Griesstätt/Bad Aibling – 50 tote Tiere in Griesstätt, zehn tote Rinder in Bad Aibling, ein Landwirt wegen Tierquälerei vor Gericht im Raum Mühldorf: Die Tierschutz-Tragödien haben die Region aufgerüttelt. Genügen die Kontrollen? Wie kann verhindert werden, dass sich solche Fälle wiederholen? Auch die Politik ist gefragt. Die hiesigen Landtagsabgeordneten Sebastian Friesinger (CSU, Rosenheim), Sepp Lausch (Freie Wähler, Rosenheim), Andreas Winhart (AfD, Rosenheim) und Sascha Schnürer (CSU, Mühldorf) nehmen Stellung: auch mit überraschenden Gedankenanstößen.
„Einzelfälle – Nicht verallgemeinern“
Zeigen die aktuellen Fälle, auf die jeweils anonyme Hinweisgeber aufmerksam gemacht hatten, nicht doch, dass das Kontrollsystem reformbedürftig ist? Sebastian Friesinger, Landtagsabgeordneter der CSU, betont, das könne derzeit noch nicht beurteilt werden. „Wie weit mehr oder weniger Kontrollen hier zu Veränderungen führen, wird zurzeit in allen Verfahren geprüft.“ Friesinger findet jedoch, dass es wichtig sei, „die Landwirtschaft nicht verallgemeinernd ins schlechtere Licht zu rücken“. Zur wirtschaftlichen, betrieblichen Tragödie komme meistens eine menschliche hinzu. „Hier müssen wir als Gesellschaft alle schauen, wenn wir Veränderungen spüren, um Hilfe leisten zu können“, appelliert Friesinger.
Sascha Schnürer, CSU-Landtagsabgeordneter für den Stimmkreis Mühldorf, findet: „Meines Erachtens reichen die Kontrollen aus.“ In den vergangenen Jahren seien im Raum Mühldorf am Inn mit rund 1500 und im Landkreis Rosenheim mit rund 2500 landwirtschaftlichen Betrieben nur wenige Einzelfälle bekannt geworden, das sei ein Indiz für ein funktionierendes System. „Aber natürlich müssen auch in diesen Fällen die Hintergründe genau herausgefunden werden. Das tun unsere Behörden auch. Wir hören nicht auf, jeden Tag besser werden zu wollen“, ist er überzeugt.
Andreas Winhart, Landtagsabgeordneter der AfD, erklärt, er habe zu den aktuellen Vorkommnissen eine Anfrage an die Staatsregierung gestellt, um Klarheit über Häufigkeit und Intensität von Tierschutzkontrollen durch die jeweiligen Ämter zu bekommen.
In einer AfD-Pressemitteilung vom 30. April zeigte sich Winhart jedoch enttäuscht über die „lapidare Antwort der Staatsregierung“, da man ihm hierzu keine Auskunft geben könne. So seien etwa die Dokumentationssysteme der Veterinärämter nicht auf statistische Auswertungen ausgelegt. Doch Winharts Frage, etwa wie viele Personen bei den Veterinärämtern mit den Kontrollen beschäftigt seien, hatte zuletzt die Rosenheimer Behörde auf OVB-Anfrage bereits beantwortet. Demnach stehen beim Rosenheimer Veterinäramt zur Wahrnehmung der Aufgaben, zu denen eben auch die Überwachung von über 2300 landwirtschaftlichen tierhaltenden Betrieben (davon etwa 1900 Milchkuhbetriebe) gehört, insgesamt neun Stellen für Amtstierärzte sowie 10,5 Stellen für weitere Beschäftigte (beispielsweise Verwaltungspersonal) zur Verfügung. Winhart jedenfalls vermutet, dass bei den Behörden „einiges im Argen liegt“.
„Es gibt keine
absolute Sicherheit“
Sepp Lausch, Landtagsabgeordneter der Freien Wähler, verweist auch auf die Tatsache, dass ein Kontrollsystem nicht eine absolute Sicherheit garantieren könne. „Missbrauch oder Verstöße lassen sich nie zu 100 Prozent ausschließen.“ Die Möglichkeit für anonyme Hinweise sei bereits ein fester Bestandteil des staatlichen Kontrollsystems. Beim Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) existiere dafür ein spezielles Kontaktformular. In den vergangenen Jahren habe der Freistaat Bayern rund 100 neue Stellen für amtliche Tierärzte geschaffen, auch mit dem Ziel, den Tierschutz in landwirtschaftlichen Betrieben zu stärken. Die Behörden würden außerdem unangekündigte, risikoorientierte und unabhängige Kontrollen durchführen, auf Basis einer Bewertung der Tierhaltungen und risikobasierter Kriterien. Landtag und Umweltministerium würden sich regelmäßig mit der Weiterentwicklung des Tierschutzvollzugs auseinandersetzen. Es gebe jedoch Grenzen behördlichen Handelns: „Bestimmte Methoden, wie sie teils von Tierschutzaktivisten angewandt werden – etwa das Einschleusen von Mitarbeitern, verdeckte Überwachung oder Eingriffe ins Hausrecht – stehen Veterinärbehörden nicht zu. Auch Landwirte haben ein Hausrecht und auch das unbefugte Betreten von Privateigentum der Landwirte durch Tierschutzaktivisten stellt einen Gesetzesbruch dar. Für ein offenes, unvoreingenommenes Gespräch sind die meisten Landwirtsfamilien immer zu haben.“
Wie können die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden, damit es zu solchen Tierdramen auf Höfen nicht mehr oder seltener kommt?
