Landgericht in der Zwickmühle

von Redaktion

Neue Verhandlung zum Tod von Hanna noch 2025 möglich

Aschau im Chiemgau – Es muss nochmals verhandelt werden, der Prozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. in Aschau im Chiemgau will kein Ende nehmen. Weil der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe das Verfahren zurückverwiesen hat. An das Landgericht Traunstein, wo der Angeklagte Sebastian T. nach 35 Verhandlungstagen am 19. März 2024 zu neun Jahren Haft verurteilt worden war.

Neuauflage
vor Traunsteiner
Jugendkammer

Nun scheint klar, dass die Neuauflage der Verhandlung tatsächlich erneut am Landgericht in Traunstein stattfinden wird. Und zwar vor der 1. Jugendkammer unter dem Vorsitz von Richterin Heike Will. Die Verteidigung habe beschlossen, keinen Ablehnungsantrag einzureichen, sagte der Hamburger Strafverteidiger Dr. Yves Georg dem OVB auf Anfrage.

Dass die Verteidigung so entscheiden würde, schien in den vergangenen zwei Wochen seit der Veröffentlichung des Revisionsbeschlusses nicht unbedingt sicher. Schließlich brachte der Beschluss des BGH das Landgericht in eine Zwickmühle. Die 1. Kammer hatte ja indirekt schon eine Rolle in dem Prozess gehabt. Und nun muss sie in einem Fall entscheiden, in dem die 2. Kammer nach Ansicht des BGH im Februar 2024 versagte.

Fall Hanna: Warum
die Revision
durchging

Die Revision war durchgedrungen, weil die 1. Jugendkammer des Landgerichts einen Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen die 2. Kammer abgelehnt hatte. Zu Unrecht, wie der BGH befand; tatsächlich war der E-Mail-Austausch zwischen dem Oberstaatsanwalt Wolfgang Fiedler und der Vorsitzenden der 2. Kammer, Richterin Jacqueline Aßbichler, geeignet gewesen, „Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen“.

So heißt es in der Strafprozessordnung. Tatsächliche Befangenheit muss gar nicht vorhanden und bewiesen sein. Es genügt die begründete Sorge des Angeklagten um die Unabhängigkeit. Die 1. Kammer hätte also die 2. Kammer entbinden und den Prozess neu beginnen müssen. Das aber tat sie damals nicht. Nach Ansicht des BGH ein Versäumnis, das die Kammer nun, über ein Jahr danach, selber gutmachen soll.

„Die Entscheidung dieser Jugendkammer war falsch, das sagt der Bundesgerichtshof ganz klar“, sagt Yves Georg. „Falsche Entscheidungen müssen Anlass geben, nachzudenken, ob man ein solches Gericht ablehnt. Mehr aber nicht. Wir beabsichtigen das derzeit nicht“, begründet er die Marschroute der Verteidiger weiter. Es könne sehr gut sein, dass die 1. Kammer aufgrund „falscher Rechtsauffassungen“ falsch entschieden habe. „Das muss nicht heißen, dass sie befangen ist.“

Die betreffenden E-Mails hatte Verteidigerin Regina Rick beim Lesen von Ermittlungsakten entdeckt. Fiedler und Aßbichler tauschten sich darin aus, den Tatvorwurf zu ändern. Aus Mord aus Heimtücke wurde somit gefährliche Körperverletzung plus Mord.

Sebastian T. habe in den frühen Morgenstunden des 3. Oktober 2022 Hanna W. auf ihrem Heimweg vom Club „Eiskeller“ aus sexuellen Motiven heraus angegriffen und schwer verletzt. Als er erkannt habe, was er angerichtet hatte, habe er die Schwerverletzte in den Bärbach geworfen. Dort ertrank Hanna, so wie es – zu diesem Schluss müssen Staatsanwalt und Richterin in dieser Phase des Prozesses gekommen sein – Sebastian T. auch beabsichtigt haben soll. Wie die E-Mails in die Ermittlungsakten kamen: ein Mysterium.

Haftprüfung
für Sebastian T.
angestrebt

Rick reichte jedenfalls am 19. Februar 2024 einen Antrag auf Ablehnung der drei Berufsrichter der 2. Kammer ein. Am 27. Februar aber wies Heike Will diesen Antrag zurück. Der Prozess ging weiter. Und genau einen Monat später verurteilte Jacqueline Aßbichler Sebastian T. zu neun Jahren Haft.

Seitdem sitzt Sebastian T. in der JVA Traunstein. Womöglich nicht mehr lange. Man werde „zeitnah“ einen Antrag auf Haftprüfung stellen, sagte Yves Georg. Denkbar wäre danach zum Beispiel, dass Sebastian T. vorläufig und unter bestimmten Auflagen auf freien Fuß gesetzt wird.

Der Prozess selbst könnte noch im Spätsommer 2025 von Neuem beginnen. Richterin Will hat nach Auskunft des Landgerichts Traunstein der Verteidigung einen Termin ab Mitte September in Aussicht gestellt. Nach Rückkehr der Akten – weit über 20000 Seiten Ermittlungsakten und andere Dokumente – aus Karlsruhe könne mit der Terminsuche begonnen werden. Keine einfache Angelegenheit. Schließlich müssen nicht nur Richterin und Angeklagter viel verfügbare Zeit mitbringen, sondern auch der Staatsanwalt, Walter Holderle als Anwalt von Hannas Eltern, Zeugen und Sachverständige.

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