Griesstätt/Bad Aibling/Gars – Die jüngst aufgedeckten Tierdramen in Griesstätt und Bad Aibling sorgten für Entsetzen und Bestürzung in der Region. Innerhalb kürzester Zeit wurden auf zwei landwirtschaftlichen Höfen im Landkreis Rosenheim zwei Fälle von massiver Tierwohlgefährdung bekannt. Ende März wurden auf einem Bauernhof in Griesstätt zahlreiche tote Rinder und Schafe entdeckt und nur zwei Wochen später wurden in Bad Aibling auf einem landwirtschaftlichen Anwesen ebenfalls mehrere tote Rinder gefunden, wie das Landratsamt Rosenheim mitgeteilt hatte.
In beiden Fällen wurde die Behörde durch einen anonymen Hinweis aus der Bevölkerung auf die Missstände aufmerksam. Die Staatsanwaltschaft Traunstein hat die Ermittlungen eingeleitet, diese dauern weiterhin an, wie die Ermittlungsbehörde auf Anfrage mitteilt.
Bekannter Fall war ein „menschliches Drama“
Auch Günter Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbands (BBV), sind die beiden Fälle bekannt. Im Gespräch mit dem OVB auf der Garser Au-Dult berichtet er über einen ähnlichen Fall in seiner Heimat Mittelfranken, den er vor einigen Jahren mitbekommen hat. „Mein erster Gedanke damals war: Das ist völlig unnormal“, so Felßner. „Ich habe mich gefragt, wie so etwas geschehen konnte“, erinnert er sich noch gut. „Wir Landwirte sind Tierliebhaber, ansonsten würden wir diesen Beruf überhaupt nicht ausüben. Jeder Bauer liebt seine Tiere“, betont der BBV-Präsident. „Wenn Rinder in einem Stall verenden, müssen ein Schicksalsschlag oder Ähnliches dahinterstecken.“
Das sei auf dem Hof in Mittelfranken zumindest der Fall gewesen. „Ich bin mit der Geschichte des Landwirts vertraut, es ist ein menschliches Drama“, erklärt Felßner. „Ich möchte das Leid der Tiere nicht abtun, es ist schrecklich“, sagt er. „Trotzdem steckt meistens mehr dahinter. Möglicherweise eine Erkrankung des Landwirts, eine psychosoziale Problematik, Sucht.“
Mitunter stehe dem Bauern der Stolz im Weg. „Die Familien wollen es selbst schaffen. Wer gibt schon gerne zu, dass er Hilfe braucht?“, weiß der Bauern-Vorsitzende. „Es kann auch passieren, dass die Ehefrau sich beklagt, das Leben bestehe nur aus Arbeit – und plötzlich ist sie nicht mehr da“, erzählt er. Zudem mache der Preisdruck, unter dem insbesondere Milchviehhalter und Fleischerzeuger stehen würden, den Bauern zu schaffen. Gleichzeitig müssten die Landwirte Millioneninvestitionen stemmen. Es gebe viele Faktoren, die das Leben „ganz schnell ins Wanken bringen“, erklärt Felßner. Die Forderung nach mehr Kontrollen könne er nicht nachvollziehen. „Man kann nicht jeden Handgriff überprüfen“, verdeutlicht er. Diesen Ansatz finde er falsch. Vor allem, da Überbürokratisierung, Überforderung und der große Druck, der sowieso schon auf den Landwirten laste, erst recht dazu führen würden, dass „die Menschen zusammenbrechen“, ist Felß-ner überzeugt.
Sein Vorschlag: Kontrolle und Beratung, die derzeit getrennt voneinander abgehandelt werden, zusammenführen. „Die Idee des Nur-Kontrollierens ist falsch. Zahlreiche Bauern fürchten sich sogar vor den anstehenden Überprüfungen“, sagt er. „Sinnvoller ist es, wenn die Leute an die Hand genommen und gleichzeitig vertrauensvoll beraten werden“, schlägt der BBV-Präsident vor. Ein weiterer Schritt, den der Bauernverband unternommen hat, um den Landwirten unter die Arme zu greifen, ist das „MontagsTelefon“. Am Anfang der Woche haben Menschen aus landwirtschaftlichen Familien die Möglichkeit, anonym mit jemandem über die eigenen Sorgen und Gedanken ins Gespräch zu kommen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter hören zu, geben Impulse und Hilfestellung, erklärt Felßner.
Trotzdem findet der Bauern-Präsident, dass auch die Gesellschaft in der Pflicht stehe. „Wir sollten achtsam sein gegenüber unseren Mitmenschen“, meint er. „Wenn ich bemerke, dass sich jemand zurückzieht, sich verändert, öfter fehlt – bei Vereinstreffen, bei Dorffesten, beim Kirchgang – dann sollte man aufmerksam werden, nachfragen und möglicherweise Hilfe anbieten“ – selbst, wenn es nur ein Hinweis auf das „MontagsTelefon“ sei, so Felßner.
Die Fälle in Mittelfranken, Griesstätt und Bad Aibling sensibilisieren die Gesellschaft zwar dafür, aufmerksamer zu sein, grundsätzlich hält er es aber für falsch, Landwirte unter Generalverdacht zu stellen. „Früher war die Welt auf dem Dorf noch in Ordnung. Da war es auch okay, wenn ein Tier mal krank wurde. Das darf ja heutzutage überhaupt nicht mehr sein, dabei ist es doch völlig normal. Wir Menschen werden schließlich auch krank“, so Felßner.
„So etwas dürfen
wir nicht dulden“
Solche Vorfälle würden zudem Tieraktivisten als Rechtfertigung nutzen, um Stalleinbrüche zu legitimieren, wie der BBV-Präsident schon am eigenen Leibe erfahren hat, als am 24. März Tieraktivisten von „Animal Rebellion“ seinen Hof attackierten. „Keiner hat das Recht, einfach in einen Stall einzubrechen, nur weil derjenige den Verdacht hat, dass vielleicht etwas nicht stimmt“, betont er. So etwas könne gemeldet und von den zuständigen Behörden überprüft werden. Das Verhalten von „Tiergegnern“, wie Felßner sie bezeichnet, sei anti-demokratisch. „So etwas dürfen wir nicht dulden“, verdeutlicht er.