„Blackouts und Kontrollverlust“ – 29-Jähriger vor Gericht

von Redaktion

Polizisten und Sanitäter angegriffen, Sachbeschädigungen, Beleidigungen – Unterbringung steht im Raum

Traunstein/Kolbermoor/Rosenheim/Wasserburg – Ein seit Langem psychisch kranker Mann leistete sich zwischen 2023 und 2025 eine Reihe von strafbaren Delikten. Tatorte waren Rosenheim, Brannenburg, Kolbermoor und Wasserburg. Die Neunte Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Barbara Miller beleuchtet die Vorwürfe seit gestern in einem Sicherungsverfahren. Bestraft werden kann der 29-Jährige nicht – weil er ob einer schweren psychischen Erkrankung nicht schuldfähig war. Der Prozess wird am morgigen Freitag um 9 Uhr fortgesetzt.

Alkohol und Drogen
meist mit im Spiel

Alkohol und Drogen kamen bei den Vorfällen meist hinzu. Staatsanwältin Anne Klug legt dem Beschuldigten drei Sachbeschädigungen am 18. Juli 2023 in Brannenburg zur Last – einen Tritt gegen einen Pkw BMW mit einem Schaden von über 3300 Euro, ein runtergefeuerter Blumentopf in einem Blumengeschäft mit einem Schaden von 150 Euro sowie eine demolierte Fußgängerampel mit einem Schaden von 100 Euro. Auf den Notruf eines Zeugen traf eine Streife den aggressiven Randalierer gegen 17.49 Uhr auf Höhe Kufsteiner Straße an. Als er gefesselt werden sollte, wehrte er sich mit Händen und Füßen. Verletzt wurde niemand.

Vier Beamte der Polizeiinspektion Rosenheim beorderte die Einsatzzentrale am Abend des 29. Mai 2024 zu einer Adresse in Rosenheim. Der verwirrte, aggressive Beschuldigte sollte von Rettungssanitätern ins Bezirksklinikum in Gabersee gebracht werden. Der 29-Jährige wurde auf einem Krankenstuhl fixiert. Als er das Ziel „Gabersee“ hörte, rastete der Mann aus und trat nach dem Helfer. Der war danach nicht mehr dienstfähig. Eine Strecksehne am linken Ringfinger war gerissen. Ein Tritt gegen eine Polizeihauptmeisterin ging glücklicherweise ohne Verletzung ab. Worte wie „Scheiß-Bullen“ und „ich werde euch alle töten“ sowie massive Beleidigungen während der Fahrt ins Bezirksklinikum schlossen sich an.

Blinde Gewalt bis hin
zu Morddrohungen

Zwei Beamte schickte die Einsatzzentrale am 19. September 2024 nach Kolbermoor. Dort weigerte sich ein Kunde, eine Apotheke zu verlassen. Die Polizisten fixierten den 29-Jährigen auf einer Trage und begleiteten ihn im Krankentransportwagen zum Bezirksklinikum in Wasserburg. Unterwegs gelang es dem Patienten, ein Bein zu befreien und um sich zu treten. Das Fahrzeug hielt am Straßenrand an. Mithilfe von Kollegen wurde der sich wehrende 29-Jährige wieder gesichert. Bei der Ankunft in der Klinik mussten sich die Beamten noch anhören: „Ich schlag dir die Fresse ein.“

Beamter bei einer
Durchsuchung verletzt

Beim nächsten Mal fiel er am 30. Oktober 2024 in der Farrenpointstraße in Kolbermoor unangenehm auf. Er empfing die Polizei mit Schimpfwörtern, teilte Tritte aus bei der körperlichen Durchsuchung und sperrte sich gegen das Einsteigen in den Dienstwagen. Bei der Fahrt nach Gabersee drohte er mit einem „Russen“, den er kenne: „Der bringt euch alle um.“ Dann berief er sich auf „jemand von der Mafia: Die machen euch alle kalt“. Böse Beschimpfungen folgten. Am Schluss der Fahrt erhielt ein Polizist einen heftigen Stoß mit dem Kopf gegen sein Kinn. Der Beamte trug eine Prellung und erhebliche Schmerzen davon.

Einen Einkaufsmarkt in Kolbermoor wollte der Beschuldigte am 10. Dezember 2024 verlassen – allerdings ohne seine Waren zu bezahlen. Die Dinge in seinem Rucksack lösten daraufhin einen Alarm aus. Ein Angestellter nahm die Verfolgung auf und konnte den Dieb auf dem Parkplatz am Arm ergreifen.

Der 29-Jährige schrie laut und riss den Geschädigten zu Boden. Der Zeuge trug eine Rippenprellung und Schmerzen davon. Zwei andere Angestellte des Geschäfts eilten herbei und packten den Mann, um ihn an der Flucht zu hindern. Eine Mitarbeiterin hielt der Dieb fest an den Handgelenken und schubste sie. Auch sie berichtete hinterher von Schmerzen.

Im Büro der Marktfiliale griff der 29-Jährige im weiteren Verlauf erneut einen seiner vorherigen Verfolger an. Er würgte ihn mit den Händen und der Armbeuge. Dem Opfer wurde schwindelig. Die Mitarbeiterin lief aus dem Büro und holte einen Kunden zu Hilfe.

Tritt in den Bauch –
und das mit Anlauf

Diesem trat der Beschuldigte „mit Anlauf in den Bauch“, wie es in der Antragsschrift heißt, und schlug ihm eine Faust ins Gesicht. Er riss den Geschädigten zu Boden und wollte ihn würgen. Der 29-Jährige flüchtete dann jedoch und landete letztlich aber doch wieder in der Klinik in Wasserburg. In dieser Klinik hat der 29-Jährige seit 2014 bereits 32 stationäre Aufenthalte aufgrund zivilrechtlicher Maßnahmen hinter sich. Der jetzige 33. Aufenthalt geht auf eine erstmals forensische Einweisung zurück.

Verteidiger Timo Scharrmann aus Essen verlas gestern namens seines geständigen Mandanten eine Erklärung. Dieser könne sich größtenteils nicht erklären, „wie es dazu kommen konnte“. Entgegen dem Eindruck aus der Antragsschrift wolle der 29-Jährige niemand schaden. An verschiedene Punkte der Antragsschrift fehle ihm jedwede Erinnerung.

„Muss mich schrecklich
verhalten haben“

Drogen und Alkohol hätten zusammen mit der psychischen Krankheit zu „Blackout und Kontrollverlust“ geführt. Sein Mandant sage: „Ich bedauere alles. Ich muss mich schrecklich verhalten haben. Ich würde mich freuen, in eine sozialtherapeutische Einrichtung zu kommen und an mir arbeiten zu können.“

Das Bundeszentralregister wies 14 Einträge ab dem Jahr 2020 auf. Die Verfahren der Staatsanwaltschaft wurden jedoch sämtlich wegen Schuldunfähigkeit eingestellt.

Die Kammer hörte am gestrigen Mittwoch viele Zeugen an. Sie bestätigten durchweg die Vorwürfe der Staatsanwältin. Eine Frau aus Brannenburg beschrieb den 29-jährigen Mann so: „Er stand vollkommen neben sich. Er war nicht zu bändigen. Es war bedrohlich.“ Monika Kretzmer-Diepold

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