Urteil im Zweifel für Angeklagten

von Redaktion

Drei Jahre Haftstrafe für einschlägig vorbestraften Rosenheimer

Traunstein/Rosenheim – Zehn Jahre Gesamtfreiheitsstrafe forderte die Staatsanwältin vor dem Landgericht Traunstein für einen vierfach einschlägig vorgeahndeten 28-jährigen Rosenheimer, zwei Jahre mit Bewährung hingegen der Verteidiger. Die Zweite Jugendkammer mit Vorsitzender Richterin Jacqueline Aßbichler erkannte auf drei Jahre Freiheitsstrafe. Bezüglich der Vergewaltigung einer 19-Jährigen, die die Anklägerin im Plädoyer bejaht hatte, erteilte das Gericht Freispruch zu Lasten der Staatskasse.

Zum Auftakt der fünftägigen Hauptverhandlung hatte der Angeklagte mit Verteidiger Andreas Leicher zur Seite drei der vier ihm von Staatsanwältin Franziska Mitterer zur Last gelegten Tatkomplexe eingeräumt, nur die Vergewaltigung bestritten.

Finstere Vorgeschichte
des Angeklagten mit klaren Auflagen

Der 28-Jährige war 2019 vom Landgericht Paderborn wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie Kinderpornografie unter Einbezug von zwei weiteren Vorstrafen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren neun Monaten verurteilt worden, die er bis zum letzten Tag absitzen musste. Danach trat eine fünfjährige Führungsaufsicht bis September 2026 ein. Eine der Weisungen lautete, „keinen Kontakt zu weiblichen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren aufzunehmen“. Das Verbot erstreckte sich auch auf die sozialen Medien im Internet.

Entgegen dieser strafbewehrten Weisung nahm der 28-Jährige zwischen dem 28. Januar 2022 und dem 6. April 2024 laut Urteil 97 Kontakte zu insgesamt sieben Minderjährigen im Alter zwischen 13 und 17 Jahren auf. Es waren teils Beziehungen, mal mit, mal ohne persönlichen Kontakt, mal mit, mal ohne Geschlechtsverkehr. Außerdem spähte er in einem Fall Daten eines Opfers aus und verbreitete in einem anderen Tatkomplex jugendpornografische Bilder. Letztere Punkte gestand der 28-Jährige, nicht jedoch die Vergewaltigung der Auszubildenden am 20. oder 21. März 2024 in seiner Wohnung.

Über eine Dating-App hatten sich die beiden zwei Wochen vorher kennengelernt. In der Folgezeit hatten sie 20- bis 30-mal Sex. Zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Tat war die junge Frau müde und gab dem 28-Jährigen zu verstehen, sie habe keine Lust auf Geschlechtsverkehr. Dies soll der Angeklagte ignoriert haben. Die 19-Jährige schilderte kurz danach bei der Polizei, sie sei vergewaltigt worden und habe geweint. In einem der Chats, die das Gericht jüngst vorspielte, meinte sie: „Sowas ist nicht einvernehmlich. Sowas ist Vergewaltigung.“ Nach Überzeugung von Staatsanwältin Franziska Mitterer bestätigte sich in der Beweisaufnahme der gesamte Sachverhalt der Anklage. Hinsichtlich der Vergewaltigung habe die Geschädigte glaubhaft ausgesagt, widerspruchsfreie Angaben geliefert und nicht übertrieben. Nach dem aussagepsychologischen Gutachten einer Sachverständigen sei „eine Falschbelastung sehr unwahrscheinlich“. Mehrfach habe die junge Frau dem 28-Jährigen an jenem Abend verdeutlicht, keinen Sex zu wollen. Dazu die Staatsanwältin: „Es ist ganz klar. Nein heißt Nein.“ Der Angeklagte habe sich eine unsichere junge Frau ausgesucht, Grenzen überschritten und „keine Rücksicht auf ihren Willen genommen“. Als erwachsener Mann und erfahren als rechtskräftig verurteilter Straftäter kenne er „den Unterschied zwischen Ja und Nein“. Dass er sich geirrt habe, sei auszuschließen, so die Anklägerin.

Diesen Punkt stellte Verteidiger Andreas Leicher ins Zentrum seines Schlussantrags. Sein Fazit: „Mein Mandant hat kein einziges Mal eine Ablehnung seitens der Frau erkannt. Aus meiner Sicht waren sämtliche Sexkontakte einvernehmlich. Sie hat nicht klar artikuliert, dass sie keinen Geschlechtsverkehr wollte. Ein Nein ist ein Nein. Aber der Angeklagte muss ein Nein auch erkennen.“

Seit einem Jahr sitze der 28-Jährige inzwischen in Untersuchungshaft. Er sei laut einem Gutachten von Professor Dr. Michael Soyka aus München „kein Hangtäter“. Eine sozialtherapeutische Behandlung sei ausreichend. Worauf sich der Verteidiger genau bezog, blieb offen. Professor Dr. Soyka hatte seine Expertise nichtöffentlich erstattet.

Vergewaltigung ist
laut Gericht „nicht sicher bestätigt“

Eine Vergewaltigung sei „nicht sicher bestätigt“, unterstrich die Vorsitzende Richterin im Urteil. Ein „Vielleicht“ reiche nicht aus. Die 19-Jährige und der Angeklagte hätten eine Beziehung geführt. Die junge Frau habe sich mit dem Mann ins Bett gelegt und „gekuschelt“.

Einen „eindeutigen Willen“ der Frau, keinen Geschlechtsverkehr zu haben, könne man durchaus erkennen. Man könne die Verhaltensweisen aber auch anders auslegen. Die Kammervorsitzende machte klar, man habe der Zeugin schon Glauben geschenkt. Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ (übersetzt: „im Zweifel für den Angeklagten“) könne die Kammer aber keine Vergewaltigung annehmen.

Angesichts der Vorstrafen gebe es keine Möglichkeit, in den Bereich einer Bewährungsstrafe zu kommen. Dem 28-Jährigen legte Jacqueline Aßbichler ans Herz, dringend eine sozialtherapeutische Therapie zu absolvieren: „Sie haben eine Tendenz, gegenüber jungen Frauen Dominanz und Übermacht auszuüben.“

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