„Ein Reisebericht aus Absurdistan“

von Redaktion

Rosenheims Millionenpleite vor dem Landgericht in München: An Tag drei gibt es exklusive Berichte aus dem Innenleben des FlexiCamper-Wahnsinns. Die Rede ist von Koffern mit doppeltem Boden, von Nullnummern und ahnungslosen Mitarbeitern. Und es gibt ein paar gute Tipps für die Gesundheit.

Rosenheim – Trinkpausen gehören bei der Fußball-Club-WM in den USA zu den Partien wie die Pfeife zum Schiedsrichter. Weil die Gluthitze den Spielern so zusetzt, sind die Unterbrechungen neben der Halbzeitpause mehr als eine nette Geste – sie sind eine Frage der Gesundheit.

Dem Vorwurf des fahrlässigen Ausdörrens will man sich auch am Landgericht in München nicht aussetzen. „Das wird ein anstrengender, ein heißer Tag werden“, warnte Richter Martin Meixner daher zu Beginn des dritten Verhandlungstages im FlexiCamper-Prozess am gestrigen Montag. Er wolle daher Pausen anregen, „damit zwischendurch getrunken werden kann“. Der Fürsorge nicht genug: „Bevor mir jemand aus den Latschen kippt, können wir auch Lüftungspausen machen.“

Der Prozess nimmt
eine Abkürzung

Der Vorsitzende versprach dafür weitere Erleichterungen, was den Prozess betrifft. Möglich sind sie, weil sich die Prozessparteien in der Pause seit Verhandlungstag Nummer zwei wieder näher gekommen sind. Daher wird die Hauptverhandlung gestrafft werden können. Am 28. Juli, vielleicht schon am 23., könnte der Prozess womöglich abgeschlossen werden.

Die Prozess-Parteien sind sich darin einig, dass eine Reihe von FlexiCamper-Mitarbeitern nicht persönlich vorgeladen werden muss, sondern deren Vernehmungsprotokolle per Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingehen. Einige Vorwürfe werden außerdem wohl keine Rolle mehr spielen, so der Kreditbetrug bei einigen der Banken. Oder das Fahren ohne Führerschein: Die Tatvorwürfe sollen fallen gelassen werden.

Auch der Strafrahmen scheint klar zu sein: von drei Jahren und zehn Monaten bis viereinhalb Jahre bei Siegfried H., drei bis dreieinhalb Jahre bei Jessica K. sprach Richter Meixner. Die Frau war zwar die Geschäftsführerin und damit die offiziell Verantwortliche. Das Sagen aber hatte nach eigenem Eingeständnis Siegfried H.

Es sagte als erster Zeuge aus: der Insolvenzverwalter im Fall FlexiCamper, der Rosenheimer Rechtsanwalt Klaus Martin Lutz. Was er zu sagen hatte, klang wie ein Reisebericht aus Absurdistan.

Die Rede war von einem Koffer mit doppeltem Boden, in dem Siegfried H. Bargeld transportierte. Und von einem Mitarbeiter im Verkauf, „der den Unterschied zwischen Brutto und Netto nicht kannte“.

Ein Überblick sei schwierig zu gewinnen gewesen, zu chaotisch war wohl der Geschäftsbetrieb. „Die Buchhaltung war nicht das, was Sie sich unter Buchhaltung vorstellen“, sagte Lutz. Es müsse Umsatz gemacht werden, mit dieser Forderung sei Siegfried H. immer wieder aufgetreten, damit Geld reinkommt. Um einen Betrieb aufrecht zu erhalten, der mehr und mehr Geld verbrannte. Damit das nicht so auffiel, liefen Einnahmen wie Ausgaben über eine Vielzahl von Konten.

Das Modell war
ein Teufelskreis

Ein Teufelskreis, der Millionen von Euro verschluckte. So kann man sich FlexiCamper in den vier Jahren seines Bestehens bis zur verspäteten Insolvenz im Mai 2023 vorstellen. Das Geld sei wohl im Geschäftsbetrieb verschwunden. Der Personalaufwand sei hoch gewesen, die Gehälter „sehr ordentlich“, manche der Wohnmobile unter Einkaufspreis verkauft worden. „Irgendwann platzt dann halt mal die Blase“, sagte Lutz. Er nannte die Summen, die im Raum stehen: Rund 21 Millionen Euro könnte der bei ihm gemeldete Schaden betragen. Über sechs Millionen Euro davon müssten allerdings noch nachgeprüft werden.

Zeitweise läuft es
wie geschmiert

„Das geplante Chaos“, so beschrieb Lutz den FlexiCamper-Komplex. Dazu gehörten auch Tricksereien in einer ohnehin fehlerhaften Buchhaltung: Corona-Hilfen wurden irgendwann als reguläre Einnahmen verbucht. Um den Banken einen höheren Umsatz vormachen zu können.

Auch ein Ermittlungsbeamter aus Rosenheim wusste von interessanten Details zu berichten. „Ich hatte den Eindruck, dass es sich um ein Schneeballsystem handelte“, sagte Andreas S. „Um den zufriedenzustellen, der mit Anwalt, Polizei oder Gewalt drohte“, habe sich FlexiCamper durchaus entgegenkommend verhalten: „Der hat dann auch sein Wohnmobil bekommen.“ Wenn auch meistens keine Papiere dazu. Auf die Frage, wie man als Kunde etwas habe erreichen können, antwortete auch der ehemalige Mitarbeiter Wolfgang L. aus Rohrdorf: „Mit Druck.“

Andere Kunden, die stillhielten, gingen dagegen leer aus. Unabhängig von der Höhe der Anzahlung, die sie geleistet hatten. Das war ja die hauptsächliche Quelle für neues Geld: Geld einzusammeln von Kaufwilligen, aber dafür keine Wohnmobile auszuliefern und ohne Kredite zu bedienen.

Zeitweise lief es wie geschmiert: 4,2 Millionen Euro allein im August und September 2022 listete der auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte LKA-Ermittler und Gutachter Burkhard Kreidl an Kundenanzahlungen auf. Insgesamt dürften es über 20 Millionen Euro gewesen sein, die FlexiCamper von Camping-Fans erhielt.

Ein sehr höflicher
Beschuldigter

Siegfried H. und Jessica K., im sommerlichen Kurzarm besser für die Temperaturen gerüstet als Verteidiger, Staatsanwalt und Richter in ihren Roben, wirkten gelöster als an den ersten beiden Verhandlungstagen. Zumindest eine Beobachtung des Kripo-Zeugen dürfte H. gefallen haben. Der FlexiCamper-Boss habe sich bei seiner Verhaftung „sehr höflich“ benommen.

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