Übersee – Ursula Schelle-Müller sitzt bequem mit Traumblick auf den Chiemsee in „ihrem“ Chiemgauhof, als der Kellner an den Tisch tritt. „Das ist der leichte Kaffee“, sagt er und stellt die Tasse mit einem markant duftenden Gebräu ab. „Dankeschön“, antwortet die dunkelhaarige Frau mit einem Lächeln: „Da bin ich schon gespannt.“ Sie erzählt, dass sie den mit heißem Wasser „verlängerten“ intensiven, tiefschwarzen Espresso immer als „Verlängerten“ bestellt. Wie er in Österreich bezeichnet wird, dort, wo Kaffeegenuss eine echte Religion ist.
In Österreich hat all das, was im neuen Luxus-Hotel Chiemgauhof Lakeside Retreat von Übersee oder im michelingekrönten Achental-Ressort in Grassau an Klasse, Schlichtheit und Verbundenheit zum Chiemgau zu bewundern ist, einen seiner Ursprünge. Genauer gesagt im Kitzhof im Nobel-Skiort Kitzbühel, einem der drei Privathotels im Besitz der Müllers.
Das erste Design:
Machen statt meckern
Dort stand vor inzwischen zwei Jahrzehnten ein Umbau samt großem Anbau an. Die gelernte Kommunikationswissenschaftlerin Schelle-Müller war eigentlich für das Marketing des wachsenden Hotel-Imperiums zuständig, doch ihr Ehemann und CEO Dieter Müller nahm sie mit zur Präsentation der Architekten: „Mein Mann hat gesagt, jetzt gehst du mit, weil: Ich würde anschließend meckern, wenn es mir nicht gefällt.“
Genauso war es dann auch. Schelle-Müller fand es ganz ehrlich gesagt „grässlich“, was da präsentiert wurde. Super-klassisch, wie es zu jener Zeit noch üblich war. Ihr Mann hatte viel mit dem Aufbau der Hotel-Kette Motel One zu tun, also nahm seine Ehefrau das Heft bei der Umgestaltung des Kitzhofs in die Hand. „Dann bin ich eingetreten in die Diskussion mit den ganzen Handwerkern. Und es hat mir sogar Spaß gemacht“, erzählt sie mit einem fast spitzbübischen Lächeln. Sie entwarf eine eher an alte Bauernhäuser erinnernde, schlichte Grundausstattung mit Holzböden samt „Möbeln, die Wärme reinbringen mit Loden“. Das Problem daran: Architekturmäßig zeichnen konnte sie es nicht. Sie konnte nur mit ihren Marketing-Fähigkeiten „Bilder aufmachen in den Köpfen“. Eine Gabe, die nur wenige haben. Und die dazu führte, dass es am Ende wirklich genauso ausschaute, wie es sich Ursula Schelle-Müller im Kopf ausgesponnen hatte. „Die Architektur mit viel Holz und Loden, die man heute überall hat, war damals noch sehr neu in der Kitzbüheler Gegend.“
Besonders berührt hat sie bei ihrem ersten eigenen „Design-Projekt“ die Geschichte eines Handwerkers. Der Schreiner hatte die Ideen von Schelle-Müller zwar umgesetzt, aber ohne rechte Begeisterung. Als alles fertig war, brachte er seine Tochter mit, die damals vielleicht 17 oder 18 Jahre alt war, und zeigte ihr, was er da im Kitzhof Neuartiges hingestellt hatte. „Und dann hat sie zu ihm gesagt: ‚Papa, das ist das Schönste, was du jemals gemacht hast.‘ Da war dieser Mann plötzlich ganz begeistert. Das war sehr süß“, berichtet Schelle-Müller mit strahlenden Augen. Mindestens genauso wichtig fand die „Neu-Designerin“ natürlich, dass ihr Ehemann davon begeistert war.
