Rohrdorf/München – Er ist katholischer Pfarrer, aber ein wenig anders als die anderen: Rainer Maria Schießler, 64 Jahre alt, gebürtiger Münchner. Schießler lebt trotz Zölibat in einer Lebensgemeinschaft mit einer Frau, setzt sich für die gleichgeschlechtliche Ehe ein und möchte Frauen in der Kirche nach vorn bringen. Seit über 30 Jahren ist er Pfarrer an der Kirche St. Maximilian in München, war aber auch einige Jahre als Kaplan in Rosenheim tätig. Warum ihn diese Zeit sehr geprägt hat und was sich in der Kirche ändern muss, erzählt er im OVB-Interview.
Sie werden oft als „unkonventionell“ beschrieben. Was genau unterscheidet Sie von anderen katholischen Pfarrern?
Das kann ich gar nicht sagen. Irgendetwas muss zwar anders sein, aber es ist nicht so, dass ich eine andere Vorstellung von Kirche oder Glauben habe. Ich mache nichts anderes als das, was ich schon von klein auf gelernt habe. Vielleicht ist es aber irgendwie unmittelbarer. Weniger mit Etikette oder Vorschriften verbunden.
Wie kam es dazu?
Das hat mit Rosenheim zu tun. Rosenheim war sozusagen meine Kinderschule als Priester. Ohne die vier Jahre von 1987 bis 1991 dort wäre ich mit Sicherheit ein anderer Priester geworden. Ich habe damals gelernt, wie wichtig es für die Seelsorge ist, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und nicht zu beurteilen oder gar zu verurteilen, stattdessen lieber mitzuleiden und anzunehmen.
Sie leben mit einer Frau in einer Lebensgemeinschaft. Auch eher ungewöhnlich für einen Pfarrer.
Ich habe eine solche Gemeinschaft aufbauen dürfen, die mich über Jahrzehnte hinweg getragen hat. Das macht man nicht als Mittel zum Zweck. Sondern du gerätst einfach hinein und spürst, dass du für diese Gemeinschaft verantwortlich bist. Ich habe dort unwahrscheinlich viel Halt und Nähe erfahren. Ohne diese Beziehung wäre ich nicht der geworden, der ich heute sein darf.
Widerspricht das nicht dem Zölibat?
Der Zölibat stand nie zur Diskussion. Er ist eine freiwillige Verpflichtung zur Ehelosigkeit, die ich als junger Mann eingegangen bin und damit darauf verzichtete, eine Familie zu gründen. Aber ich habe mich nicht hingestellt und gesagt, ich bin gerne alleine. Es geht darum, dass man mit seiner Lebensweise in Gemeinschaft mit anderen Menschen verbunden ist. Und diese Gemeinschaft habe ich Gott sei Dank gefunden.
Werden Sie deshalb von Kollegen manchmal kritisiert?
Nein, denn es ist eine ganz private Angelegenheit. Bei der Diakonweihe vor 40 Jahren habe ich die Ehelosigkeit versprochen und ich habe es gerne getan. Es ist meine Verantwortung, das anständig umzusetzen. Es war mir immer wichtig, dass wir niemandem etwas vormachen. Auch nicht uns selbst. Ich werde immer wieder gefragt, warum die Kirche den Zölibat nicht abschafft. Aber warum sollte man ihn abschaffen? Wir müssen stattdessen immer Neues für die Kirche hinzugewinnen, sie ausbauen und bereichern.
Was muss sich denn in der Kirche ändern?
Zum Beispiel die Sexualmoral. Sexualität ist doch ganz anders als vor 50 oder 100 Jahren. Dazu gehört etwa der Umgang mit Homosexuellen. Es sind Menschen, die sich genauso wie alle anderen Nähe, Liebe und Zärtlichkeit wünschen. Das ist doch keine Sünde. Auch die Unterscheidung zwischen Klerikern, also den Geistlichen, und Laien, allen anderen Mitgliedern der Kirche, sollte es so nicht geben. Der Laie ist kein Amateur und der Kleriker kein Profi. Wir sind alle Profis.
Bewegt sich die Kirche dabei in die richtige Richtung?
Auf jeden Fall. Vor allem in einem guten Tempo. Man ist mittlerweile viel mehr im Gespräch, redet über den Glauben. Wir gehen voll und konsequent auf den verheirateten Priester zu. Und das ist kein Verlust, sondern ein Gewinn. Aber auch die ökumenische Frage: Dass wir eine Kirche sind, verbunden mit unseren evangelischen Brüdern und Schwestern. Das sieht man auch beim neuen Papst Leo dem XIV. Er hat in seiner ersten Rede gesagt, dass wir eins sein müssen, damit die Welt von uns Einheit lernen kann.
Was würden Sie sich denn vom neuen Papst wünschen?
Dass er einfach den Weg weitergeht, den er bei Franziskus gelernt hat. Das Programm hat er doch gleich im ersten Satz ausgesprochen: „Der Friede sei mit euch allen“ – und zwar mit allen. Ich bin überzeugt, dass es sein Thema ist, die Gemeinschaft wieder mehr in den Vordergrund zu rücken und die Menschen zusammenzubringen. Er soll nicht Franziskus imitieren, sondern ganz er selbst sein und seine eigene Richtung vorgeben. Von Franziskus haben wir gelernt, wie wichtig soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit ist. Von Papst Leo XIV. können wir lernen, den Frieden in den Blick zu nehmen.
Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Kann man diese Entwicklung noch stoppen?
Menschen, die gehen, muss man natürlich an ihre persönliche Verantwortung erinnern. Es ist mein tägliches Brot, mit diesen Menschen zu sprechen. Ich frage sie immer, warum sie die Kirche denn verlassen wollen. Viele sagen, weil sich in der Kirche nichts ändert. Aber gerade dann sollte man ja nicht austreten, sondern dabeibleiben und versuchen, etwas zu bewirken. Kirche ist nicht einfach eine Dienstleistung, Kirche ist eine Aufgabe.
Warum sind Sie Pfarrer geworden?
Das ist einfach Prägung, da wächst man hinein. Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der das Thema Kirche noch sehr beeindruckend war und vor allem mich beeindruckt hat. Dann habe ich gesagt, das möchte ich gerne weitermachen.
Wenn eine Frau so empfindet, kann sie dem Wunsch aber nicht nachgehen.
Das stimmt. Deshalb bin ich jemand, der der Kirche wirklich auf die Füße tritt. Wir reden hier von Diskriminierung. Wenn eine Frau die Berufung zum Priester spürt und die Kirche sagt, das geht nicht, dann ist das einfach falsch. Sie spürt es ja. Der Kirche muss klar werden, dass sie niemandem vorschreiben darf, wie er empfindet und wie er mit seiner Berufung umgeht. Darüber müssen wir reden.
Und wie macht man weiter, wenn man dabei auf taube Ohren stößt?
Die Ohren durchblasen. Lästig werden. Immer weitermachen, das ist mein Appell. Das sage ich zu den Frauen, die damit zu mir kommen.
Im Oktober kommen Sie nach Rohrdorf. Worauf können sich Besucher freuen?
Auf einen munteren, geselligen, aufrüttelnden Abend mit Tiefgang, Witz und Humor.
Interview: Magdalena Aberle