Rosenheim – „Wir freuen uns, und wir sind voller Tatkraft“ – so äußerte sich Daniela Ludwig, neue Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, unmittelbar nach der Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler. Im zweiten Anlauf hatte es endlich geklappt, nachdem Merz im ersten Durchgang noch zu wenige Stimmen erhalten hatte.
Die CSU-Abgeordnete aus Rosenheim räumte „Startschwierigkeiten“ ein. „Die Anspannung weicht erst langsam“, sagte sie dem OVB nach Friedrich Merz‘ Wahl am späten Dienstagnachmittag. „Eine Druck-Situation“, berichtete sie. „Es geht schließlich ums Land, jetzt müssen wir Stabilität und Vertrauen schaffen.“ Und die Abweichler aus den eigenen Reihen? „Es war unnötig und unverantwortlich von denen, die‘s verbockt haben.“
Wie erlebte Friedrich Merz dieses Misstrauensvotum aus den eigenen Reihen? „Er hat in sich geruht“, sagte Ludwig, „er hat schon Steher- und Nehmer-Qualitäten.“ Vielleicht half ihm auch die Aufmunterung von Astronaut Alexander Gerst, die Ludwig ihm mitgab. Am Mittagstisch sei man zufällig zusammengesessen, erzählte die Rosenheimerin. Und Gerst habe gesagt: „Ach, wissen Sie, das ist in der Raumfahrt ganz normal, dass der erste Start nicht ganz glückt.“
Nicht ganz geglückt – das trifft es. Am Vormittag die Kanzler-Kür, schließlich gegen 17.30 Uhr der Besuch bei Bundespräsident Steinmeier, außerdem eine erste Sitzung im Innenministerium: So hatte der Terminkalender für Daniela Ludwig ursprünglich ausgesehen. Was dann folgte, war ein Krimi: Erst im zweiten Anlauf, kurz vor halb vier Uhr, stimmten genügend Abgeordnete für Friedrich Merz (CDU). Im ersten Wahlgang war der designierte Kanzler gescheitert, vollkommen unerwartet und erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die Anspannung danach: enorm. Den Mittag über tagten die Fraktionen. Danach erst die Gewissheit: Der Bundestag würde noch am selben Tag erneut abstimmen. „Wir sind zuversichtlich“, gab Daniela Ludwig eine halbe Stunde vor dem zweiten Wahlgang durch. Ates Gürpinar aus Rosenheim, Bundestagsabgeordneter der Linken, tippte ebenfalls auf einen Erfolg für die Koalition. Es gehe davon aus, dass Merz es schaffen werde, sagte Gürpinar kurz vorm Wahlgang.
Gürpinar betonte aber auch: „Merz aufgrund des Koalitionsvertrages nicht zu wählen, ist absolut legitim – eigentlich sogar folgerichtig.“ Dennoch war es auch die Linke gewesen, die durch ihre Zustimmung eine Abweichung von der Geschäftsordnung und damit den beschleunigten zweiten Wahlgang möglich gemacht hatte. Gürpinar fasst zusammen: „Ein denkbar schlechter Start der Koalition. Nicht nur Merz, sondern auch Klingbeil als neuer starker Mann der SPD ist schon geschwächt.“
Geschwächt, aber im Amt: Kurz nach 16 Uhr stand das Ergebnis fest, Friedrich Merz war Kanzler. Mit 325:289 Stimmen. Freude auch bei der Präsidentin des Bayerischen Landtags. „Nun kann er als Kanzler seine Skeptiker überzeugen. Einige Abgeordnete haben heute einen großen Fehler gemacht und den Ernst der Lage nicht verstanden“, postete Ilse Aigner aus Feldkirchen-Westerham auf der Plattform „X“. Von „Schock“ oder „Erleichterung“ möchte Siegfried Walch, CSU-Abgeordneter für Traunstein, nicht sprechen. Er sei kein Fan von Superlativen.
„Es war einfach unglaublich schade, dass man die Chance auf einen positiven und engagierten Startschuss aufgrund von ein paar Einzelnen nicht genutzt hat“, sagt er zum ersten Scheitern von Merz. Es gehe schließlich nicht mehr um ein politisches Spiel. „Es ist kein Spaß, wenn die drittgrößte Volkswirtschaft keine stabile Regierung hat“, sagt er.
Einen schlechten Vorboten für die künftige Regierungsarbeit sieht Siegfried Walch in dem holprigen Start allerdings nicht. Die Ampel-Koalition habe mit „süßlichen Gesichtern“ gestartet und man sei sich in den Armen gelegen. „Vielleicht ist es genau das nicht, sondern eine Koalition der Vernunft, die pragmatisches Arbeiten in den Mittelpunkt stellt“, sagt Walch.
Weniger optimistisch zeigt man sich bei den Grünen. „Bei der Union und der SPD ist man nun natürlich sehr erleichtert, dass es geklappt hat“, sagt die Rosenheimer Grünen-Abgeordnete Victoria Broßart nach dem zweiten Wahlgang. „Anscheinend konnte man die Abweichler einfangen.“ Bei den Grünen sieht man das Ganze allerdings durchaus skeptischer.
Man sei zwar froh, dass das Land wieder eine Regierung habe, aber „mit Blick auf das Regierungshandeln sehen wir das weiterhin kritisch“.
Es bleiben Fragen: War das eine einmalige Sache? Oder wird das Problem der fehlenden Mehrheit nun häufiger auftauchen? „Wir sind meilenweit entfernt von stabilen Verhältnissen“, betont Broßart.
Aus wessen Reihe kamen die Merz-Verweigerer? Viele Beobachter tippen auf Abgeordnete der SPD. Möglicherweise waren es aber auch Abgeordnete der Union.
Bärbel Kofler weist derlei weit von sich. „An Spekulationen, wer im geheimen, ersten Wahlgang aus den Koalitionsfraktionen wie abgestimmt hat, beteilige ich mich nicht. Ich kenne aus unserer Fraktion niemanden, der nicht zugestimmt hat“, machte die Traunsteiner SPD-Abgeordnete nach dem ersten Wahl-Anlauf deutlich.
Patricia Huber und Michael Weiser