Es war der Beginn einer perfekten Arbeitsteilung des Hoteliers-Paares Müller. „Mein Mann ist sicher der Stratege, der Visionär und der mit den ganzen Zahlen für die Finanzen. Ich war immer eher in der Umsetzung aktiv, in der Gestaltung, den Visonen Leben einzuhauchen.“ Das Talent dafür hatte Ursula Schelle-Müller in sich eigentlich gar nicht gesehen, obwohl ein Architektur-Studium nach dem Abi einst eine ihre Traumoptionen gewesen war. Die Mama redete ihr das jedoch aus, weil es damals so viele arbeitslose Architekten gab.
So ging Ursula Schelle-Müller den PR- und Marketing-Weg – und dann eröffnete ihr das Schicksal über einen Umweg doch noch die Erfüllung ihres Traums. Nach dem Studium landete sie 1992 in München als Assistentin in diesem Bereich bei der im Aufbau befindliche Astron-Hotelkette von Klempnersohn Dieter Müller. Sie lernten sich schätzen und später lieben. „Ich glaube, die meisten Partnerschaften entstehen in der Arbeit“, sagt sie. Mehr will die sonst so kommunikationsfreudige Frau nicht über den Beginn dieser Love- und Erfolgsstory erzählen.
2001 wird die inzwischen auf 56 Hotels angewachsene Astron-Hotelkette an die spanische NH-Gruppe verkauft. Dieter Müller und seine Frau haben längst ihr nächstes, innovatives Projekt gestartet: Motel One. Sie erschließen eine ganz neue Nische: preiswerte Hotellerie in Städten mit der Konzentration aufs Wesentliche, aber auch einem Hauch Luxus. „Wenn ich unterwegs in der Stadt bin, brauche ich ein Super-Bett, eine gescheite Dusche und im Zweifel noch einen guten Fernseher. Und natürlich ein richtig tolles Frühstück am nächsten Tag“, sagt Schelle-Müller.
Beim Thema Bio-Frühstück zählt Motel One zu den Vorreitern in der Branche, an der Bar kann ein Absacker genommen werden. Über die Jahre wird das Konzept ständig infrage gestellt und weiterentwickelt. Von Standorten auch außerhalb der Stadtzentren geht es rein in die Citys. Es kommen ausgewählte Design-Elemente, wie die zum Erkennungsmerkmal gewordene Türkis-Farbe und Ledersofas, hinzu. Alles Ideen, zu denen Ursula Schelle-Müller als Chief Marketing Officer verantwortlich zeichnet. Sie entwickelt das Story-Telling der Häuser weiter, Motel One erhält reihenweise Auszeichnungen für das beste Preis-Leistungs-Verhältnis oder Nachhaltigkeit. Auch letzteres Thema ist ganz wichtig für Ursula Schelle-Müller.
Jetzt hat Dieter Müller 80 Prozent des Hotel-Imperiums mit inzwischen 100 Häusern in 13 Ländern an den französischen Finanzinvestor PAI verkauft. Der offizielle Verkaufspreis bleibt geheim, der Finanzdienst Bloomberg schätzt den Wert des operativen Geschäfts von Motel One zur Zeit des Kaufs auf etwa 3,5 Milliarden Euro. „Mein Mann wird in den letzten Interviews ja immer gefragt, wie das ist mit Milliardär sein“, sagt Schelle-Müller dazu. Nerven lässt sich die intelligente Frau genau wie ihr Ehemann davon nicht, schließlich ist das meiste Geld ohnehin in diversen Unternehmen gebunden. Und zum Abheben bringt es diese bodenständige Unternehmerin erst recht nicht.
Gute Ideen gut
umgesetzt
„In der Branche ist es eher eine positive Anerkennung, die bei uns ankommt. Ich spüre eigentlich keinen Neid“, so die 1965 geborene Frau: „Es ist ja auch nicht vom Himmel gefallen, wir kommen ja beide aus einfachen Haushalten. Ein eigengeschaffenes Unternehmen, eine neue Nische in der Hotellerie. Einfach gute Ideen, gut umgesetzt. Just do it!“
Es gebe auch heute viele junge Unternehmer, die kreativ seien und sich etwas Neues überlegten. Chancen bestünden in jeder Branche. Für besonders wichtig hält sie auch in ihrer Position als Erfolgs-Unternehmerin, dass man jederzeit lernfähig bleibe und mit den Mitarbeitern auf Augenhöhe kommuniziere. Genau das lebt Ursula Schelle-Müller vor.
