Rosenheim – Es war gerade einige Stunden her, dass Bayerns Innenminister Joachim Herrmann im Lagebild 2024 „Gewalt gegen Polizeibeamte“ die weiterhin hohen Zahlen von Angriffen im Freistaat vorgestellt hatte, als sich in Rosenheim ein weiterer Fall ereignete: Nachdem ein 31-jähriger Obdachloser am Donnerstagabend einen Platzverweis aufgrund einer Streiterei in der Frühlingstraße missachtet hatte und daraufhin in Gewahrsam genommen werden sollte, griff er einen 27-jährigen Polizisten an.
Laut Polizeibericht packte er den Beamten an den Haaren, versuchte ihn zu Boden zu reißen, fügte ihm „eine stark blutunterlaufene Risswunde an den Armen“ zu und schlug unter anderem gezielt mit der Faust auf ihn ein. Auch trat er mit den Füßen wild um sich und fügte dem Beamten so mehrere blutende Wunden an den Beinen zu.
Tat durch Body-Cam dokumentiert
Mithilfe weiterer Unterstützungskräfte konnte der Wohnsitzlose gefesselt, festgenommen und in eine Haftzelle der Rosenheimer Polizei gebracht werden. Einen Atemalkoholtest verweigerte er, eine Blutentnahme wurde durchgeführt.
Wie die Polizei mitteilte, konnten weite Teile des Tathergangs durch die mitgeführte Body-Cam der Einsatzkräfte dokumentiert werden. Der verletzte Polizist musste anschließend ambulant im Klinikum versorgt werden. Er ist bis auf Weiteres nicht dienstfähig. „Das ist schlimm genug, aber wir sind froh, dass er nicht stationär aufgenommen werden musste und dass die Body-Cam im Einsatz war“, sagte der stellvertretende Dienststellenleiter der Polizei Rosenheim, Robert Maurer, gestern gegenüber dem OVB. Aktuell wisse man nicht, wie lange der Kollege außer Dienst bleiben müsse. „Manchmal weiß man einfach nicht, was in den Köpfen vor sich geht“, rätselt auch Maurer.
Fälle wie dieser sind
„zum Glück selten“
Doch seien Taten wie diese in Rosenheim glücklicherweise die Ausnahme. Nichtsdestotrotz verdeutlicht der zweithöchste Stand an Verletzten im Freistaat Bayern 2024 (nach dem Höchststand im Jahr 2023) seit Beginn der statistischen Erfassung, dass im Laufe der Jahre die Bereitschaft, Einsatzkräfte zu verletzen oder Verletzungen zumindest in Kauf zu nehmen, deutlich gestiegen ist. Dies machte Innenminister Herrmann bei der Präsentation der neuesten Zahlen am vergangenen Mittwoch deutlich – auch wenn man 2024 bei der Gesamtzahl aller Delikte ein Minus von 6,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und das niedrigste Niveau seit 2017 verzeichnet habe.
Laut Lagebild verzeichnete das Polizeipräsidium Oberbayern Süd in seinem Zuständigkeitsbereich 2024 insgesamt knapp 650 Fälle von Übergriffen auf Polizeibeamte. Auf die Stadt und den Landkreis Rosenheim entfielen davon laut Pressesprecher Daniel Katz rund 140 Fälle. Im gesamten Bereich des Präsidiums kam es laut dem Bericht circa 430- mal auch zu körperlicher Gewalt gegen die Beamten. In Stadt und Landkreis Rosenheim waren davon rund 100 Kräfte betroffen.
„Unter den Fällen körperlicher Gewalt finden sich unter anderem Raub, Körperverletzung, Widerstand und der Straftatbestand ,Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte‘“, erläutert Katz gegenüber dem OVB.
In Stadt und Landkreis Rosenheim wurden bei Vorfällen dieser Art mehr als 40 Beamte verletzt. Dazu seien über 30 Beleidigungsstraftaten sowie weitere Straftatbestände gekommen.
Wie Pressesprecherin Sophia Froschmayer erklärt, befinden sich Gewalt, tätliche Angriffe und verbale Bedrohungen oder Beleidigungen gegen Polizeibeamte im südlichen Oberbayern nach wie vor auf erschreckend hohem Niveau. „Auch aus nichtigem Anlass und bei ganz alltäglichen Einsätzen kommt es immer wieder zu physischer oder psychischer Gewalteinwirkung auf unsere Kollegen. Das empfinden wir schlichtweg als inakzeptabel.“ Neben der jüngsten Attacke erinnert sie unter anderem an die Tat eines 35-jährigen Deutschen ohne festen Wohnsitz in Bernau 2023, der nach einem Diebstahl und anschließender Flucht einem Priener Beamten mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte. „Auch dieser musste ambulant im Krankenhaus behandelt werden und war vorerst nicht weiter dienstfähig.“
In Rott war ein Mann bei einer Fahrzeugkontrolle auf Beamte losgegangen und habe fixiert werden müssen. Auf der Dienststelle seien neben Beleidigungen auch Suizidäußerungen des Mannes gefallen. „Bei der Blutentnahme leistete er erneut massiven Widerstand und forderte die Polizisten auf, ihn zu erschießen“, schildert die Beamtin. Bei seinen Attacken hatte er zwei Polizeibeamte nicht unerheblich verletzt.
Natürlich gebe es für Polizeibeamte im Rahmen der Einsatznachbereitung auch jederzeit niederschwellige Angebote einer psychosozialen Notfallversorgung. „Führungskräfte der Bayerischen Polizei kommen hier mit Fingerspitzengefühl ihrer Fürsorgepflicht nach“, betont Froschmayer. „Aber auch mit der konsequenten Verfolgung relevanter Straftaten seitens der Staatsanwaltschaften, einer angemessenen Bestrafung von Gewaltstraftaten durch die Gerichte sowie vor allem mit einem Mehr an gesamtgesellschaftlicher Rückendeckung können und müssen wir unsere Polizistinnen und Polizisten vor tätlichen Angriffen und Gewalt besser schützen“, fordert die Sprecherin der Polizei.
Staatsanwaltschaft stellt Haftantrag
Dass man in Ermittlungsverfahren „relativ häufig“ mit tätlichen Angriffen auf Polizeibeamte zu tun habe, hatte jüngst die Staatsanwaltschaft Traunstein auf OVB-Anfrage bestätigt. Auch gegen den Angreifer vom Donnerstag ist laut Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte eingeleitet und Haftantrag durch die sachleitende Staatsanwaltschaft gestellt worden.