Mühldorf – Eine solche Polizeipräsenz ist alles andere als alltäglich am Amtsgericht Mühldorf: Etwa anderthalb Dutzend Beamte wachten vor und im Gebäude, als eine Verhandlung wegen Betrugs und Urkundenfälschung anberaumt war. Die Justizbehörden rechneten mit dem Erscheinen zahlreicher Mitglieder eines Clans, aus dem sich drei Männer vor Gericht zu verantworten hatten. In atemberaubender Perfektion verübt eine Gruppierung der Roma mit moldauischer Staatsangehörigkeit Betrügereien und gewerbsmäßige Urkundenfälschung in gigantischem Ausmaß. Mit gestohlenen oder gefälschten Arztrezepten suchen die Täter im ganzen Bundesgebiet Apotheken auf und holen vermeintlich verordnete „Abnehmspritzen“ gegen eine Rezeptgebühr von zehn Euro ab, um sie gewinnbringend hauptsächlich in Osteuropa zu verkaufen.
In Frixing klickten
die Handschellen
Für drei der von Ermittlern auf mindestens 100 bis 200 geschätzten Abholer war die Betrugstour im Januar in Frixing, Gemeinde Erharting, auf dem Autohof beendet. Die Handschellen klickten, als Polizisten einen Audi Q7 kontrollierten und 15 Dosen des Medikaments Mounjaro im Wert von 4390 Euro sowie diverse Kassenzettel und Abholscheine verschiedener Apotheken fanden.
Nun wurden die Angeklagten aus der Untersuchungshaft zur Verhandlung vor dem Jugendschöffengericht Mühldorf unter dem Vorsitz von Richter Dr. Christoph Warga vorgeführt und gestanden die Taten vollständig. Diese Geständnisse resultieren aus einem Rechtsgespräch zwischen den Juristen und den Schöffen, bei dem den Angeklagten beim Eingestehen der vorgeworfenen Taten ein bestimmtes Strafmaß zugesichert wurde.
Ein Münchner Polizeibeamter mit dem Spezialauftrag, die Bande zu zerschlagen, die Drahtzieher ausfindig und die Mitglieder dingfest zu machen, informierte im Zeugenstand über die aktuelle Situation.
Zwei gesetzliche Krankenkassen benannten nach seinen Angaben bereits Schäden in Höhe von je einer Million Euro. Der Sitz der Bande wird in Berlin vermutet, von wo auch die drei Angeklagten gekommen waren. Die Rezeptvordrucke stammen von Diebstählen aus Arztpraxen und werden in beachtlicher Qualität selbst produziert.
In München seien fünf „Abholer“ bereits verurteilt worden. Nach einer kurzen Phase, in der es in und um München ruhiger geworden sei, sei inzwischen eine neue Masche bemerkt worden. Nach dem „alten“ Verfahren verlief die Arbeitsteilung so, dass ein Fahrer im Auto saß, ein Mann die Umgebung beobachtete und einer das Rezept einlöste. Inzwischen würden Unbeteiligte gegen einen Geldbetrag rekrutiert, die Verordnungen in der Apotheke vorzulegen und die Spritze oder auch mehrere Spritzen mitzunehmen.
Während sich die Gruppierung anfänglich auf die Medikamente Ozempic, Trulicity und Pegasys konzentrierte, habe sie nun hauptsächlich auf das verschreibungspflichtige Medikament Ozempic gewechselt. Der Grund dürfte der höhere Schwarzmarktpreis sein, der sich mit diesem Präparat erzielen lässt. Seit der Markteinführung im Jahr 2023 sei die Nachfrage sehr hoch, weil sich die Kunden durch diese Medikamente einen einfachen und schnellen Weg zur Gewichtsreduktion versprechen.
Vor allem in Osteuropa floriere der Absatz bestens. Die Gruppierung gehe zur Verschleierung der Betrügereien arbeitsteilig vor: Rezeptbeschaffung, Einlösung in den Apotheken, Weitergabe an Sammelstellen und Verkauf. Bis zu zwei Spritzen würden die Apotheken abgeben, jedoch in unterschiedlicher Dosierung: zweieinhalb, fünf oder zehn Milligramm. Einer der zwei 19-jährigen Heranwachsenden, nach ihrem „Clan-Recht“ verheiratet, gab an, schon öfter in Deutschland eingereist zu sein. Der andere war nach eigenem Bekunden zum ersten Mal da.
Bewährung für
Heranwachsende
Geraume Zeit befindet sich der dritte Angeklagte, ein 43-Jähriger, im Bundesgebiet. Er habe keine feste Arbeit und lebe im Wesentlichen von der Familie, sagte er. Ihn verurteilte das Schöffengericht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Die Heranwachsenden erhielten eine Jugendstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Einer davon wurde in Berlin wegen Diebstahls beschuldigt, das Verfahren jedoch eingestellt.Theresia Atalay