Wunsch nach
mehr Kontrollen
Friesinger würde sich wieder mehr beratende Kon-trolle wünschen: „Hilfestellung bei leichten Verstößen, Anmahnen ohne Strafaktion, jedoch mit ganz klarer Hilfestellung für die Beteiligten, die natürlich bei Wiederholungsfall auch zu Sanktionen führt.“ „Mehr Vertrauen vom Landwirt zum Amt und andersrum wäre vielleicht ein Ansatz. Eine hilferufende Erstanfrage wieder zulassen, ohne den Fragenden gleich einen Verstoß zu unterstellen“, nennt er als weiteres Beispiel.
Schnürer warnt davor, „jetzt gegenüber den Landwirten wieder einen Generalverdacht auszusprechen und wieder nach mehr Kontrollen zu rufen“. „Wir müssen es anders probieren. Mit mehr Vertrauen, mehr Planungssicherheit und auch mehr Unterstützung beziehungsweise Wertschätzung für die Landwirte, die jeden Tag ihr Bestes geben“, findet er. „Meiner Meinung nach haben wir eher zu viel an Kontrollen und Bürokratie als zu wenig.“ Landwirte ständen unter enormem Druck. Dieser führe immer häufiger zu Burnout. Und das wiederum könne dann auch zur Folge haben, „dass die Tierhalter, die eben 24 Stunden an sieben Tagen die Woche und 365 Tage im Jahr die Verantwortung für ihre Tiere, aber auch für den gesamten Hof, Familie, Bank und als systemrelevanter Betrieb letztlich auch Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen, einfach nicht mehr dem Druck standhalten können“. Die zentrale Frage sei: „Wie bekommen wir mehr Prävention, mehr Begleitung im Vorfeld, gerade auch bei großen Investitionen, mehr Vertrauen und Planungssicherheit wieder auf den Hof.“ Der Bayerische Bauernverband (BBV), Maschinenring und Berufsgenossenschaft hätten das Thema aufgegriffen. „Die Staatsregierung tut auch schon viel in dieser Richtung. Die Behördenverlagerung der Veterinäre oder die Gülle-App sind aktuelle Beispiele dazu, aber es gäbe hier Dutzende. Ich bin mir sicher, dass wir gerade mit solchen Maßnahmen mehr erreichen als eben im Fall Felßner, mit mutmaßlichen Straftaten, gesellschaftlich gerechtfertigt unter dem Deckmantel des Tierschutzes, die Landwirte an den Rand der Aufgabe zu treiben.“ Lausch findet: „Die Verantwortung für das Wohlergehen der Tiere und die Einhaltung der Vorschriften liegen in erster Linie beim Tierhalter selbst. Bei den Fällen in unserer Region handelt es sich ausnahmslos um menschliche Dramen, nicht um die Optimierung von Gewinnen oder Ähnlichem.“
Branche nicht unter
Generalverdacht
Auch er warnt davor, die gesamte Branche unter Generalverdacht zu stellen: „99 Prozent der Landwirte arbeiten verantwortungsbewusst und im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben.“ Doch auch er nimmt die Nicht-Landwirte mit ins Boot: „Wir als Gesellschaft und Konsumenten tragen eine Mitverantwortung: Wer dauerhaft nur das Billigste verlangt, verdrängt höhere Standards. Tierwohl hat seinen Preis – und kann nicht zum Nulltarif funktionieren.“
Winhart ist ebenfalls überzeugt: Die große Mehrheit der Landwirte arbeite äußerst tierschutzkonform und achte auf die eigenen Tiere, schon aus Eigeninteresse. „Die tragischen Fälle resultieren auch nicht aus einer Ablehnung des Tierschutzgedanken, sondern, wie zu vermuten ist, aus persönlichen Gründen der Überforderung. Hierzu gilt es, auch in Zeiten klammer öffentlicher Kassen die Beratungsangebote aufrechtzuerhalten und auch auf diese Angebote aufmerksam zu machen“, fordert er.