Erl/Tirol – Martin Leutgeb ist Schauspieler, Regisseur und ein Mensch, der sich gerne tief in Themen hineindenkt. Für die Neuinszenierung der Passionsspiele Erl 2025 hat er einen klaren Zugang gefunden: Es geht ihm nicht nur um religiöse Lehre, sondern um das emotionale Erleben, das die Geschichte von Jesus Christus auch heute noch möglich macht. Im Interview spricht er über die Kraft der Hoffnung, sein Verhältnis zur Kirche – und die Rolle des Kindes in seiner Inszenierung.
Herr Leutgeb, Sie inszenieren derzeit die Passionsspiele in Erl. Wie nähert man sich so einer Aufgabe?
Ich bin da sehr intuitiv rangegangen. Natürlich habe ich viel gelesen – unterschiedliche Passionen, vor allem aber das Johannesevangelium. Es hat etwas sehr Theatralisches und gleichzeitig sehr Persönliches. Ich versuche, die Konflikte sichtbar zu machen – denn davon lebt Theater. Die Bibel ist voll davon: Zweifel, Angst, Wut, Hoffnung. Wenn Jesus im Tempel wütend wird oder am Ölberg nicht mehr weiß, ob er diesen Weg wirklich gehen soll – das sind zutiefst menschliche Momente. Und genau das interessiert mich.
Was kann Theater dabei leisten?
Es kann Emotionen spürbar machen. Unsere Darsteller sind Laien, aber sie wachsen da rein. Ich gebe ihnen Bilder mit, lasse sie die Szene ins Heute übertragen. Und manchmal sind sie selbst überrascht, wie viel sie fühlen können, wenn sie sich wirklich öffnen. Es geht nicht darum, Bibelzitate aufsagen zu lassen – sondern darum, das Menschliche zu zeigen. Auch Jesus war Mensch. Und das macht ihn greifbar.
In Ihrer Inszenierung nehmen Sie das Publikum mit auf die Reise durch die Karwoche – vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Was erwartet die Zuschauer konkret auf der Bühne?
Alle zentralen Stationen sind da: Einzug, Abendmahl, Ölberg, Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung. Aber wir beginnen weiter vorne – bei der Geburt. Wir zeigen Maria, die bereits ahnt, was auf ihr Kind zukommen könnte. Und wir erzählen diese Flucht – nennen sie auch so. Das ist kein Zufall. Jesus kommt auf einem Esel zur Welt und zieht später auf einem Esel in Jerusalem ein, um sein Werk zu vollenden. Das ist für mich ein starkes Bild.
Und wie inszenieren Sie den Höhepunkt – die Auferstehung?
Es ist kein großes Spektakel, sondern ein stiller, symbolischer Moment. Ein Kind öffnet das Grab. Jesus begegnet sich selbst – als Zwölfjähriger, als der, der er einmal war. Diese Begegnung ist für mich die Kraftquelle. Das Kind gibt ihm die Stärke, seinen Weg zu gehen. Und Maria Magdalena ist die Erste, die erkennt, dass er lebt – das ist eine der schönsten Botschaften der Bibel. Sie ist damit eigentlich die erste Apostelin.
Glauben Sie persönlich an die Auferstehung?
Ich glaube an das, was dieser Moment symbolisiert: Hoffnung. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist – dieser Satz ist für mich zentral. Ob Jesus physisch auferstanden ist oder nicht, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass die Geschichte weitergetragen wurde, dass Menschen daran geglaubt haben. Und dass sie diesen Glauben bis heute weitergeben.
Ostern ist mehr als Schokolade und Feiertag. Was bedeutet es für Sie persönlich?
Ich bin katholisch aufgewachsen, auch wenn ich mittlerweile aus der Kirche ausgetreten bin. Aber Ostern hat für mich bis heute Bedeutung. Ich gehe gerne zur Osternacht. Diese Symbole – das geweihte Wasser, die Osterkerze, das Licht in der dunklen Kirche – das ist Theater im besten Sinn. Und es ist ein Versprechen: dass der Tod nicht das Ende ist. Dass es weitergeht.
Wird dieser Gedanke in Ihrer Inszenierung auch gesellschaftlich greifbar?
Ich versuche es zumindest. Es gibt eine Szene, da sagt ein Kind zu seiner Mutter: „Aber die Leute da im Tempel, sie beten alle unterschiedlich.“ Und sie antwortet: „Aber sie beten alle zu dem einen Gott.“ Diese Idee – dass wir alle verschieden glauben dürfen, aber letztlich doch verbunden sind – das finde ich wichtig. Und ich glaube, gerade heute braucht die Welt Hoffnung. Es ist schön, wenn man jemanden hat, dem man danken kann, wenn es einem gut geht.
Ist das auch Ihre Botschaft an die Zuschauer?
Ich wünsche mir, dass das Stück nachwirkt. Dass die Menschen sich austauschen. Vielleicht sogar streiten. Das wäre das Beste, was passieren kann. Dass man über den Glauben spricht – und darüber, was es heute bedeutet, Mensch zu sein.
Was bedeutet das für Sie – Mensch zu sein?
André Heller hat einmal gesagt: „Die Bezeichnung Mensch ist ein Begriff, den man sich verdienen muss.“ Es gibt viele Leute, aber Menschsein heißt für mich, sich an das zu erinnern, was uns menschlich macht: Mitgefühl, Liebe, Verantwortung. Wenn ich das mit meiner Arbeit ein bisschen anstoßen kann, dann hat sich alles gelohnt.
Was wünschen Sie sich für die restlichen Proben?
Eine gute, kraftvolle Zeit mit dem Ensemble. Dass wir gemeinsam noch weiter wachsen. Und dass sich am Ende das zeigt, was wir von Anfang an gespürt haben: dass diese Geschichte auch heute noch Kraft hat.