Rott – „Markus, zerstör mir nicht mein Rott“, steht auf einem Plakat, das das Konterfei von Bayerns legendärem Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß zeigt. Am Zaun zur Flüchtlingsunterkunft hängt ein Kranz, mit dem die Bürgerinitiative (BI) „Rott rottiert“ symbolträchtig das Grundgesetz zu Grabe tragen will.
Drei Stockbetten auf
zwölf Quadratmetern
Plakate mit Protesten gegen die Erstaufnahme-Einrichtung, in die ab Mitte Juli in zwei Stufen bis zu 270 Geflüchtete einziehen sollen, pflastern den Hof der benachbarten Spedition Hein. Hier ist auch die Box aufgebaut worden, in der die BI die Enge der Flüchtlingsunterkunft simulieren will: Drei Stockbetten mit sechs Schlafplätzen auf zwölf Quadratmetern Fläche. Dass die ersten Betten nebenan in der früheren Gewerbehalle schon stehen, ist durch ein Fenster zu sehen.
Doch der große Aufwand, den die BI betrieben hat, um für die Teilnahme an ihrem Experiment einer 24-Stunden-Übernachtung zu werben, war umsonst. Keiner der 18 geladenen Politiker und Entscheidungsträger lässt sich blicken. Die BI und ein paar Unterstützer bleiben unter sich: Gekommen sind lediglich Sepp Hofer und Barbara Stein von den Freien Wählern. Sie lassen sich zwar zum Probeliegen nieder, bleiben aber, wie erwartet, nicht über Nacht.
Alle geplanten Veranstaltungen am Sonntag wurden daher abgesagt. Die Enttäuschung ist „Rott rottiert“ deutlich anzumerken. „Wir wollten eigentlich darstellen, wie es ist, auf 3,5 mal 3,5 Metern miteinander leben zu müssen“, sagt Günther Hein. Das sei „menschenunwürdig“, wiederholt er. Tatsache ist: Das umstrittene Experiment ist im Vorfeld auch auf Kritik gestoßen. Die Rotter Unterkunft, gegen die die BI seit zwei Jahren kämpft, ist eine Erstaufnahme-Einrichtung. Sie entspricht den gesetzlichen Standards, hier sollen die Geflüchteten nur etwa drei Monate verweilen, bis sie dezentrale Unterkünfte beziehen können. Die Einrichtung soll außerdem die ungeeignete Unterbringung der Flüchtlinge in zwei Schul-Turnhallen im Landkreis beenden. Doch eine Einrichtung wie jene in Rott, beheimatet in einer ehemaligen Lampenfabrik, „geht gar nicht“, beharrt Hein. „Zu eng, zu dicht aufeinander würden die Menschen hier wohnen. Da seien Konflikte vorprogrammiert.
Dem Landratsamt, der Regierung von Oberbayern und auch Innenminister Joachim Herrmann seien Alternativen angeboten worden, betont Hein. Flächen für Containeranlagen, in denen 15 Quadratmeter Raum für zwei Personen möglich seien.
Stattdessen werde an der Gewerbehalle im Eckfeld festgehalten, direkt an der Ausfahrt einer Spedition, ohne ausreichend Freiflächen, wie die BI findet. Auch das Verwaltungsgericht, das einen Eilantrag der Gemeinde mit aufschiebender Wirkung für den vom Landratsamt genehmigten Bauantrag abgelehnt hatte, wolle die Realität nicht sehen, kritisiert Hein.
Scharfe Kritik
am Landrat
Er nimmt vor allem Landrat Otto Lederer ins Visier. Dieser stehe durch sein Festhalten an der geplanten Erstaufnahme-Einrichtung in Rott „mit der Schaufel am Verfassungsgrab“. 80 Jahre nach der Grundgesetzverabschiedung werde ausgerechnet im Landkreis Rosenheim, der Wiege der Verfassung, „die Würde des Menschen beerdigt“.
Nepomuk Poschenrieder, Sprecher der BI, legt nach. In seinem Fokus: das Quecksilbergutachten. Die mittlerweile anscheinend erfolgten Messungen für das zweite Gutachten, das der Innenminister vorsorglich angeordnet hatte, sind nach seiner Einschätzung erneut nicht richtig verlaufen. „Wenn ich nichts finden will, mach ich es genauso“, kritisierte er die Vermutung, es werde wieder nur die Frischluft gemessen statt Materialproben zu nehmen. Bevor die Ergebnisse nicht vorliegen, wird die Unterkunft nicht bezogen, hatten Regierung von Oberbayern und Landratsamt stets betont.
Bürgermeister Daniel Wendrock wiederholte seine Forderung nach einer gerechteren, paritätischen Verteilung der Geflüchteten. Diesbezüglich sei der bayerische Gesetzgeber gefordert. Große Einheiten wie jene in Rott seien extrem konfliktträchtig, das würden auch Statistiken zu Straftaten beweisen. Rott habe Alternativen auf kommunalen Grundstücken für 180 Geflüchtete angeboten, die mehr Raum pro Bewohner ermöglicht hätten. Das wäre nicht, wie von der Regierung von Oberbayern behauptet, teurer geworden.
Wendrock kritisierte auch die Sondervorschrift im Baugesetzbuch (Paragraf 246), die eine dichtere Belegung von Unterkünften ermögliche, weil sie bestehende Vorschriften über Bord geworfen habe. Diese „Notstandsregelung“ hebele die kommunale Planungshoheit aus. Rott sei mittlerweile nicht allein im Protest gegen große Unterkünfte. Vier Klagen lägen mittlerweile vor: auch von Stephanskirchen, Riedering und Kolbermoor.
Sepp Hofer:
„Zusammengepfercht“
Sepp Hofer, der als Kommunalpolitiker, nicht in seiner Funktion als stellvertretender Landrat, gekommen war, betonte auf Anfrage, in Rott sei die Situation so verfahren, „weil nicht miteinander gesprochen wurde“. Dass der Landkreis in der Pflicht stehe, alle zwei Wochen etwa 50 Neuankömmlinge unterzubringen, daran sei nicht zu rütteln. „Doch die Leute so zusammenzupferchen, wie es hier geplant ist, das kann man nicht machen.“
Hofer wies ebenso wie Wendrock auf mögliche Probleme in der Versorgung mit Wasser und bei der Abwasserentsorgung hin. Das Beispiel Rott schüre eine Stimmung, die drohe, in eine politische Richtung abzuwandern, „die wir nicht haben wollen“. Es sei zu viel gestritten worden, es hätte nicht so weit kommen müssen“. Hofer unterstrich seine Hoffnung, dass es doch noch zu einer einvernehmlichen Lösung komme. Die Stimmung vor Ort war jedoch alles andere als von Optimismus geprägt. Auch das 24-Stunden-Experiment kann als Misserfolg gewertet werden.