Traunstein/Bernau/Rosenheim – Die Meldung über den entflohenen Häftling sorgte am Wochenende für Aufsehen, auch wenn er schon einen Tag nach seiner Flucht geschnappt und zurück in die JVA Bernau gebracht wurde. Doch die Art und Weise, mit der sein „Ausflug“ zu Ende ging, damit dürften sowohl der Häftling als auch die Polizei nicht gerechnet haben. Denn mit Michael Spessa war es ausgerechnet ein Polizist, der in seiner Freizeit auf den flüchtigen Straftäter aufmerksam wurde. „Das war großes Glück“, betont der Beamte. Der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd hatte am Wochenende Bereitschaftsdienst und war dementsprechend mit dem Fall vertraut. Er wusste, dass der 35-Jährige eine akute Beinverletzung erlitten und deswegen zu einer Operation in einer Traunsteiner Klinik gebracht wurde. Dafür waren Justizvollzugsbeamte der JVA Bernau, in welcher der Mann wegen Diebstahlsdelikten eine Haftstraße absaß, zuständig. Wie bereits am Sonntag klar wurde, flüchtete der Häftling „in einem günstigen Moment“ über die Notaufnahme ins Freie.
Zuerst war unklar, wo sich der Mann aufhielt, doch eine Zeugin beobachtete ihn am Sonntagmorgen im Ortsgebiet von Bernau-Felden. Spessa kannte ebenfalls die Personenbeschreibung und wie der Mann gesichtet wurde: circa 1,84 Meter groß, schwarze, circa 6 bis 7 Zentimeter lange Haare mit Geheimratsecken, dunkler Zehn-Tages-Bart und eine Narbe links neben dem Kehlkopf. Die Zeugin meldete, dass er ein rotes Baseballshirt, eine graue kurze Hose, ein dunkles Basecap und Crocs-Schuhe anhatte. Zudem war er mit einem schwarzen Fahrrad mit grüner Aufschrift unterwegs.
„Zum Glück war ich
mit dem Motorrad
unterwegs“
Genau so entdeckte ihn der Polizist, als sich dieser in seiner Freizeit am Sonntagnachmittag gegen 16.20 Uhr in der Nähe des Rosenheimer Kinopolis aufhielt. „Zum Glück war ich nicht mit dem Auto, sondern mit dem Motorrad unterwegs“, erzählt er.
Der Grund: Der Mann bog mit „seinem“ Fahrrad an der Ecke Gießereistraße/Kufsteiner Straße in einen Geh- und Radweg ab, der durch rot-weiße Poller für Autos unzugänglich ist. „Ich hätte ihn sonst aus den Augen verloren“, ist sich der Polizist sicher. Zu diesem Zeitpunkt stellte er längst fest, dass die Personenbeschreibung zutraf und er es tatsächlich mit dem JVA-Häftling zu tun hatte.
„Verfolgungsjagd“
nach kurzer
Risikoabwägung
Doch was jetzt? Die Kollegen um Verstärkung bitten und riskieren, ihn zu verlieren? Oder auf dem Motorrad sitzend die Verfolgung aufnehmen, in Zivilkleidung und ohne zu wissen, wie der Verfolgte handelt? Spessa musste schnell abwägen und entschied sich für Letzteres. Als der Mann bemerkte, dass ihn ein Motorradfahrer verfolgte, strampelte er kurzzeitig umso entschlossener in die Pedale. Doch es half ihm nichts, die „Verfolgungsjagd“ endete nach wenigen Metern, als ihn der Beamte in Zivilkleidung anhielt.
„Ich habe ihm mitgeteilt, dass wir eine Person suchen und die Beschreibung auf ihn zutrifft“, schildert Spessa das Gespräch. Daraufhin soll der Mann gleich entgegnet haben: „Ihr habt mich ertappt, ich bin’s.“ Der Polizist zeigte ihm dabei seinen Dienstausweis und legitimierte damit die vorläufige Festnahme.
„Ich hatte natürlich keine Sachen dabei, also habe ich die Polizeiinspektion Rosenheim alarmiert. Die Kollegen kamen auch sofort, weil wir nicht wussten, wie der Mann reagieren würde.“
Doch der Häftling leistete keinen Widerstand, er nahm das Ende seiner vorzeitigen „Spazierfahrt“ und damit seinen gescheiterten Fluchtversuch hin. „Er war völlig perplex“, erinnert sich Spessa.
Dass sich der Mann in Rosenheim aufhielt, dafür gab es übrigens „keine Anhaltspunkte“. „Da war Kommissar Zufall am Werk und wir hatten ganz großes Glück, dass ich ihn entdeckt habe“, macht der Pressesprecher klar. Trotzdem – oder gerade deswegen – will er sich die Festnahme nicht auf die eigene Fahne schreiben.
„Autos, Helikopter, Spürhunde: Wir haben wirklich mit allem, was uns zur Verfügung stand, nach dem Mann gesucht. Ich will mir daher nicht alleine den Erfolg zuschreiben, denn es waren landkreisübergreifend wirklich sehr viele Kollegen an der Fahndung beteiligt. Und für solche Situationen ist man einfach Polizist, auch in der Freizeit“, findet Spessa.
Warum sich der Mann trotz der laufenden Fahndung und des eingesetzten Großaufgebots der Einsatzkräfte radelnd durch die Rosenheimer Innenstadt bewegte, darüber kann Spessa nur mutmaßen. Doch wie der Polizist verrät: Dumm war das Verhalten keinesfalls. „Wenn man sich in der breiten Masse bewegt, ist das gar nicht mal so ungeschickt. Ob ich mir jetzt eine Innenstadt oder lieber das Land zur Flucht ausgesucht hätte, weiß ich aber auch nicht“, gibt er mit einem Schmunzeln zu.
Und auf die Frage, warum die Polizei nicht mit einem Foto nach dem Mann fahndete, sagt er: „Wir sind an rechtliche Vorgaben gebunden, um mit einem Bild an die Öffentlichkeit zu gehen, und die waren einfach nicht erfüllt.“ Marcel Sowa