Marktl/Mühldorf/München – Die drei bei Marktl festgenommenen Automatenknacker – in den Niederlanden werden sie als „Plofknackers“, also „Knallknacker“ bezeichnet – sollen Teil einer holländischen Bande sein. Davon geht die österreichische Polizei in ihren Ermittlungen aus. In den vergangenen Jahren gerieten auch Banken in der Region immer wieder ins Visier dieser kriminellen Vereinigungen – zum Beispiel in Töging, Egglkofen, Neuötting und Garching. Das dichte Netz von Geldautomaten in Dörfern und Kleinstädten macht Bayern für sie zu einem lohnenswerten Ziel. Wie diese Banden vorgehen, haben die OVB-Heimatzeitungen im Interview mit Ludwig Waldinger, Sprecher des Landeskriminalamts in München, erfahren.
Wie viele Geldautomaten wurden heuer in Bayern schon gesprengt?
In 2025 hatten wir bisher acht Sprengungen, Zahlen über Höhe der Beute und Sachschaden veröffentlichen wir erst nach Ablauf des Jahres. Im Jahr 2024 waren es insgesamt 22 Sprengungen, dabei haben die Täter 1,8 Millionen Euro erbeutet und 7,2 Millionen Euro Sachschaden angerichtet. Im Jahr 2023 lag die Beute von 21 Taten bei 1,1 Millionen Euro, der Sachschaden bei 2,3 Millionen Euro.
Wie gehen die Verbrecher vor, um an geeignete Automaten zu kommen?
Hier ist nicht jeder Fall gleich. Meistens sind niederländische Banden am Werk, ganz klassisch organisierte kriminelle Vereinigungen. Diese brauchen immer mehrere Leute für ihre Raubzüge.
Wie läuft das ab?
Hinter dem ganzen System steckt sehr hohe kriminelle Energie. Da gibt es die Leute, die für die Beschaffung der besonders PS-starken und hochpreisigen Fluchtautos zuständig sind. Etwa ein Audi mit 700 PS ist nicht gerade günstig, der soll am besten für mehrere Taten verwendet werden. Andere bauen diese Fahrzeuge um und zusätzliche Tanks ein. Denn wenn diese hochmotorisierten Autos mit Höchstgeschwindigkeit gefahren werden, müssten sie alle 100 Kilometer an eine Tankstelle. Das gilt es natürlich zu vermeiden.
Weitere Täter stehlen Kennzeichen anderer Autos von Parkplätzen. Noch mal andere Bandenmitglieder bereiten die Sprengpacks vor. Dann gibt es die „Ausbilder“, die den Sprengtrupps in Hallen in Holland zeigen, wie man einen Geldautomaten aufbricht. Ausspäher tauchen als ganz normale Kunden in den Banken auf und scannen dort die Gegebenheiten, ihre Erkenntnisse geben sie den Sprengtrupps an die Hand. Diese Trupps haben das größte Entdeckungsrisiko und sind in der Rangfolge der Banden die ärmsten. Über allem gibt es natürlich einen Chef im Hintergrund.
Welche Automaten sind besonders interessant?
Bevorzugt werden Automaten an Standorten, die nicht zu sehr belebt sind. Einen Automaten an einer Tankstelle, die 24 Stunden geöffnet ist, wäre kein gutes Ziel. Die Täter haben auch keine Skrupel, Automaten in einem Wohngebäude zu sprengen, in dem zur Tatzeit Menschen schlafen. Hauptsache, das Risiko entdeckt zu werden, ist gering.
Die in Marktl gefassten Täter haben ihr erstes Fahrzeug fast mit in die Luft gesprengt, ein zweites geklaut und ein drittes zu Schrott gefahren. Keine gute Bilanz.
Daran sieht man aber auch die extreme Skrupellosigkeit, mit der diese Banden vorgehen. Sie rauben zwei Autos hintereinander. Mir ist ein Fall bekannt, da sind die Täter auf der Flucht ohne Licht mit Höchstgeschwindigkeit in entgegengesetzter Richtung über eine Autobahn gerast. Bei lebensgefährlichen 250 Stundenkilometern in Geisterfahrt kann selbst die Polizei die Verfolgung nicht aufnehmen, da geht es um Menschenleben und auch diese Automatensprenger sind Menschen.
Wählen die Knackerbanden noch immer Automaten in Autobahnnähe?
Oft sind Autobahnen und Schnellstraßen in der Nähe, das erhöht die Fluchtmöglichkeiten. In Berlin kommen und flüchten die Täter mit E-Scootern zu und von ihren „Einsatzorten“ in Fußgängerzonen. Das hatten wir in Bayern noch nicht.
Bei vielen Automaten färben sich die Geldscheine beim Aufbruch ein. Sind solche Banknoten für die Diebe noch brauchbar?
Nein, die so eingefärbten Geldscheine sind nicht mehr verwendbar. Auch nicht im Ausland. Das hält die Täter aber trotzdem nicht ab. Die Banken weisen darauf ja auch in riesigen Aufklebern an den Zugängen zu den Automaten hin. In Bayern haben wir über 7000 Geldautomaten und die Banken rüsten deren Sicherheit mit Unterstützung von LKA und Kripo auch massiv nach, das kostet Zeit und Geld. Trotzdem kann das eine Sprengung nicht verhindern, wenn der Automat kurz vor der Aufrüstung als gutes Ziel ausgespäht wurde.
Was sind das für Leute, die sich für die Sprengtrupps anwerben lassen?
Meist werden dafür junge Männer mit Migrationshintergrund rekrutiert, die in sozial sehr schwachen Gegenden leben. Für sie ist das Geld aus den Straftaten ein wichtiges Statussymbol, mit dem sie sich Partys und Luxusartikel leisten können. Werden die einen gefasst, dann stehen die nächsten schon parat. Denn sie wollen sich auch Prada- und Gucci-Täschchen leisten können. Bei Sicherstellungen in Hausdurchsuchungen finden wir immer haufenweise teure Markenkleidung.
Wie erfolgreich sind Polizei und LKA bei der Aufklärung solcher Fälle?
Wir sind nicht nur stark, wenn es darum geht, die Sprengtrupps zu fassen. Wir sind auch stark in der Ermittlung der Hintermänner. Immer wenn es wieder zu Festnahmeaktionen in den Niederlanden und Gerichtsprozessen gegen sie gekommen ist, herrscht danach einige Zeit Ruhe, die Banden hatten sich still. Danach geht es wieder von vorne los. Denn wenn die Raubzüge erfolgreich sind, ist die Beute relativ hoch.
Interview: Christa Latta