Rosenheim – „Das passiert immer anderen, woanders und weit weg“, so sang einst der Liedermacher Reinhard Mey in seinem Stück „Dass Atze Lehmann sich erschossen hat im Garten hinter seinem Haus“. Oberbürgermeister Andreas März wählte fast dieselben Worte, als er beim 30-jährigen Jubiläum der ökumenischen Notfallseelsorge in Stadt und Landkreis Rosenheim sprach. Ihm sei es nicht anders gegangen als den meisten seiner Mitmenschen: „Notfallseelsorger – man weiß, dass es sie gibt, man ahnt auch, dass ihr Dienst wertvoll und wichtig ist – aber ansonsten schenkt man dem Thema keine weitere Aufmerksamkeit.“
Bedingungslose
Zuwendung
Erst als er in seiner erweiterten Familie mit einem Unglücksfall mit Todesfolge konfrontiert gewesen sei, habe sich das dramatisch geändert: „Mit einem Mal habe ich erfahren, wie das ist, wenn einem von einer Sekunde auf die andere der komplette Boden unter den Füßen weggezogen wird. Und wie unschätzbar wertvoll es ist, wenn einem dann in der Person eines Notfallseelsorgers ein anderer Mensch beisteht. Ein Mensch, der sich einem bedingungslos zuwendet und damit verhindert, dass man auch selbst verschlungen wird.“ Oft – und so sei das auch im Fall seiner erweiterten Familie gewesen – sei das zudem nicht nur Hilfe für den Augenblick: „Uns hat sie ermöglicht, aus der Bodenlosigkeit heraus wieder halbwegs festen Grund zu erreichen.“
Mit dieser bewegenden Schilderung brachte der Oberbürgermeister Sinn und Zweck der ökumenischen Notfallseelsorge auf den Punkt. Sie hat sich in Stadt und Landkreis Rosenheim vor 30 Jahren aus verschiedenen Ansätzen heraus entwickelt, denen eines gemeinsam war: Man hatte erkannt, dass es im Bereich der sogenannten „Gefahrenabwehr“, also bei Not- und Unglücksfällen, mit dem Einsatz von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten noch lange nicht getan ist.
„Ich bin seit Langem bei der Feuerwehr“, sagte Landrat Otto Lederer in seiner Rede, „und weiß: Bei Unglücksfällen, mögen sie auch noch so dramatisch sein, gilt für die Rettungskräfte: Da ist eine konkrete Aufgabe und es gilt die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen. Das geht nur mit klarem Verstand und nüchterner Rationalität.“ Für eine Sorge um weitere am Geschehen Beteiligte – Angehörige, Augenzeugen – sei dabei eigentlich weder Zeit noch Platz. Ihnen sei durch unmittelbaren Einsatz der Rettungskräfte deshalb nicht geholfen. Diese Aufgabe aber übernehmen seit drei Jahrzehnten die Mitglieder der ökumenischen Notfallseelsorge – und das ehrenamtlich. „Es sind Menschen“, so Otto Lederer, „die selten im Scheinwerferlicht stehen, weil sie dorthin gehen, wo im Moment Dunkelheit herrscht.“
Für die ökumenischen Notfallseelsorger selbst – das wurde bei der Jubiläumsfeier deutlich – ergibt sich ihr Tun schlicht aus dem Bibelwort: „Was ihr dem Geringsten unter meinen Mitbrüdern getan habt, das habt ihr mir getan“ – also um den klaren Auftrag Jesu, sich um seine Mitmenschen zu kümmern. Ein Auftrag, den sicher auch die anderen Akteure in der Krisenintervention so für sich sehen, denn die „Psychosoziale Notfallversorgung“, wie der Überbegriff heißt, steht in Stadt und Landkreis Rosenheim mittlerweile auf breiter Basis. Ohne die Beteiligung etwa des Roten Kreuzes oder der Johanniter wäre eine Bereitschaft rund um die Uhr und an jedem Tag des Jahres nicht möglich.
Trotz dieser breiten Aufstellung wird die Notfallseelsorge immer noch durch das Charisma und die Einsatzbereitschaft ihrer Führungs-, vor allem aber ihrer Gründungspersonen geprägt, wie Thomas Jablowsky, der Leiter der katholischen Notfallseelsorge, hervorhob. Etwa durch Diakon Andreas Demmel, der die Notfallseelsorge vor 30 Jahren mit aus der Taufe hob und heute noch aktiv tätig ist.
Fünf neue Mitglieder
wurden gesegnet
Die ökumenische Notfallseelsorge in Stadt und Landkreis Rosenheim ist bestens aufgestellt, das war auch die Überzeugung von Andreas Müller-Cyran, auf Bundesebene einer der Vorreiter beim Aufbau der Psychosozialen Notfallversorgung. So konnten im Rahmen der Jubiläumsfeier durch Dekanin Dagmar Häfner-Becker und Dekan Thomas Schlichting fünf neue Mitglieder der Notfallseelsorge gesegnet werden.
Für Andreas Müller-Cyran ist die ökumenische Notfallseelsorge ein Beleg dafür, dass sich die Kirchen tatsächlich „zu allen Menschen gesendet fühlen“, wie er es formulierte: Gerade in Krisenfällen ist es nur noch der Mensch an sich, um den es geht, nicht die Zugehörigkeit zu irgendeiner Glaubensrichtung.