Rosenheim/Berlin – Vorhin, entlang der Invalidenstraße, musste man als Fußgänger zwischen abgerissenen Ästen Slalom auf dem Gehsteig laufen. Ein paar Hundert Meter weiter, in AltMoabit, erinnert nichts mehr an den Sturm vom Vortag. Die Polizisten am Eingang des Innenministeriums erledigen ihren Job unaufgeregt und routiniert. Hinter der Eingangsschleuse herrscht um halb acht morgens noch Ruhe. Durch den Hof hinter der Schleuse trabt tatsächlich ein Fuchs. Er hält kurz inne, hebt witternd die Schnauze. Und zieht ungerührt seines Weges.
Drinnen, zwei Innenhöfe weiter und sechs Stockwerke höher, beginnt der Arbeitstag von Daniela Ludwig. Sie schenkt sich einen Kaffee aus der Thermoskanne ein, nippt eilig. Die Nacht sei kurz gewesen, sagt sie. Denn nicht nur am Himmel über Berlin, auch in der Politik der Hauptstadt war Sturm angesagt. Innerhalb der Koalition von Union und SPD hat es geknirscht – die Migrationspolitik. „Bis Viertel vor eins haben wir verhandelt“, sagt Ludwig und lacht kurz auf.
Es knirscht
in der Koalition
Das heißt: Eigentlich verhandelt haben die Fraktionen, stellt sie klar. Das Ministerium informiert und liefert Argumente. Das gehört zur Jobbeschreibung von Daniela Ludwig (49) als Staatssekretärin: die Arbeit und die Positionen des Ministeriums zu erklären. Immerhin, das Unwetter zwischen CDU/CSU und der SPD hat keine Spuren hinterlassen. Jedenfalls keine, die man im Moment sehen könnte. Später entscheidet denn auch der Bundestag, dass der Nachzug der Familien von Geflüchteten teilweise ausgesetzt wird.
Daniela Ludwig ist seit gut zwei Monaten parlamentarische Staatssekretärin. Sie nutzt in diesem Amt ein geräumiges Büro im südlichen Geviert des Ministeriums, mit schmalen, bodentiefen Fenstern. Stundenlang könnte man durch diese Schießscharten schauen. Rechts glänzt etwas über dem Grün des Tiergartens: die „Gold-Else“, wie die Einheimischen die Figur auf der Siegessäule nennen. Der Blick schweift über die Hochhaustürme am Potsdamer Platz, in der Ferne erahnt man das Brandenburger Tor, nicht weit weg davon den Reichstag. Das Büro bietet einen prächtigen Ausblick. Oder vielmehr: es böte. Sie habe wenig Zeit für Blicke in die Umgebung, sagt Ludwig. „Der Tag ist absolut durchgetaktet“. Der Tag, die Woche, der Monat: Alles vollgepackt. Ludwig zieht ihr Tablet aus der Tasche. Über die Zeilen und Spalten des Outlook-Kalenders erstrecken sich große rote Flächen. „Man fühlt sich wie eine Kanonenkugel“, sagt sie. Morgens los, dann auf festgelegtem Kurs zum Ziel. Und alles mit Tempo. Das ist der Job einer Staatssekretärin. Beschweren will sie sich nicht. Es wäre nicht gut, sagt sie, würde man immer nur das Gleiche machen. Sie macht nun auf jeden Fall mehr. Und sehr viel davon fast gleichzeitig.
Zeitdruck ist ein
ständiger Begleiter
Sie hat kaum Zeit, den Kaffee auszutrinken, und schon geht’s weiter. Im Vorraum hat jemand einen Teller mit Kuchen auf dem Tisch abgestellt. Daniela Ludwig fasst sich erschrocken an die Wangen: Der Fahrer. Sein Geburtstag. Fast hätte sie ihn vergessen. Der große, stämmig, gemütlich wirkende Mann lächelt. „Passt schon, Chefin“, sagt er. Offenbar kennt er sich mit Menschen unter Zeitdruck aus. Daniela Ludwig neigt offenbar nicht dazu, diesen Druck an Mitarbeiter abzugeben. Die Stimmung im Team? Fokussiert und betriebsam, aber locker. „Vorpommern und Bayern passen gut zusammen“, sagt etwa ihre enge Mitarbeiterin Jette Grabow über die Chemie im Team.
Chemie ist überhaupt wichtig in der Berliner Politik. Es ist nicht so, dass Gesetze und parlamentarische Vorgaben hier alles regeln. Manchmal kommt man mit dem Abgeordneten der anderen Seite besser aus als mit einem Parteifreund. Während der Plauderei mit Jette Grabow beim Kaffee in der Cafeteria spricht Daniela Ludwig hinter verschlossenen Türen mit den Innenpolitikern der Union.
