Traunstein – Das Urteil ist gekippt, der Prozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. (23) in Aschau im Chiemgau muss neu aufgerollt werden. Und zwar in Traunstein, am Landgericht. Eben dort, wo am 19. März 2024 das Urteil gefällt worden war, das nunmehr Makulatur ist. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Spruch von Richterin Jacqueline Aßbichler nicht nur annulliert. Der BGH hat die Verhandlung außerdem an das Landgericht zurückverwiesen. Das bestätigte das Landgericht in einer Mitteilung an die Presse.
Neuauflage wirft
einige Fragen auf
Dass die Neuauflage eines Prozesses an dem Gericht über die Bühne geht, dessen erste Auflage gerade kassiert wurde: Das ist nicht unüblich. In diesem Fall wirft die Entscheidung aus Karlsruhe Fragen auf. Denn nachdem das Urteil der Zweiten Jugendkammer am Landgericht annulliert wurde, hat der BGH den „Eiskeller-Prozess“ nunmehr an die Erste Kammer verwiesen.
Doch war auch diese Erste Kammer des Landgerichts Traunstein indirekt in den Aschauer Mordprozess involviert gewesen: Unter dem Vorsitz von Heike Will hatte eben diese Erste Kammer den Befangenheitsantrag gegen Richterin Jacqueline Aßbichler im Februar 2024 abgelehnt.
Was für eine Wendung, dass ausgerechnet diese Ablehnung nun dazu geführt hat, dass das Verfahren neu aufgelegt werden muss.
Ein Dilemma für
das Landgericht
Einige Rechtsexperten hatten daher zuvor schon vermutet, dass der BGH im Falle einer Revision das Verfahren an ein anderes Gericht, beispielsweise in München, verweisen könnte. Kann die Erste Kammer einen Prozess neu führen, für den die Zweite Kammer vom BGH gerügt wurde? Aufgrund einer Entscheidung, die formal die Erste Kammer gefällt hatte? Zweifel könnten auch bei der professionellsten Verhandlungsführung auftauchen. Die Erste Kammer könnte theoretisch ihre eigene Befangenheit anzeigen. Darüber müsste dann aber wiederum eine andere Kammer des Landgerichts entscheiden. Ebenso, wenn die Verteidigung erneut einen Befangenheitsantrag stellen sollte. Die Situation sei „ungewöhnlich“, sagte Cornelia Sattelberger vom Landgericht, vor allem, „wenn man sich die Größe des Landgerichts ansieht“. Denn die Einrichtung in Traunstein gehöre zu den kleineren, daher gebe es auch nur zwei Jugendkammern.
Was heißt das für den Angeklagten Sebastian T. (23)? Womöglich wird der Aschauer seine Zelle in der JVA Traunstein bald räumen können. Regina Rick und Dr. Yves Georg, die Mitglieder des Verteidigungsteams, die bevorzugt mit der Revision befasst gewesen waren, haben bereits angekündigt, Haftprüfung zu beantragen. Man sei dran, sich auf einen Antrag vorzubereiten, sagte Revisionsspezialist Dr. Yves Georg. „Das muss sitzen.“ Wenn alle Informationen so weit beisammen seien, dass man davon ausgehen könne, nichts Relevantes mehr zu erfahren, werde man einen Antrag einreichen.
Nach der Haftprüfung
kann es schnell gehen
Dann kann es schnell gehen: Das Gesetz sieht eine Frist von zwei Wochen für eine mündliche Verhandlung vor. Da könne man vortragen, was für den Antrag spreche, sagte Georg. „Wir sehen sehr gute Chancen“, sagte er. Konkreter wollte er sich dazu nicht äußern. „Zuvor wollen wir erst das Gericht informieren.“ Möglich wäre übrigens auch eine schriftliche Haftbeschwerde. Endgültig habe man sich noch nicht entschieden, sagte der Hamburger Rechtsanwalt. Die Chancen für Sebastian T. scheinen in der Tat gut. Schließlich sitzt der Angeklagte, der sich in Traunstein als Heranwachsender zu verantworten hatte, seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Die Familie ist in Aschau verwurzelt, die Fluchtgefahr außerordentlich gering.
Bis zur Neuauflage
kann es lange dauern
Bis zum neuen Prozess kann es allerdings dauern. Schließlich seien die Termine des Landgerichts unter anderem mit denen der Pflichtverteidiger Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank sowie der Verteidigerin Regina Rick zu koordinieren, sagte Cornelia Sattelberger.
Als Angeklagter auf freiem Fuß oder weiter hinter Gittern: Auch diese Entscheidung könnte sich auf den Termin für die Neuauflage des Aschauer Mordprozesses auswirken. Denn müsste Sebastian T. weiter in der JVA ausharren, würde das Beschleunigungsgebot in Haftsachen zum Tragen kommen. Dieses Gebot leitet sich vom Grundgesetz her. Es verlangt von den Behörden, das Strafverfahren so schnell wie möglich durchzuführen, solange sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet.