Rosenheim – Rimsting, Griesstätt, Bad Aibling: Diese Ortsnamen stehen jüngst auch für Tiertragödien. Wie man derlei vermeiden und Bauern helfen kann, darüber wollen die Grünen am heutigen Montag in Rosenheim informieren. Initiator des Vortrags- und Diskussionsabends ist der Grünen-Landtagsabgeordnete Paul Knoblach aus Schweinfurt. Warum sich in Rosenheim schlimme Vorfälle so häufen und warum die Veterinärämter mit den Kontrollen nicht hinterherkommen, das beantwortet Knoblach, selbst ehemaliger Landwirt im Nebenerwerb, im OVB.
Sie kommen aus Unterfranken. Warum veranstalten Sie ausgerechnet hier einen Diskussionsabend über Tierleid?
Weil sich dort in jüngster Zeit Tiertragödien ereignet haben. Solche Vorfälle gibt es nicht nur in Rosenheim und Umgebung, klar. Aber schlimmerweise gab es dort innerhalb kurzer Zeit viele Fälle.
Worauf führen Sie die Häufung zurück?
Warum Rosenheim so hervorsticht, kann ich nicht plausibel sagen. Ich erkläre es mir so, dass das eine Region mit besonders viel Rinderhaltung ist.
Und das in besonders vielen Kleinbetrieben.
Richtig, der Landkreis Rosenheim ist eine Region mit besonders kleinteiliger Landwirtschaft. Es ist dann eben doch nicht so, dass klein per se gut ist. Kleine wie große Betriebe können gut sein. Oder auch das Gegenteil. Auch das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Ist es für kleine Betriebe schwieriger, effizient zu arbeiten?
Es gibt einen Fall genau andersrum, in Bad Grönenbach. Da ist der größte Rinderhalter Bayerns wegen Misshandlung von Kühen in die Schlagzeilen geraten.
Tatsächlich aber haben manchmal kleine Höfe große Schwierigkeiten.
Es könnte sich um Betriebe handeln, die sich über lange Zeit nicht mehr fortentwickelt haben. Die vielleicht nicht mehr investieren konnten oder wollten, weil die Generationenfolge nicht mehr funktionierte. Das höre ich immer mal: In großen Betrieben ist der Fortbestand eher gesichert als bei kleineren Betrieben. Was nicht heißt, dass die kleinen Betriebe sich alle schlecht organisieren. Aber wenn die Perspektive so unsicher ist, ist die Motivation für Investitionen begrenzt.
In kleineren Betrieben braucht nur mal der Bauer ausfallen, und schon ist Personalnotstand.
So ist es. Und Bauern sind oft eher Einzelkämpfer. Nicht, weil wir Menschen meiden, sondern weil es unser Gewerk eben so mitbringt. Wir tragen Verantwortung für unsere Betriebe und vieles können oder müssen wir mit uns selbst ausmachen oder mit der Familie. Im Kreis von Kollegen an anderen Arbeitsplätzen ist man immer wieder in der Lage, sich auszutauschen. Das ist in bäuerlichen Betrieben nicht so.
Nach der Tragödie um den verwahrlosten Stall in Rimsting mit über 30 toten Tieren konnte man vor Gericht einen Bauern erleben, der so gar nicht wie ein Tierquäler, sondern eher überfordert und depressiv wirkte. Überlastung und Burnout, wie oft gibt es das in der Landwirtschaft?
Sehr oft. Ich kann Ihnen keine konkreten Zahlen nennen. Aber so ziemlich alle Leute, die ich kenne, die aus verschiedensten Gründen immer wieder mit landwirtschaftlichen, Tiere haltenden Betrieben zu tun haben, sagen das. Ohne dass es eine Statistik gäbe. Ja, das ist ganz häufig mit großem menschlichen Leid verbunden. Es gibt Studien aus Österreich, wonach Menschen in der Landwirtschaft signifikant von Suiziden betroffen sind.
Ist das zuletzt schlimmer geworden?
Ich glaube ja.
Wie kann man helfen?
Es gibt Hilfsstrukturen und Angebote. Zum Beispiel die Landwirtschaftliche Alterskasse, die Personal vermittelt und Betriebshelfer auf die Höfe schickt, wenn die Frau auf dem Betrieb mal nicht mitarbeiten kann. Es gibt schon Möglichkeiten, Personal zu stellen. Diese Stellen sind allerdings dünn gesät. Es ist nicht selbstverständlich, dass das immer sehr schnell gelingt. Aber erst mal versuchen natürlich die Betriebe selbst, sich zu helfen. Die Landwirte steigern ihr Arbeitspensum – manchmal leider auch bis zur Erschöpfung.
Gibt es auch psychologische Anlaufstellen?
Es gibt Beratungsstellen der Kirchen oder auch der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Aber den ersten Schritt muss man als Bauer natürlich selbst tun. Man muss in irgendeiner Weise in Kontakt zu diesen Stellen treten und erklären: Ich habe ein Problem, können Sie mir helfen? Aus Kenntnis solcher Fälle weiß ich, dass dieser erste Schritt der schwerste überhaupt ist.
Liegt das am Selbstbild des Bauernstandes?
Der Bauer, der ist unverwüstlich, der kann auch viel arbeiten, und kann viel Verantwortung tragen. Das ist das Bild. Ob da in jedem Bauernhof die Faltblätter mit Hilfsangeboten aufliegen? Daran habe ich Zweifel. Da sagt doch jeder: Wir kriegen das hin, wir schaffen das. Aber dann kann sich alles ändern. Sagen wir, im Betrieb eines ledigen Bauern arbeiten zunächst noch die Eltern mit.
Nicht selten.
Ja. Doch dann stirbt ein Elternteil, und der andere Teil wird pflegebedürftig. So, jetzt ist der Junggeselle mit seinem Betrieb allein. Vielleicht kann er seinen Betrieb am Laufen halten, wenn es sich um einen Ackerbaubetrieb handelt. Schwierig ist das bei der Haltung von Milchvieh. Dann kommt oft irgendwann ein Kipppunkt.
Hat Ihre Partei, haben die Grünen den Bauern das Leben nicht erst schwer gemacht? Etwa mit dem Kampf gegen die Anbindehaltung?
Das glaube ich nicht. Wir wollen – und es gibt viele Bauern, die das genauso sehen wie wir –, dass mit unseren Tieren gut umgegangen wird. Die Bauern wissen auch, dass die Gesellschaft Fragen und Forderungen formuliert hat. Auch wenn es die Grünen nicht gäbe: Die Fragen gäbe es dennoch.
Kontrollieren die Veterinärämter ausreichend?
Davon gehe ich aus. Die Herrschaften sind qualifiziert – und sie machen gute Arbeit. Es mag Einzelfälle geben, da ist das vielleicht nicht so, aber davon will ich jetzt nicht sprechen. Diese Leute strengen sich an. Und sie sitzen oft zwischen allen Stühlen.
Inwiefern?
Sie haben gesetzliche Aufgaben zu erfüllen. Tierschutz hat Verfassungsrang. Doch Veterinärbehörden sind beinahe alle deutlich unterbesetzt. Zu anlasslosen Routinekontrollen kommt nahezu kein bayerisches Veterinäramt mehr.
Wie kann man da abhelfen?
Dass wir von jetzt auf heute die Stellenpläne auffüllen, bezweifle ich. Ob die Staatsregierung das überhaupt will, kann ich nicht abschätzen. Auf jeden Fall aber weiß ich, dass es einen großen Mangel an Studienabgängern gibt. Wir hätten die Leute also ohnehin nicht zur Verfügung. Wir müssen daher technische Möglichkeiten einsetzen. Die Tiergesundheitsdatenbank etwa. Das fordern Tierärzte schon lange. Dann könnten sich die Mitarbeiter in Veterinärämtern schon am Schreibtisch über Auffälligkeiten informieren. Etwa, wenn ein Betrieb innerhalb von zwei Jahren nur einen Kadaver an die Tierkörperbeseitigungsanlage liefert, dann aber innerhalb von wenigen Wochen gleich mehrere Tiere. Oder wenn eine Molkerei auf einmal mehr Bakterien in der Milch misst.
Wie bei dem Betrieb in Rimsting.
Richtig. Aber solange der Amtstierarzt davon nichts erfährt, wird das auch keine Folgen haben. Wir müssen die Prävention stärken. Dann könnte man Bauern helfen, bevor die Lage richtig schlimm wird. Aber davon höre ich aus der Staatskanzlei mit Ministerpräsident Söder und auch aus dem Hause Kaniber (Landwirtschaftsministerium, Anm. der Red.) sowie dem Umweltministerium unter Thorsten Glauber nichts. Als habe man Angst, dass der Verwesungsgeruch an den Fingern kleben bleibt, wenn man dieses Thema anpackt.
Interview: Michael Weiser