Nach ihrem Abschied als Chief Marketing Officer bei Motel One kann sie sich ganz auf ihre Lieblingsprojekte im Chiemgau konzentrieren. Anfang des Jahres wurde der Chiemgauhof in Übersee eröffnet, wo sie mit Stararchitekt Matteo Thun mit viel Holz und Glas die Chiemgauer Idee von Schlichtheit und Eleganz umgesetzt hat. Schon viel länger ist das Achental-Ressort in Grassau in den Händen der Müllers. Einst ein Astron-Hotel, ist das Golf- und Wellnesshotel inzwischen zu einem Eldorado für Luxus-Reisende gereift. Chefkoch Edip Sigl und sein Restaurant „es:senz“ wurden mit drei Michelin-Sternen gekrönt. In diesem Hotel liegt auch der Ursprung der besonderen Beziehung der Müllers zum Chiemgau.
Vor vier Jahrzehnten kaufte Dieter Müller dort das heutige Achental-Ressort. „Wir haben auch im Achtental geheiratet. Irgendwie hat sich im Kreis immer wieder ein Punkt gefunden, der hier im Chiemgau war“, so Ursula Schelle-Müller.
Das Hoteliers-Ehepaar wohnt zwar am Starnberger See, aber heimisch fühlen sich die beiden auch hier. Im Achental-Ressort haben sie eine eigene Suite, auch im Chiemgauhof übernachten sie immer wieder. Auf die Frage, woher diese Liebe für die Region kommt, antwortet Ursula Schelle-Müller einfach mit einem verträumten Blick auf den Chiemsee.
„Der Chiemgau hat dieses Understatement, diese Entspanntheit. Hier ist man den Bergen sehr nahe, hat aber auch diese Weite. Der Chiemsee ist für mich natürlich das Herzstück des Chiemgaus. Die Inseln – ich liebe die Fraueninsel –, und natürlich auch das Schloss Herrenchiemsee. Es ist ein Geschenk, dass unser Ludwig so viele fröhlich kreative Bauwerke realisiert hat“, schwärmt Schelle-Müller: „Es gibt eine tolle Vielfalt im Chiemgau – und eine tolle Mischung an Menschen, die sich hier gesammelt hat.“ Dazu zählt sie neben den in Übersee ansässigen Künstlern, die sie mit einer ersten Ausstellung im Chiemgauhof fördert, auch die eigenen Mitarbeiter in ihren Häusern.
Mitarbeiter
werden gefördert
Das ist für sie auch ein wichtiges Geheimnis für den Erfolg des Müllerschen Hotel-Imperiums – egal, ob es um die Budget-Hotelkette Motel One oder die drei Luxus-Hotels im Chiemgau und Österreich geht. „Wir wissen, dass nur die Mitarbeiter am Ende die Gäste wirklich begeistern können. Es ist essenziell, dass man ihnen das Vertrauen schenkt, dass man sie motiviert, dass man ihre Arbeit wertschätzt“, so Schelle-Müller. Dazu zählt auch, dass in Grassau 48 Mitarbeiter-Wohnungen für ihre beiden Häuser im Chiemgau entstehen. Ansonsten seien Qualität und Leidenschaft Grundbedingungen für den Erfolg in der Hotellerie: „Man muss leidenschaftlich gerne Gastgeberin sein. Immer aus Sicht der Gäste denken. Man möchte, dass es den Gästen gut geht, dass sie eine gute Zeit haben, dass sie es genießen.“
Und was genießt Ursula Schelle-Müller, nachdem sie aus dem operativen Geschäft bei Motel One ausgestiegen und der Chiemgauhof eröffnet ist? Einfach mal Reisen zu können, die Karibik ist zum Beispiel ein Traumziel. Mehr Zeit für Familie und Hund zu haben. Oder einfach entspannt einen „Verlängerten“ im Chiemgauhof genießen, mit traumhaftem Blick auf den Chiemsee.