öffentlicher Gelder. Und damit wird, wie in Frankreich eher üblich, das passive Wahlrecht entzogen. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass es kein Zufall ist, dass rechtspopulistische Parteien es mit der Rechtsstaatlichkeit nicht so genau nehmen, beziehungsweise sie offen verachten. Weil sie sich als Verfechter eines radikalen Umbaus des bestehenden Systems sehen und sich die ‚Freiheit‘ nehmen, diesen Umbau mit allen denkbaren Mitteln voranzubringen.
Ein Verdacht, der sich auch gegen Abgeordnete im Bundestag richtet. Beispiel Maximilian Krah. Gibt es Überlegungen zu einem schärferen Vorgehen?
In Deutschland wird der Entzug des passiven Wahlrechts – den es bei Verurteilungen gibt, deren Strafmindestmaß auf mindestens ein Jahr angelegt ist – in der Praxis sehr viel zurückhaltender gehandhabt. Es gibt etwa eine Petition zum Entzug bestimmter Grundrechte gegenüber Björn Höcke, dem Thüringer AfD-Chef, da Höcke offiziell als rechtsextrem eingestuft und wegen Volksverhetzung angeklagt ist. SPD und CDU erwägen ebenfalls, hier die Gesetzeslage insgesamt zu verschärfen.
Da geht es um die Unterscheidung zwischen freier Meinungsäußerung oder Hetze: Klingt wie eine Gratwanderung.
Klar ist, dass Demokratie Wehrhaftigkeit braucht und rote Linien gegenüber denen ziehen muss, die diese Demokratie abschaffen wollen – ob von außen oder auch demokratisch gewählt aus dem Inneren der Parlamente aus. Gleichzeitig besteht natürlich das immerwährende demokratische Dilemma, dass damit der Wert der Freiheit, etwa der freien Meinungsäußerung, beschränkt wird.
Das ist etwas, was autoritäre Regime natürlich umfassend nutzen, um jegliche Regimekritiker dem Vorwurf des Terrorismus auszusetzen und sie mundtot zu machen. So ist es gerade in der Türkei zu sehen.
Sind Wehrhaftigkeit und Liberalität Gegensätze?
Der Kreml bemerkte zum Urteil gegen Le Pen: „Hier zeigt sich die Agonie der liberalen Demokratie.“ In der Tat, dieses Paradox des Wunsches einer offenen Gesellschaft und gleichzeitig der Notwendigkeit, diese klar zu verteidigen und zu sichern, wird sich nie ganz auflösen lassen.
Wo würden Sie denn rote Linien ziehen?
Diejenigen, die die Rechtsstaatlichkeit und die Solidarität mit den Diskriminierten und Schwächeren der Gesellschaft – Stichwort Inklusion – aufkündigen möchten, können sich nicht auf Freiheit berufen. Das ist klar.
Auch die Werte der Gleichheit und Brüderlichkeit sind unserer Demokratie und Verfassung eingeschrieben.
Ihre Definition hört sich klar an. Aber auch sie bietet Angriffsflächen.
Jegliche rote Linie in Form von Stopp-Signalen wird von Populisten, Rechtsextremisten und auch Autokraten weltweit sofort in den Beweis umgedeutet, dass es mit den Werten Freiheit und Toleranz in der liberalen Demokratie nicht weit her sei.
Elon Musk ist ein Paradebeispiel eines Verfechters nicht nur der Meinungsfreiheit, sondern eines „free speech absolutist“, wie er von sich sagt, also eines Absolutisten der freien Rede, der keinerlei Sanktionen gegen irgendetwas auf seiner Plattform „X“ duldet.
Redefreiheit vor allem für eine politische Richtung, wie es aussieht: Die Social-Media-Plattform „X“ steht in der Kritik, Rechtsextremismus zu befördern.
Es ist global sehr interessant zu beobachten, dass sich ein Freiheits-Absolutismus meist mit rechtspopulistischen und auch großkapitalistischen Ambitionen verknüpft, wie ebenfalls live in den USA zu beobachten ist. Für Gendervielfalt, Programmen von Diversity und Inklusion gilt dann diese Freiheit des Denkens und Handelns plötzlich nicht mehr.
Hatten wir nicht auch schon in Bayern das wirklich schöne Paradox eines ‚Genderverbots‘ im Namen der Freiheit, als Staatskanzleichef Florian Herrmann das Verbot damit begründete, „Diskursräume in einer liberalen offenen Gesellschaft“ offenzulassen?
Zurück zu Le Pen und ihrer Verurteilung: Glücksfall oder Verhängnis für die Demokratie?
Es ist beides: Ein Glücksfall, weil es beweist, dass die Justiz ohne Ansehen der Person handelt und nicht von vorne herein klar ist, wie es ausgeht. Und es ist eine Gefahr, da die Verurteilte und ihre Anhänger dieses Urteil natürlich als Anlass sehen werden, dass hier ein politisches Urteil zur Verhinderung von Machtveränderung getroffen wurde.
Das wiederum erhöht die Gefahr, dass bei einer Machtübernahme durch das Rassemblement National oder auch die AfD in Deutschland hier diese Parteien ihrerseits versuchen werden, Richter so zu besetzen, dass sie in Zukunft in ihrem Sinne entscheiden. So wie ja auch gerade in den USA in Wisconsin zu beobachten war.
Interview: Michael Weiser