Danach geht’s ins Plenum. Bundeskanzler Friedrich Merz reist nachher zum Nato-Gipfel. Davor will er seine Regierungserklärung vor vollem Haus abgeben. Man kommt zu solchen Anlässen besser nicht pünktlich. Sondern etliche Minuten zu früh. Schließlich laufen einem da genügend Kollegen über den Weg. Nicht nur aus der eigenen Partei, sondern auch von der Konkurrenz. Man sollte auch mit Politikern anderer Parteien stets reden können, davon ist Daniela Ludwig überzeugt. Wegen des Perspektivwechsels, aber auch wegen des politischen Anstands. Vermutlich wird am Rande solcher Sitzungen oder gar beim Mittagessen in der Kantine mehr Politik gemacht als in mancher Bundestagssitzung.
So schnell ist eine
freie Stunde weg
Auch Daniela Ludwig sieht man an diesem Tag im Gespräch. Mit Friedrich Merz. Aber auch mit dem Innenminister. Schließlich kann es ja sein, dass Alexander Dobrindt wegen eines Termins weg muss. Dann würde sie seinen Platz auf der Regierungsbank einnehmen. Muss sie nicht, Dobrindt bleibt. Ludwig hört sich Rede und anschließende Debatte von ihrem Abgeordnetenplatz aus an. Dafür muss sie, das erfährt sie kurz danach, am nächsten Tag in den Digital-Ausschuss. Es geht um Cyber-Sicherheit. „Ja, das wäre morgen mal so eine freie Stunde zwischendurch gewesen“, sagt sie, während sie im Reichstag gerade Porridge aus einem Weckglas löffelt. Mittagessen in Zeiten eines vollen Terminkalenders.
Staatssekretäre stehen selten voll im Licht der Öffentlichkeit. In der ersten Reihe des parlamentarischen Betriebs stehen sie öfter. Zum Beispiel, wenn die Abgeordneten dem Ministerium Anfragen stellen. „Wir sind das Ministerium mit den meisten Anfragen“, sagt sie. „Und gleich in der zweiten Woche hat’s mich voll erwischt.“ 22 Anfragen. Und für die Antworten höchstens 45 Minuten.
Da mischt sich der Ernst des politischen Alltags mit sportlichem Ehrgeiz. Denn mindestens die Hälfte der Fragen muss man schaffen. Sonst ist man in der Woche drauf gleich wieder dran. „Das halbe Haus hat gegen mich gewettet“, erzählt sie. Doch die Kandidatin erreichte volle Punktzahl: Alles beantwortet. Ein Erfolg, auch wenn der kaum nach außen dringt. Aber auch die Anerkennung der Kollegen ist wichtig. Daniela Ludwig strahlt übers ganze Gesicht.
Das Innenministerium macht irgendwie auch Außenpolitik. Was Alexander Dobrindt in Sachen Grenzkontrolle und Migration durchsetzen will, hat Auswirkungen auf die Nachbarn Deutschlands. So liest man in diesen Tagen immer wieder vom Ärger anderer EU-Staaten über einseitige Kontrollen.
Daniela Ludwig sieht es anders. In Wirklichkeit sei da viel Wohlwollen zu erkennen. „Es ist eine vollkommen andere Stimmung“, sagt Ludwig über die Chancen einer europäischen Migrationspolitik mit der neuen Bundesregierung. „Deutschland steht nicht mehr quer.“
Es gibt Ärger
mit dem Nachbarn
Deutschland arbeite daran, sogenannte „Pull-Faktoren“, die Migration erst anziehen, zu minimieren. Polen hat mittlerweile wieder Grenzkontrollen eingeführt. Aus Verdruss über die deutschen Kontrollen. Zumindest ist das offiziell der Grund. Das wird dann irgendwann das Außenministerium regeln müssen. Oder Manfred Weber, der einflussreiche Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), unter deren Dach die konservativen Parteien der EU-Mitglieder versammelt sind. Er taucht prompt zur Fraktionssitzung auf, im Flur zum großen Fraktionssaal – herzlich begrüßt von Daniela Ludwig. Es geht nach der Fraktionssitzung weiter. Ludwig sichtet nach der Fraktionssitzung abends in ihrem Abgeordnetenbüro nach Mappen, Briefen und E-Mails, erledigt Post. Telefoniert mit ihren Kindern und hat dann noch eine Telefonschalte. Mit dem Team im Ministerium. Ein sehr begehrter geselliger Termin schließt sich an: das Sommerfest der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Wie’s mit den schönen Terminen so ist: Findet nur einmal im Jahr statt. Freizeit ist selten geworden. Ist sie nicht in Berlin, besucht sie ihren Wahlkreis. Und schlüpft für den Besuch bei den Aiblinger Gebirgsschützen ins Dirndl. Zwischen Berlin und Rosenheim, zwischen Business-Dress und Brauchtum. Das war schon zuvor das Leben von Daniela Ludwig. Als Abgeordnete. Jetzt ist das Pendeln zwischen Ministerium und Bundestag dazugekommen.
Macht das wirklich Spaß? Er sei hektischer geworden, der Terminkalender sei voller als früher, das Tempo habe zugenommen. Zeit zum Einarbeiten bleibe da nicht. „Aber es ist spannend und herausfordernd“, findet sie. „Das gefällt mir.“