Rosenheim – Was trifft‘s am besten: Chaos, Firmendschungel oder Fass ohne Boden? Vielleicht bezeichnet man FlexiCamper einfach als Geldverdunstungsmaschine. FlexiCamper verlor viel Geld nicht auf einen Schlag, es waren vermutlich laufende Kosten, die das aufgeblähte Unternehmen am Ende ruinierten und damit Kunden-Anzahlungen und Kredite vernichteten.
Woher das Geld im einzelnen herkam, wohin es abfloss: Womöglich wird das nicht genau zu klären sein. Das zeigte sich am vergangenen Mittwoch am Landgericht München. Dort müssen sich Siegfried H. und seine Lebensgefährtin Jessica K. verantworten. Unter anderem wegen Insolvenzverschleppung und gewerbsmäßigen Bandenbetrugs sowie Kredit- und Subventionsbetrugs.
Aussagen zeichnen
chaotisches Bild
Was kann die Polizei zur Aufklärung beitragen, was die Berichte von Zeugen? Am zweiten Tag des Prozesses ergab sich aus den Aussagen eines Kriminalpolizisten aus Rosenheim ein vollkommen chaotisches Bild der Firma. Alles Wirtschaftliche abzuarbeiten, sei schier nicht möglich gewesen, sagte der Beamte, der bei den FlexiCamper-Nachforschungen als Sachbearbeiter mitwirkte.
Im Mittelpunkt des Durcheinanders: Siegfried H. Der heute 62-Jährige hatte seine ebenfalls angeklagte Lebensgefährtin Jessica K. lediglich als formelle Geschäftsführerin von FlexiCamper installiert. Vom Hintergrund aus lenkte er die Geschäfte. Er führte sich nach Schilderungen von Angestellten als Firmenverantwortlicher auf. Er gab Anweisungen, traf alle triftigen Entscheidungen. Ganz so, wie es seinem Ego schmeichelte. Siegfried H. habe es nicht aufs Geld abgesehen, „er braucht das Gefühl, der große Boss und Macher zu sein“. Das habe ihm Jessica K. erzählt, sagte der Beamte.
Quittungen, Abrechnungen, stimmige Bilanzen? Nicht so wichtig. Preise setzte der verkappte Chef nach der Formel Auge mal Pi fest. Der Kripo-Beamte zitierte aus Vernehmungen eines Mitarbeiters. Demnach ließ H. im Internet checken, für welches Geld denn ein Wohnmobil dieses oder jenes Typs so angeboten werde. Die Preise aus dem Netz unterbot er dann einfach – wohl, um Kunden anzulocken. Auch gewährte FlexiCamper Rabatte – umso größer, je höher die Anzahlung.
Polizist berichtet von
154 Geschädigten
Das zog offenbar. Von 154 Fällen, in denen Kunden Geld angezahlt, meist aber kein Fahrzeug erhalten hätten, berichtete der Polizeibeamte. Nach den Ermittlungen der Polizei dürfte sich der Schaden für Kunden, Banken und die öffentliche Hand auf gut 13 Millionen Euro summieren. Alles weg? Wohl zumindest der Großteil. „Es ist vermutlich so gewesen, dass der Großteil der Gelder im allgemeinen Geschäftsbetrieb aufgegangen ist“, sagte der Ermittler.
Alles sei groß angelegt gewesen, mit viel Personal. Auch die Filialen – der Firmensitz befand sich erst in Rosenheim, wanderte dann nach Rohdorf, eine Filiale gab es unter anderem aber auch in Frasdorf – hätten jeweils beträchtliche Kosten verursacht. Was wann wo genau verrechnet wurde, konnte der Rosenheimer Polizeibeamte häufig nicht sagen. Er sprach auffällig oft von „Schätzungen“. Sogar der Buchhalter von FlexiCamper habe ihm berichtet, dass oft Belege gefehlt haben. Die Buchführung sei nach dessen Worten fehlerhaft und ganz und gar nicht ordnungsgemäß gewesen, sagte der Rosenheimer Hauptkommissar aus.
Was hielt diesen
Betrieb am Laufen?
Der besagte Buchhalter legte nach der Mittagspause einen grotesken Auftritt hin. Karsten H., gekommen aus Rothenburg an der Wümme, fast 750 Kilometer entfernt, machte von seinem Recht auf Verweigerung der Aussage Gebrauch. Er wolle allerdings auch nicht vergebens gereist sein, sagte H., er stelle daher eine Aussage in Aussicht – für ein Entgegenkommen in seinem eigenen Verfahren. Das Angebot provozierte unterdrücktes Gelächter bei den Verteidigern. Er sei nicht dazu befugt, über Einstellung von Ermittlungsverfahren oder dergleichen zu verhandeln, gab wiederum Richter Martin Meixner freundlich lächelnd zurück. „Ich danke Ihnen vielmals für die Mühe, die Sie sich gemacht haben.“
Was hielt den Betrieb überhaupt zwischen 2019 und 2023 am Laufen? FlexiCamper nahm Anzahlungen für versprochene Wohnmobile entgegen, die dann nicht oder ohne Papiere ausgeliefert wurden. H. ließ über Jessica K. Kredite bei Banken aufnehmen. Und die Firma beantragte erfolgreich dreimal Corona-Hilfen. Der Weg des Geldes ist verschlungen, schließlich gebot H. auch über ein Geflecht von Tochterfirmen, die – wie der Vorgänger von FlexiCamper – schon während seiner Pleite mit dem Agrarkonzern KTG ins Register eingetragen worden waren. Genau diese KTG-Pleite macht H.s Taktik zum Stopfen von Löchern besonders deutlich. Die Staatsanwaltschaft in Hamburg hatte die Ermittlungen gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. H. zog daraufhin Geld von FlexiCamper ab, buchte es auf das Konto einer Tochterfirma und überwies es von dort auf das Konto der Hamburger Behörde.
Der Rest des Geldes ist wohl von einigen Angehörigen zusammengetragen worden. Ein anderes Beispiel für H.s Praktiken: Corona-Hilfen wurden als Erlöse verbucht, um den Banken ein florierendes Geschäft vorzugaukeln.
Finanzjongleur mit
zwei linken Händen?
Am Ende ging alles schief. Wie bei all den Kosten und Zinsen zu erwarten war. Siegfried H. muss den Ermittlern manchmal wie ein mäßig geschickter Jongleur vorgekommen sein, dessen Fingern ein Ball nach dem anderen entglitt. Bis er mit leeren Händen dastand. Ein kühl kalkulierender Gangster mit Gewinnstreben sieht vermutlich anders aus.
Siegfried H. sei während der Ermittlungen kooperativ gewesen, sagte der Kripo-Mann noch. „Er war sehr bemüht, immer Rede und Antwort zu stehen.“